Vertane Chance für die Verkehrswende

Die guten Neuigkeiten zuerst: Dank des kontinuierlichen Drucks von Klimabewegung, Zivilgesellschaft und NGOs und sogar einigen kritischen Stimmen aus der Wirtschaftswissenschaft, konnte sich die Autolobby mit ihrer Forderung nach einer klimaschädlichen Verbrennerprämie beim Koalitionsgipfel Anfang Juni nicht durchsetzen. Statt nur die Automobilindustrie aus der Krise zu retten, beschloss die Bundesregierung, die gesamte deutsche Wirtschaft durch ein Konjunkturprogramm und eine Mehrwertsteuersenkung, die am 1. Juli in Kraft getreten ist, wieder in Schwung zu bringen.

Auch wenn die Macht der Autolobby nach betrügerischen Skandalen, einem verschlafenen Wandel und steigendem gesellschaftlichen Druck für eine Verkehrswende nun etwas zu bröckeln beginnt: Aus Sicht der Mobilitätswende ist das Konjunkturpaket dennoch kein Erfolg. Das Paket enthält trotz des Verzichts auf eine Verbrennerprämie eine Reihe von Maßnahmen zur Förderung des Autoverkehrs. Während Bundesregierung und Automobilindustrie noch im November letzten Jahres im Rahmen des Autogipfels staatliche Kaufhilfen für E-Autos beschlossen hatten, wurden diese im Zuge des Konjunkturpakets nochmals verdoppelt. Statt bisher 3.000 Euro Zuschuss soll es nun eine staatliche Kaufprämie von 6.000 Euro für ein E-Auto mit einem Nettolistenpreis von bis zu 40.000 Euro geben – wenn dann noch die im November beschlossenen 3.000 Euro Zuschuss vom Hersteller hinzukommen, könnte sich für batterieelektrischen Fahrzeuge ein Rabatt von bis zu 9.000 Euro ergeben. Für Plug-in-Hybride soll es 4.500 statt bisher 3.000 Euro Zuschuss vom Staat geben – zusammen mit den Zuschüssen der Hersteller ergibt sich daraus eine Prämie von bis zu 6.750 Euro. Wer sich ein Elektroauto neu zulegt, soll außerdem ab der Erstzulassung zehn Jahre lang von der Kraftfahrzeugsteuer befreit werden. Als weitere Säule für die Förderung von Elektro-Automobilität wurde der massive Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur beschlossen.

Die pauschale Absenkung der Mehrwertsteuer beinhaltet außerdem eine Kaufprämie durch die Hintertür: Wenn die Mehrwertsteuersenkung komplett an Verbraucher*innen weitergegeben wird, können diese vor allem beim Autokauf kräftig Geld sparen. Anders als bei der Kaufprämie ist dies nicht gedeckelt und der Zuschuss umso höher, je teurer das Auto – das ist alles andere als sozial und ökologisch. Auch die Förderung von Plug-in-Hybriden kann als versteckte Verbrennerprämie kritisiert werden, da Plug-in-Hybride einerseits wegen des zusätzlichen Elektromotors und der Batterien mehr Energie verbrauchen, andererseits aber wegen der geringen elektrischen Reichweite von z.T. unter 20 km und fehlender Ladesäulen oft ausschließlich als Verbrenner gefahren werden. Zudem wird durch die massive Förderung von E-Automobilität unsere Abhängigkeit vom motorisierten Individualverkehr aufrechterhalten – was eine weitere Verzögerung beim Lösen der grundlegenden Probleme im Verkehrsbereich bedeutet.

