Energiewende im Verkehr

Die Pariser Klimaziele erfordern, dass der Verkehrssektor bis 2050 klimaneutral wird. Elektroautos werden dabei seit einigen Jahren als die Lösung unserer Verkehrs- und Klimaprobleme angepriesen. Beim Autogipfel Anfang November 2019 im Kanzlerinnenamt hatte die Bundesregierung gemeinsam mit Spitzenvertreter*innen der Autoindustrie beschlossen, den Absatz von Elektroautos anzukurbeln, indem sie die vor drei Jahren eingeführte Kaufprämie verlängert. Im Zuge des Corona-Konjunkturpakets wurden die Kaufhilfen für E-Autos und Plug-In-Hybride Anfang Juni nun nochmals aufgestockt.

Doch können Elektroautos einen echten Beitrag zur Dekarbonisierung des Verkehrs und zu Klimagerechtigkeit leisten? Gerade der Zusammenhang zwischen Antriebswende und Energiewende lässt daran einige Zweifel aufkommen.
Solange der deutsche Strommix nicht grüner wird, werden Elektroautos nicht signifikant zu einer Senkung von CO2-Emissionen beitragen. Ein Elektroauto kann laut aktuellen Berechnungen seine Klimavorteile im Vergleich zu einem Benzinverbrenner erst nach ca. acht Betriebsjahren ausspielen. Der Grund dafür ist, dass die Produktion eines Elektroautos doppelt so viel Energie verbraucht wie die Produktion eines Verbrenners gleicher Größe. Das liegt vor allem an der aufwendigen Produktion der schweren Lithium-Batterie. Durch die hohen Treibhausgasemissionen des deutschen Strommixes mit einem immer noch hohen Anteil konventioneller Energieträger (54 Prozent im Jahr 2019) dauert das jedoch relativ lange. Auch der Betrieb von Elektroautos ist noch nicht komplett „grün“: Wenn Elektrofahrzeuge mit Kohlestrom fahren oder mit virtuellen Ökostrom-Zertifikaten einfach nur grün angestrichen werden, kann von „Null-Emissions-Fahrzeugen“ also nicht die Rede sein. Elektro-Automobilität kann nur dann überhaupt umweltfreundlich sein, wenn richtiger Ökostrom genutzt wird.

Eine massive Elektrifizierung der Pkw-Flotte würde also einen deutlichen Ausbau von Erneuerbaren Energien benötigen, wenn die Antriebswende tatsächlich zu einer Dekarbonisierung beitragen soll. Denn erst mit regenerativ erzeugtem Strom weist das Elektrofahrzeug eine deutlich bessere Klimabilanz auf als alle anderen Antriebsarten. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Bedenken, dass der zusätzliche Energiebedarf durch eine massive Förderung von Elektro-Automobilität eine schnelle Energiewende sogar behindert. Denn ein Grundpfeiler der Energiewende ist – neben dem Ausbau regenerativer Energien – vor allem die Reduktion des Energieverbrauchs insgesamt. Ein simples „weiter wie bisher“ ist trotz der Nutzung postfossiler Energieträger also nicht nachhaltig – weder bei der Energieerzeugung noch im Verkehr.
Daher müssen gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, die zu einer drastischen Erhöhung des Energieverbrauchs führen, hinterfragt werden. Oft wird dabei das Gegen­argument angeführt, dass die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien rasch zunimmt – zwischen 2010 und 2015 betrug der Zuwachs über 90 TWh. Das Bundesministerium für Umwelt geht davon aus, dass eine Elektrifizierung der gesamten deutschen Pkw-Flotte zu einem ähnlich hohen Anstieg im Stromverbrauch von ca. 90 TWh führt – allerdings pro Jahr. Dabei liegt auf der Hand, dass diese Energie dann an anderer Stelle fehlen könnte.

