Vom Online-Shopping zum Kahlschlag in Schweden

Amazon – wer kennt das? Ist das ein Witz? Ja, wie könnte man denn Amazon heute nicht kennen! Aber vor 10 bis 15 Jahren war Amazon noch eine eher kleine Nummer in Deutschland. Damals sprach sich gerade herum, dass dort vermeintlich einfach und übersichtlich Bücher nach Hause bestellt werden könnten.

Online-Handel treibt Papier­verbrauch an

Heute steht das Unternehmen ganz anders da: Es hat einen der größten Musik- und Videostreamingdienste, E-Reader, die digitale Assistentin Alexa, eigene, bargeldlose Supermärkte und verschickt jedes Jahr mehr und mehr Pakete quer durch die Welt. Amazon und all die anderen wachsenden Unternehmen im Online-Handel sind nicht nur eine riesige Branche geworden, sondern lassen auch so gut wie jede Verringerung unseres Papierverbrauchs in anderen Bereichen verpuffen. Der Verbrauch von Verpackungen hat sich von 4,4 Millionen Tonnen im Jahr 1985 bis 2010 verdoppelt, 2015 waren es schon 9,5 Millionen Tonnen – Tendenz steigend. Zwar besteht Verpackung meist aus Altpapier, doch dieser Rohstoff ist begrenzt. Während hier der Gesamtverbrauch immer weiter zunimmt, wird Recyclingpapier an anderen Stellen knapp. Die Alternative für Druck- und Toilettenpapier: Primärfaserpapier, geschlagen in den Wäldern Europas und der Welt.

Seit vielen Jahrzehnten arbeitet ROBIN WOOD mit Protestaktionen, Bildungsveranstaltungen, Infomaterialien, Filmen und in Sozialen Medien gegen die Papierverschwendung. Im letzten Jahr waren wir viel in Schulen und Hochschulen unterwegs und mussten feststellen, wie sehr das Thema aus den Köpfen verschwunden ist. So haben nur wenige der Schülerinnen und Schüler eine Ahnung, wie viel Papier wir wirklich verbrauchen (durchschnittlich 250 kg/Person und Jahr – der zweithöchste Pro-Kopf-Verbrauch der Welt) und woher dieses Papier eigentlich kommt.
Noch überraschter sind die meisten, wenn sie hören, wie viel Zellstoff und Papier aus Schweden in Deutschland verbraucht wird: Allein aus Schweden stammen mehr Rohstoffe, als aus unseren eigenen Wäldern. Mehr als jede fünfte Papierfaser in Deutschland kommt aus schwedischen Wäldern. Für Schweden selbst nimmt der Wald eine zentrale Rolle ein: Was Holz- und Papierprodukte angeht, ist Schweden der drittgrößte Exporteur der Welt. Die Verbindung zwischen deutschem Verbrauch und schwedischer Waldnutzung ist eng!  

Schwedens Wälder sind von einer Natur­idylle mittlerweile weit entfernt: Nur vier bis fünf Prozent des Waldes sind effektiv unter Schutz gestellt. Ein großer Teil wurde in den letzten Jahrzehnten eingeschlagen und muss noch viele Jahre wachsen, bis er wieder gefällt wird. Die Forstwirtschaft funktioniert nach dem Kahlschlagmodell, also der großflächigen Abholzung eines Waldgebiets und anschließender Neupflanzung. In einigen Regionen Schwedens jedoch wurde Forstwirtschaft noch nie oder noch nicht sehr lange großflächig betrieben. Dort unterscheiden sich die alten Wälder drastisch von denen, die nach einem Kahlschlag neu angepflanzt wurden. Die natürlichen oder naturnahen Wälder haben sich über lange Zeiträume zu Ökosystemen mit einer deutlich größeren Artenvielfalt entwickelt. Viele der Arten sind selten oder sogar bedroht. Diese Wälder gehören zur eindrucksvollsten Wildnis, die der europäische Kontinent noch zu bieten hat. Doch sie werden immer weniger, denn der Hunger nach Holz verlangt Nachschub und die Konzerne wollen Gewinne erzielen.

Schweden ist kein Naturparadies mehr
 
Unzählige Kampagnen der schwedischen und internationalen Natur- und Umweltschutzverbände konnten die Diskussion oft nur kurz beeinflussen. Der langjährige ROBIN WOOD-Waldreferent Rudolf Fenner führte zusammen mit schwedischen Verbänden einige Kampagnen durch und konnte in Deutschland und Schweden viel Aufmerksamkeit erzeugen. 2011 übergab er an den Forst- und Papierriesen SCA Forderungen, die 5.500 Menschen unterschrieben hatten und im Januar 2016 mehr als 4.500 Unterschriften an das schwedische Forstministerium. Doch seinen Besuch im Ministerium fasste er im ROBIN WOOD-Magazin 1/16 mit den folgenden Worten zusammen:
„Resultat des Gesprächs: Niederschmetternd. Es wird nun doch nicht mehr Geld für Kompensationszahlungen geben (die Privatwaldbesitzer für den Verzicht auf Fällung ihres Waldes finanziell entschädigen würden, d. Autor). Die Erhöhung wurde mittlerweile stillschweigend zurückgenommen. Kein Geld auch für mehr staatliche Kontrollen in den Wäldern. Und auch für die Kartierungen der noch immer nicht vollständig erfassten schutzwürdigen Waldhabitate wird es kein Geld geben. 2.000 Hektar ungeschützte Naturwaldflächen gehen jedes Jahr verloren.“

