Elektromobilität und globale Gerechtigkeit

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Die Kleinschürfer*innen von Kobalt in der DR Kongo sind besonders hohen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt
Foto ▸ Fairphone (CC BY-SA 2.0)

Elektromobilität wird immer wieder als zukunftsweisende Verkehrstechnologie gehandelt, zuletzt auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in München. Doch die einseitige Förderung von E-Mobilität hat negative Konsequenzen für Mensch und Umwelt. Dominique Just, ROBIN WOOD-Mobilitätsreferentin, führte dazu ein Interview mit Lara Louisa Siever vom INKOTA-netzwerk e.V.

? Bei der Mobilitätswende setzt die Bundesregierung aktuell stark auf eine Antriebswende hin zum E-Motor. Auch in der öffentlichen Debatte wird vielfach ein schneller Umstieg auf Elektromobilität gefordert. Wie bewerten Sie das?

! Grundsätzlich ist eine Antriebswende natürlich ein wichtiger Baustein der Mobilitätswende. Doch die Mobilitätswende muss viel umfassender gedacht werden. Eine wirklich zukunftsfähige Mobilität bewegt sich innerhalb planetarer Grenzen und achtet dabei die Menschenrechte – weltweit. Die öffentlichen und politischen Debatten lassen jedoch den massiv steigenden Rohstoffbedarf der Automobilindustrie durch die Antriebswende und deren sozial-ökologische Konsequenzen vielfach außer Acht. Ich nehme wahr, dass die Bundesregierung in ihrer Politik die Versorgungssicherheit der deutschen Automobilindustrie und nationale Wirtschaftsinteressen ins Zentrum stellt, beispielsweise bei der im letzten Jahr aktualisierten Nationalen Rohstoffstrategie. Umweltschutz oder Menschenrechte werden dort nicht einmal erwähnt. INKOTA fordert, dass die Lebensinteressen aller Menschen mehr zählen müssen als ökonomische Profitinteressen. Klimaschutz im Verkehrssektor darf also nicht gegen den Schutz von Biodiversität, Menschenrechten und dem Gemeinwohl ausgespielt werden.

? Welche Probleme bringt die starke Förderung von Elektromobilität in den Bereichen Ressourcengerechtigkeit und Menschenrechte?

! Um den steigenden Rohstoffbedarf für die Automobilindustrie zu decken, werden hohe Risiken für Umwelt und Menschenrechte in Kauf genommen. Bereits jetzt wird z.B. Forschung zum Rohstoffabbau in besonders sensiblen Gebieten wie der Tiefsee, Regenwäldern oder der Arktis mit unabsehbaren Folgen betrieben. Planetare Grenzen und der Schutz von Biodiversität werden dabei meist ignoriert. Viele metallische Rohstoffe werden außerdem in politisch fragilen Staaten im Globalen Süden abgebaut, in denen die Rechte der Bevölkerung oftmals nicht geachtet werden. Der Abbau von Rohstoffen wie Lithium, Kobalt oder Nickel hat nicht nur ökologische Folgen, sondern auch gesundheitliche Auswirkungen wie Atemwegserkrankungen durch Feinstaub, verseuchtes Grundwasser oder steigende Krebsraten.

? Können Sie uns ein konkretes Beispiel für die sozial-ökologischen Folgen des hiesigen E-Auto-Booms für die Abbaugebiete im Globalen Süden nennen?