Einer dieser grundlegenden Herausforderungen ist die Frage, wie wir Verkehr verringern und nicht-motorisierten Verkehr verbessern und attraktiver machen können. In beiden Fragen haben sich in der Corona-Krise bereits Alternativen abgezeichnet: Indem viel mehr Menschen als vorher die Möglichkeit bekamen, im Home Office zu arbeiten, konnten Wege verringert und Verkehr effektiv vermieden werden. Um den übrigen notwendigen Verkehr so sicher und gesundheitsfördernd wie möglich zu gestalten, wurden in mehreren Städten so genannte Pop-Up-Radwege eingerichtet, indem Straßenraum umgewidmet wurde. Neben dem in der Pandemie als höchstes Ziel erklärtem Schutz der Gesundheit hatten beide Strategien dabei auch positive Effekte für den Klimaschutz. Genau dieses Motto hätte auch beim Konjunkturpaket leitend sein müssen, denn nicht nur die Pandemie, auch die Klimakrise muss als eine der zentralen Herausforderungen erkannt werden, der sich Politik, aber auch Wirtschaft stellen müssen. In diesem Zusammenhang wären Maßnahmen, die auch eine langfristige Transformation berufsbedingter Mobilitätsmuster fördern würden, erstrebenswert gewesen. Obwohl Rad- und Fußverkehr in der Pandemie nochmals an Bedeutung gewonnen haben und vielen Menschen die Ungleichverteilung von Flächen in dieser Zeit offensichtlicher geworden sind, ist im Rahmen des Konjunkturpakets kein Geld für diese vorgesehen.

Die Pandemie hat dabei jedoch auch insbesondere auf den Öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV) negative Auswirkungen, viele Verkehrsbetriebe erlitten durch einen Rückgang der Fahrgastzahlen zwischen 60 und 90 Prozent massive Umsatzeinbußen. Im Rahmen des Konjunkturpakets wurden nun Mittel in Höhe von 2,5 Milliarden Euro für den ÖPNV bereitgestellt – das ist ein gutes Signal. Doch die Kommunen haben wesentlich mehr Mittel vom Bund angefordert, um Verluste auszugleichen, aber auch um die ÖPNV-Finanzierung langfristig stemmen zu können. Dieser Forderung wurde nicht nachgekommen. Allein weil absehbar ist, dass auch weiterhin mit Verlusten im ÖPNV zu rechnen ist und der ÖPNV insgesamt mehr Förderung bedarf, um attraktiver und zugänglicher zu werden, wurde die Chance auf eine langfristige Verbesserung damit leider verpasst. Für die Bahn sind 5 Milliarden Euro als Eigenkapital vorgesehen – doch auch hier werden die Corona-Verluste deutlich höher eingeschätzt (10-11 Mrd. Euro). Der Grundgedanke der einmaligen Förderung bleibt zudem verkehrt: Ökologisch sinnvolle Verkehrsmittel wie ÖPNV und Schienenverkehr sollen sich weiterhin in einem Konkurrenzkampf gegen das Auto durchsetzen müssen – auf einem Mobilitätsmarkt, der ohnehin durch versteckte und explizite Subventionen zugunsten des Motorisierten Inidivualverkehrs verzerrt wird. Dabei wäre es genau jetzt an der Zeit gewesen, stärker regulierend einzugreifen und Weichen für die Zukunft zu stellen: indem durch politische Maßnahmen wie Gesetze, Ordnungspolitik, sowie Umverteilung von Subventionen aber auch Flächen, umweltfreundliche Verkehrsmittel konsequent bevorzugt und Engpässe beseitigt werden.

Vor allem die Autolobby und ihre politischen Verbündeten in den Autoländern haben immer wieder laut nach Staatshilfen gerufen, um die Beschäftigung in der Automobilindustrie zu sichern – während die Industrie gleichzeitig hohe Rücklagen hat und Milliarden-Dividenden auszahlt. Was nun vom Konjunkturpaket am Ende bei den Beschäftigten ankommt, insbesondere bei den von der Krise besonders hart betroffenen Zulieferern, ist fraglich. Vor allem fehlen zentrale Impulse für einen wirklich sozial-ökologischen Umbau der Branche, der die Jobs langfristig krisensicher machen würde. Ein solcher Impuls wäre z.B. gewesen, mehr und bessere Jobs im öffentlichen Verkehrsbereich zu fördern und den Umbau der Automobilindustrie nicht nur im Sinne einer Antriebswende zu verstehen – denn auch hier hat die Corona-Krise gezeigt, dass eine Umstellung der Automobilproduktion auf andere und vor allem systemrelevante Produkte möglich ist. Die Chance auf einen sozial-ökologischen Wiederaufbau der Wirtschaft wurde damit verpasst – und es bleibt zu befürchten, dass die andere große Krise, in der wir uns befinden, damit nicht einfacher zu lösen sein wird.