Was bei dieser Argumentation zusätzlich sehr oft übersehen wird, sind Rebound-Effekte der Elektro-Automobilität. Das bedeutet, dass die politische Förderung von Elektroautos auf mehreren Ebenen dazu führt, dass Klimaschutzeffekte durch veränderte Nutzungsmuster zunichte gemacht werden.
In Norwegen, wo Elektromobilität seit Jahren massiv gefördert wird, führt der Kauf eines Elektroautos dazu, dass der Anteil der Arbeitswege, die mit dem ÖPNV zurückgelegt werden, um durchschnittlich 82 Prozent zurückgehen. Dies ist vor allem auf einen mentalen Rebound-Effekt zurückzuführen: Als vermeintliche „Null-Emissions-Fahrzeuge“ versprechen E-Autos ein grünes Gewissen – und der Anteil der zurückgelegten Fahrten mit dem eigenen Auto nimmt paradoxerweise zu.
Außerdem zeigt eine Studie des Umwelt- und Prognose-Instituts e.V. (UPI), dass E-Autos aufgrund ihrer noch immer eingeschränkten Reichweite aktuell vor allem als Zweit- oder sogar Drittwagen gekauft werden. Letztendlich tragen sie also nicht zwingend dazu bei, dass weniger Energie für den Verkehr benötigt wird, sondern der Energiebedarf für den Verkehrssektor durch Rebound-Effekte zumindest mittelfristig sogar steigen wird.
Zusätzlich wird die Ausbaugeschwindigkeit regenerativer Energien aktuell politisch massiv gedrosselt, vor allem durch den Vorstoß, beim Ausbau von Windkraft eine Abstandregel von 1000 Meter einzuführen. Wo also soll der grüne Strom für Elektrofahrzeuge herkommen? Eine deutliche Senkung des gesamten Energieverbrauchs bleibt also ein wichtiges Ziel einer echten Energie- aber auch Verkehrswende. Daher ist zumindest fragwürdig, ob die reine Umstellung der deutschen Pkw-Flotte auf elektrische Antriebstechnik ohne eine Reduktion des Energieverbrauchs, zum Beispiel durch die konsequente Förderung von Alternativen zum motorisierten Individualverkehr, einen echten Beitrag zur klimagerechten Energie- und Verkehrswende leisten wird.

Zu bedenken ist außerdem die kritische Rolle der Lade­infrastruktur für den Ausbau der Elektroautomobilität. Wenn E-Autos in Massen auf die Straßen gebracht werden sollen, muss es mehr Ladestationen geben. Anfang 2017 gab es in Deutschland insgesamt 20.295 Elektroladestationen, jedoch ist nur etwa die Hälfte davon öffentlich zugänglich. Die Anlagen befinden sich zudem überwiegend in Ballungsgebieten. In dünn besiedelten Regionen hingegen gibt es noch viele weiße Flecken. Viele E-Autos werden daher über Nacht an der heimischen Steckdose geladen – was zwischen 10 und 14 Stunden dauert. Hierbei wird auch klar, dass es Hausbesitzer*innen mit eigener Garage deutlich leichter haben, ihr E-Auto zuhause zu laden, als Mieter*innen in Mehrparteienhäusern. Ökologisch sinnvoll wäre es, wenn sich E-Auto-Besitzer*innen eine eigene Solaranlage für das Laden auf dem Dach installieren würden – doch mit einer Einspeisung dieser Energie ins Netz würden diese Menschen zumindest zum aktuellen Zeitpunkt deutlich mehr fürs Klima tun, weil damit die Nachfrage nach Kohlestrom verringert würde.

Das Stromnetz muss perspektivisch außerdem an eine höhere Nachfrage und zusätzliche Belastungen durch Lade­vorgänge für Elektroautos angepasst werden, besonders auf Verteilnetzebene. Elektroautos verursachen zwar zusätzliche Lasten, können aber auch als flexibler Nachfrager zur Lastenvermeidung beitragen. Aktuell werden Elektroautos jedoch überwiegend nachts geladen, wenn gar kein Solarstrom zur Verfügung steht. Es braucht also Anreize für Autofahrer*innen, ihren Wagen dann zu laden, wenn der Ökostrom überschüssig vorhanden ist, zum Beispiel in der Mittagszeit. Eine sinnvolle politische Initiative könnte daher die stärkere Förderung von Lademöglichkeiten am Arbeitsplatz sein. Oft wird auch ins Spiel gebracht, dass E-Autos als flexible Speicher einen Beitrag zur Netz­stabilität leisten können. Da sie aber nur ein sehr geringes Speicherpotenzial aufweisen, können Batterien in E-Pkw nur einen begrenzten Beitrag zur Energiespeicherung im Rahmen eines Lastmanagements leisten. 