! Besonders gravierende Folgen hat der Kobaltbergbau in der Demokratischen Republik (DR) Kongo. Kobalt ist ein wichtiger Rohstoff in E-Auto-Batterien: Der Akku eines Elektroautos enthält rund 3000-mal mehr Kobalt als der eines Smartphones.
Die DR Kongo ist für den Kobaltabbau zentral: Etwa 64 Prozent des weltweit benötigten Kobalts wurden dort 2017 abgebaut, rund 20 Prozent davon  im sogenannten Kleinbergbau. Laut Amnesty International waren 2017 hier 110.000 bis 150.000 Kleinschürfer*innen beschäftigt, die Kobalt oft mit bloßen Händen und traditionellen Werkzeugen in selbstgebauten Tunneln schürfen.
Die Kleinschürfer*innen sind dabei besonders hohen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt, da Schutzbekleidung und Sicherheit am Arbeitsort oft fehlen und sie Kobaltstaub einatmen. Hinzu kommt, dass Kleinschürfer*innen von den industriellen Minenbetreibern häufig benachteiligt, vertrieben und von den Zwischenhändlern nicht angemessen bezahlt werden. Das führt immer wieder zu sozialen Spannungen in den Bergbaugemeinschaften. Amnesty International berichtet außerdem bis heute von Kinderarbeit in der Kobaltlieferkette, insbesondere beim Waschen der Mineralien.
 
Auch die Umweltauswirkungen sind untragbar: Für die Gemeinschaften vor Ort hat der Kobaltabbau oft schädliche Folgen, wie die Zerstörung von Naturschutzgebieten, Landverlust und Zwangsumsiedlungen, sinkende Grundwasserspiegel und verseuchtes Trinkwasser. In den Abbaugebieten erkranken Menschen mit höherer Wahrscheinlichkeit an Lungenerkrankungen In einigen Fällen wurde ein bis zu 43-fach erhöhter Kobaltgehalt im Blut nachgewiesen. Kein Unternehmen, das Kobalt aus der DR Kongo bezieht, schafft es, volle Transparenz über die gesamte Lieferkette bis zur Mine herzustellen und kann die Verwendung von Kobalt aus Kleinbergbau in der DR Kongo gänzlich ausschließen.

? Wie können solche Probleme gelöst werden?

! Mit unserer Partnerorganisation vor Ort CARF  (Centre Arrupe pour la Recherche et la Formation) setzen wir uns für eine Stärkung der Rechte von Kleinbergbaukooperativen ein. Unternehmen wie BMW haben begonnen, Kobalt aus anderen Regionen wie Australien oder Marokko zu beziehen und sich aus der DR Kongo zurückzuziehen.

Außerdem diskutieren Industrie und Forschung, ob und inwiefern Kobalt in den E-Auto-Akkus zukünftig reduziert oder durch andere Rohstoffe ersetzt werden könnte. Momentan sind diese Szenarien noch nicht realistisch bzw. in großem Stil übertragbar.
Denn letztlich löst eine Substitution durch andere Rohstoffe oder eine Verlagerung der Kobalt-Lieferkette in andere Länder nicht alle Probleme: Erstens ließe sich diese Strategie nicht auf die gesamte Automobilindustrie übertragen, da sich ein großer Teil der globalen Kobaltvorkommen in der DR Kongo befindet. Zweitens besteht vor Ort eine sehr große Abhängigkeit der lokalen Bevölkerung vom Kobalt-Kleinbergbau.

? Werden dabei koloniale Strukturen reproduziert?

! Absolut. Obwohl viele Länder des Globalen Südens sehr reich an metallischen und mineralischen Rohstoffen sind, profitiert die lokale Bevölkerung kaum davon. Da die Rohstoffe oft unverarbeitet exportiert werden, sind die Einnahmen in den rohstoffabbauenden Länder selbst verhältnismäßig gering – ein Großteil der Wertschöpfung und damit auch der Gewinne wird in den Industrieländern erzielt.
Die deutsche Handels- und Rohstoffpolitik verstärkt diese oft imperialen Verhältnisse, indem nationale Versorgungsinteressen zum Beispiel mithilfe von bilateralen Rohstoffpartnerschaften durchgesetzt werden. So ist es für rohstoffreiche Länder schwer, ihre eigene Wirtschaft zu stärken, aber auch menschenrechtliche und ökologische Standards durchzusetzen. Da müssen wir alle, Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft, gegensteuern. Doch die Chance, Menschenrechte und Umweltstandards in globalen Rohstofflieferketten wirkungsvoll zu stärken, hat die Bundesregierung aus meiner Sicht verpasst. Mit dem Lieferkettengesetz sind wir noch lange nicht am Ziel, aber es ist ein erster und wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

? Welche Versäumnisse sehen Sie beim Lieferkettengesetz? Welche weiteren Forderungen stellen Sie an politische Entscheidungsträger*innen?