Doch dicke Bretter zu bohren, war ROBIN WOOD noch nie zu viel! Seit Ende 2017 geht es daher weiter. Zusammen mit Skyddaskogen – Protect the Forest (Interview auf Seite 20), einer sehr aktiven, rein ehrenamtlichen schwedischen Waldschutzorganisation, haben wir eine neue Kampagne begonnen. Wir entschieden uns, das Engagement vieler kleiner wie großer Unternehmen, die beim FSC-Siegel für nachhaltige Forstwirtschaft mitmachen, für einen Neustart der Diskussion in Schweden zu nutzen.
Im weltweiten Zertifizierungssystem Forest Stewardship Council (FSC) können sich Organisationen aus den drei Säulen der Nachhaltigkeit (Soziales, Wirtschaftliches und Ökologisches) beteiligen. Sie erstellen in ihren jeweiligen Ländern national und gemeinsam international die Regeln des FSC. ROBIN WOOD ist Gründungsmitglied des FSC, entschied sich aber 2005 nur noch im nationalen FSC mitzumachen, da es in vielen Ländern ernsthafte Probleme mit der Glaubwürdigkeit des Siegels gab.

NGOs und Unternehmen fordern verantwortungsvolle Forstwirtschaft

Während der FSC für einige Unternehmen sicherlich nur ein grünes Feigenblatt ist, mit dem sie ihre „Nachhaltigkeit“ darstellen wollen, gibt es viele Unternehmen – Waldbesitzer, Druckereien oder Holzhändler – die eine naturnahe und ökologische Forstwirtschaft fördern wollen und sich mit großem Engagement dafür einsetzen. Über 70 FSC-zertifizierte Unternehmen aus Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien, den drei großen Holzabnehmerländern Schwedens, folgten unserem Aufruf und stellten deutliche Forderungen an die schwedische Regierung sowie die Holzgiganten SCA, Stora Enso und Sveaskog. Sie verlangen, dass alle schützenswerten alten Wälder sofort unter Schutz gestellt werden und dass zukünftig vor jedem Kahlschlag in Schweden eine naturschutzfachliche Inventur durchgeführt werden muss. Denn immer noch ist für viele Wälder nicht bekannt, wie wertvoll sie für die Natur sind, und wie viele bedrohte Arten sich dort finden. Bevor das untersucht werden kann, sind sie schon von großen Holzerntemaschinen gefällt.

Kein Erfassen der Artenvielfalt

Deshalb ist es auch ein Problem – und das ist das dritte Thema des Briefs, dass die schwedische Regierung 2017 keine weiteren Inventuren im waldreichen Nordwesten Schwedens mehr durchführen ließ. Obwohl es dringend verlässliche Karten bräuchte, wurden die Inventuren einfach gestoppt. Es wird vermutet, dass damit den Forstunternehmen Zeit eingeräumt werden soll weitere Gebiete einzuschlagen, ohne dass ihnen fachliche Einwände vorgelegt werden können. Selbst wenn die Kartierungsarbeit wieder aufgenommen würde, könnte es sein, dass die Kriterien massiv geschwächt wären. Dann gälte kaum noch ein Wald als schützenswert – und die Holzkonzerne könnten ungebremst weitermachen. Daher forderten die Unterzeichnenden, dass die Kartierungsarbeit sofort und mit den gleichen Kriterien wie früher wieder aufgenommen wird!
 
Ein erstes Fazit kann schon gezogen werden: Die Aktion fand in Deutschland mit Berichten, z.B. in der taz, Widerhall, aber noch mehr in Schweden und international. Die schwedische Tourismusbranche, für die der weitere Verlust alter Wälder auch eine Katastrophe ist, schloss sich unseren Forderungen weitgehend an. Der FSC in Schweden ist gezwungen, sich mit den Vorwürfen gegen zertifizierte Unternehmen stärker auseinanderzusetzen. Noch im Dezember veröffentlichte Protect the Forest ein mehr als 70 Seiten starkes Dokument, in dem detailliert Verstöße aufgezählt werden. Aber selbst stärkere Kontrollen und die Einhaltung der FSC-Regeln lösen nicht alle Probleme. Denn es gibt noch viele Wälder mit schwächeren oder gar keinen Siegeln. Dort findet noch viel weniger Kontrolle statt. Es gilt also auch in Zukunft den schwedischen Staat noch viel mehr in die Verantwortung zu nehmen.