Ein weiteres Problem ist das Gewicht der Batterien – denn obwohl es bereits technologische Fortschritte gab, kann in einer Lithium-Batterie bei gleichem Gewicht immer noch siebzig mal weniger Energie gespeichert werden als in Benzin oder Diesel. Deutlich effizienter wäre es, wenn nicht jedes Fahrzeug die eigene Energie in Form einer Batterie mitführen müsste – die auch mit steigender Leistung und Reichweite immer schwerer wird und somit einen paradoxen Effekt in Gang setzt. Denn mit steigendem Gewicht muss wiederum mehr Energie verbraucht werden, um das Fahrzeug zu bewegen. Die seit über einem Jahrhundert existierende Elektromobilität in Form von Zügen, Straßen­bahnen, U-Bahnen und Oberleitungsbussen hat dieses technologische Dilemma längst gelöst. Diese sind dadurch wesentlich energieeffizienter und klimafreundlicher – auch weil wesentlich mehr Menschen oder Güter pro Fahrzeug bewegt werden können.

Eine massive Förderung von E-Automobilität kann nur ein halbherziger Beitrag zur Energie- und Verkehrswende sein. ROBIN WOOD fordert daher eine echte  Verkehrs- und Energiewende, die nicht allein durch eine Antriebswende erreicht werden kann. Wir müssen unsere Verkehrsleistung insgesamt reduzieren, um auch unseren Energieverbrauch zu senken. Damit der Ökostrom für den Verkehrssektor reicht, muss die verbleibende Mobilität außerdem effizienter organisiert werden, zum Beispiel mit Straßenbahnen. Dennoch werden wir trotzdem nicht um eine Antriebswende herumkommen – denn auch in Zukunft wird es unterschiedliche Mobilitätsbedürfnisse geben, und es ist vollkommen klar, dass diese nicht mit klimaschädlichen Verbrennern gedeckt werden sollten. Diese verbleibende, gesellschaftlich notwendige Produktion von E-Autos sollte mit einer konsequenten Umstellung auf Erneuerbare Energien einhergehen – sowohl für die Produktion als auch den Betrieb von Elektroautos.

Gleichzeitig ist es sozial und ökologisch nicht sinnvoll, die gesamte deutsche Pkw-Flotte von 47 Millionen Autos elektrifizieren zu wollen. In einer klima- und flächengerechten Welt brauchen wir insgesamt wesentlich weniger Autos. Um den Energieverbrauch nicht noch weiter in die Höhe zu treiben, müssen die verbleibenden E-Autos und deren Batterien außerdem so klein, leicht, ressourcenschonend und energieeffizient wie möglich sein und möglichst nicht (nur) der individuellen Mobilität zur Verfügung stehen, sondern z.B. in Form von Carsharing gemeinsam genutzt werden können. Gerade in ländlichen Regionen, wo Elektroauto­mobilität auch in Zukunft eine sinnvolle Ergänzung zu einem klimagerechten Verkehrsmix darstellen könnte, müssen Ladekapazitäten außerdem ausgebaut werden. Für eine echte Verkehrswende müssen aber vor allem Alternativen zum motorisierten Individualverkehr sowohl in der Stadt als auch auf dem Land massiv gefördert werden. Kaufprämien für privat genutzte E-Autos sind daher für das Erreichen der Klimaziele im Verkehr ungeeignet – stattdessen wäre eine klimafreundliche Mobilitätsprämie wünschenswert, die z.B. für die Bahncard100, das ÖPNV-Jahresticket oder ein Lastenrad verwendet werden kann.