! Das Lieferkettengesetz, das am 11. Juni vom Bundestag verabschiedet wurde, ist lückenhaft und greift im Rohstoffsektor viel zu kurz. Die Industrieverbände haben durch ihre aggressive Lobbyarbeit und den Schulterschluss mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier erreicht, dass das Gesetz hinter internationalen Standards wie den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und teilweise sogar hinter der unternehmerischen Praxis zurückbleibt. So verpflichtet es Unternehmen nicht zu einer präventiven Risikoanalyse und entsprechenden Maßnahmen in ihrer gesamten Lieferkette bis zum Bergbau, sondern nur bis zu ihren unmittelbaren Zulieferern.
Unternehmen müssen  in tieferen Lieferkettenstufen erst dann aktiv werden, wenn sie Kenntnis von Menschenrechtsverletzungen haben oder Beschwerden gegen sie vorliegen. Allerdings ist dann der Schaden bereits entstanden und für präventive Maßnahmen und Schadensverhütung ist es zu spät. Genau das ist aber die Anforderung der UN-Leitprinzipien.
Die Hürden für Betroffene, vor einem deutschen Gericht auf Entschädigung zu klagen, sind weiterhin sehr hoch. Die Unternehmen müssen potenziell Betroffene und lokale Zivilgesellschaft nicht verpflichtend einbeziehen und auch bei der Einrichtung von zugänglichen und sicheren Beschwerde­mechanismen bleibt das Gesetz sehr vage.  Ich  frage mich ernsthaft, ob das Gesetz im Rohstoffsektor überhaupt genug Wirkung entfalten wird. Das bleibt abzuwarten und kritisch zu beobachten.

Außerdem wurde die Chance verpasst, die ILO Konvention 169 zur Stärkung der Rechte indigener Völker, welche die Bundesregierung erst im April ratifiziert hat, im Lieferkettengesetz zu verankern. Die Konvention soll das sogenannte Vetorecht für indigene Gemeinschaften sicherstellen. Das bedeutet, dass sie der Planung eines Bergbauprojekts zustimmen müssen. Es ist enttäuschend, dass die Stärkung der Rechte indigener Völker keinen Eingang in das Lieferkettengesetz gefunden hat.
Auch eine umweltbezogene Sorgfaltspflicht ist im Gesetz nicht vorgesehen, sondern nur die Referenz auf drei internationale Umweltabkommen. Das ist ein großes Versäumnis insbesondere für den Rohstoffsektor, in dem Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen oft miteinander zusammenhängen, die Verbindung aber meist nicht leicht nachzuweisen ist.

Auf EU-Ebene soll aber diesen Herbst ein ähnliches Gesetz zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten auf den Weg gebracht werden, das sowohl Menschenrechte, Umweltschutz und Korruption abdecken soll und einen risiko­basierten Ansatz verfolgt. Das heißt, dass Unternehmen die wesentlichen Risiken in ihren Lieferketten angehen müssen, unabhängig davon, in welcher Stufe der Lieferkette sie auftreten. Als INKOTA und Teil der Initiative Lieferkettengesetz erhoffen wir uns von der anstehenden EU-Regelung, dass diese die Lücken des deutschen Lieferkettengesetzes füllt, eine zivilrechtliche Haftung für Unternehmen einführt und Betroffenen somit einen besseren Zugang zu Klage und Entschädigung ermöglicht.

? Was fordern Sie in diesem Zusammenhang von der Automobilindustrie?

!  Die Automobilindustrie sehe ich natürlich in der Pflicht, ihre menschenrechtlichen aber auch umweltbezogenen Sorgfaltspflichten wirksam umzusetzen und nachzubessern, anstatt das Lieferkettengesetz ganz eng auszulegen. Es braucht hier einen Dialog mit der Zivilgesellschaft und natürlich vor allem mit den (potenziell) betroffenen Abbaugemeinschaften und Arbeiter*innen. Viele deutsche Automobilunternehmen sind Mitglieder in Rohstoff- und Industrieinitiativen wie der Global Battery Alliance, was an sich nicht verkehrt ist, aber nicht zu einer Auslagerung ihrer Verantwortung führen darf.
Die Ziele und Maßnahmen von Brancheninitiativen sind an manchen Stellen nicht transparent, inklusiv und ambitioniert genug. Grundsätzlich sehe ich die Automobilindustrie in der Pflicht, für eine absolute Reduktion ihres Rohstoffverbrauchs zu sorgen.

? Was bedeutet das?

! Die Automobilindustrie verbraucht insgesamt enorm viele Rohstoffe – nicht nur für E-Autos. Im Zuge der Antriebswende wird zwar ein rasanter Anstieg des weltweiten Rohstoffbedarfs für die Automobilindustrie prognostiziert, aber wir dürfen nicht vergessen, dass auch in Verbrenner­autos große Mengen an metallischen Rohstoffen wie Kupfer, Aluminium und Stahl verbaut sind. Auch der Abbau dieser Rohstoffe ist mit erheblichen Menschenrechts- und Umweltrisiken verbunden.
Um diese möglichst zu vermeiden, müssen insgesamt deutlich weniger Autos produziert werden, egal  mit welcher Antriebstechnologie. Wir beobachten aber einen gefährlichen Trend: Bereits heute sind ein Viertel aller Neuzulassungen SUV, die deutlich größer und schwerer sind als andere Modelle und damit auch viel mehr Rohstoffe benötigen. Ich sehe die Automobilindustrie und die Bundesregierung hier in der Pflicht, für eine Kehrtwende im Umgang mit metallischen und mineralischen Rohstoffen zu sorgen.
 
? Wie würde diese Kehrtwende hin zu einer global gerechten Mobilität für Sie aussehen?

! Es kann keine zukunftsfähige und global gerechte Mobilitätswende ohne eine echte Rohstoffwende geben. Dabei sind mir zwei Säulen besonders wichtig: Erstens muss die Einhaltung von menschenrechtlichen und ökologischen Standards beim Rohstoffabbau und entlang der gesamten Lieferkette gesetzlich verpflichtend und auch einklagbar sein. Zweitens brauchen wir insgesamt viel weniger Autos auf den Straßen. Wir sollten nicht einfach die gesamte deutsche Pkw-Flotte mit E-Autos ersetzen. Weniger Autos wären nicht nur vorteilhaft für den Verbrauch von Rohstoffen, sondern auch für den Verbrauch von Flächen und Energie.

Dafür müssen wir weg vom Konzept des motorisierten Individualverkehrs hin zu mehr öffentlich geförderten, wirklich klimaschonenden Verkehrsmitteln wie ÖPNV, Schienen-, Fuß- und Radverkehr. Die Autos, die wir dann noch brauchen, sollten stärker gemeinschaftlich genutzt werden. Aber auch das automobile Produktdesign und der Produktionsprozess müssen dringend verbessert und menschenrechtliche wie ökologische Kriterien von Anfang mitgedacht werden.
Die Wiederverwertung von Rohstoffen und Prinzipien der Kreislaufwirtschaft sollten dabei ebenso eine Rolle spielen wie Bemühungen, insgesamt weniger Rohstoffe nutzen zu müssen. Dafür braucht es kleinere, leichtere und effizientere Autos, die langlebig, reparaturfähig und recycelbar sind. Nur so kann eine wirklich zukunftsfähige und global gerechte Mobilitätswende gelingen.

? Frau Siever, herzlichen Dank für dieses aufschlussreiche Gespräch!