Neues Lieferkettengesetz: Menschenrechte oder Wirtschaft stärken?

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Die etwa zwei Millionen, auf Kakaoplantagen ausgebeuteten Kinder zeigen: Wir brauchen einen gesetzlichen Rahmen
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Tote und Verletzte bei Einstürzen und Bränden in Textilfabriken zeigen: Wir brauchen ein Lieferkettengesetz
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Der Export von Glyphosat und anderen giftigen Pestiziden durch Chemiekonzerne zeigt: Wir brauchen ein Lieferkettengesetz
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Am 12. Februar verkündeten Bundesarbeitsminister Heil (SPD), Bundesentwicklungsminister Müller (CSU) und Bundeswirtschaftsminister Altmaier (CDU) das lang ersehnte Lieferkettengesetz. Letzte Woche hatte das Bundeskabinett den entsprechenden Gesetzentwurf dann beschlossen. Dabei erschien es kaum mehr realistisch, dass es zu einer Einigung kommen würde, nachdem Wirtschaftsminister Altmaier sich lange Zeit quergestellt hatte. Leider ist der Gesetzesentwurf in essentiellen Punkten wirkungslos - er bleibt weit hinter den Erwartungen von Menschenrechts- und Umweltorganisationen zurück.

Immer wieder hatte sich in der Vergangenheit gezeigt, dass die rein freiwillige Zusage von Unternehmen, Menschen- und Umweltrecht zu schützen, keine ausreichende Wirkung herbeiführt (siehe "Nachhaltiger" Kautschukanbau in Sumatra). Zu oft wurden Fälle aufgedeckt, bei denen Menschen unter unwürdigen Bedingungen, fragwürdigen Sicherheitsstandards und bei Unterbezahlung für deutsche Unternehmen arbeiteten. Gleichzeitig sind deutsche Unternehmen oft – indirekt oder direkt – verantwortlich für Schäden an der Umwelt im Ausland. Deswegen steht schon lange fest: eine gesetzliche Verpflichtung ist dringend notwendig!

Das Lieferkettengesetz legt fest – sofern der vorliegende Entwurf im Sommer vom Parlament verabschiedet wird – inwieweit deutsche Unternehmen für die Einhaltung von Menschen- und Umweltrecht ihrer Zulieferer weltweit Sorge tragen müssen. Unternehmen gesetzlich in die Pflicht zu nehmen, ihrer sozialen und ökologischen Verantwortung nachzukommen, ist ein wichtiger und längst überfälliger Schritt. Wir sind allerdings skeptisch, dass die im Gesetzentwurf beschriebenen Sorgfaltspflichten umfassend und weitreichend sind.

Die Einhaltung des Gesetzes wird – so steht es im Entwurf – vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle überprüft. Bei Verstoß kann das Bundesamt Bußgelder verhängen sowie Verbote erteilen, an öffentlichen Ausschreibungsverfahren teilzunehmen. Unternehmen müssen dem Bundesamt außerdem regelmäßig über ihre Aktivitäten, Bemühungen und Maßnahmen im Ausland Bericht erstatten. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle soll Unternehmensberichte kontrollieren und Beschwerden nachgehen.

Der vorliegende Entwurf ist weit schwächer, als die Initiative Lieferkettengesetz und viele Bürger*innen gefordert hatten. Die Kritik an dem Gesetzesentwurf setzt sich aus folgenden Punkten zusammen:

  • Nur sehr große Unternehmen ab 3000 Mitarbeitenden unterliegen ab 2023 dem Gesetz. Erst ab 2024 gilt es auch für Unternehmen ab 1000 Mitarbeitenden. Gefordert hatte die Initiative das Gesetz für alle Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden (laut Handelsgesetzbuch als „große Unternehmen“ eingestuft). Bei der Zählung der Angestellten werden zwar Zeitarbeitende mitgezählt, Angestellte eines Unternehmens im Ausland allerdings nicht. Das ist völlig absurd, da es um genau diese international agierenden Unternehmen geht!
  • Die Abstufung der Sorgfaltspflichten ist Hauptkritikpunkt an dem Gesetzesentwurf und sieht in der Praxis folgendermaßen aus: Nur für direkte Zuliefernde soll die Sorgfaltspflicht in vollem Umfang gelten. Ein Unternehmen muss bei seinen sogenannten „mittelbaren Zuliefernden“ allerdings nur dann seiner Sorgfaltspflicht nachgehen, wenn bereits der Verdacht auf oder der Verstoß gegen geltendes Recht stattgefunden hat. Offiziell wird dies „substantiierte Kenntnis“ genannt. Für Mensch und Umwelt ist dies zu spät! Dieses Vorgehen widerspricht den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Nach diesem Menschenrechtsstandard stehen Unternehmen in der Verantwortung, Menschenrechte entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu achten.
  • Mit dem Lieferkettengesetz tritt keine eigenständige zivilrechtliche Haftung ein. Das heißt, dass ein Schadensersatz für Betroffene weiterhin nur sehr schwer vor einem deutschen Gericht einzufordern ist.
  • Die Verpflichtung zu mehr Umweltschutz ist nur sehr begrenzt und auf bestimmte Bereiche beschränkt. Umweltzerstörung soll nur dann geahndet werden, wenn es in diesem Zusammenhang auch zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Dies entbehrt in der Klimakrise und vor dem Hintergrund des rasanten Artensterbens jeder Grundlage!

„Ziel eines Lieferkettengesetzes muss es sein, Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung zu verhindern, bevor sie eintreten – und zwar nicht nur bei direkten Zulieferern, sondern entlang der gesamten Lieferkette. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung verfehlt dieses Ziel“, kritisiert Johannes Heeg, Sprecher der Initiative Lieferkettengesetz. Jetzt sind die Abgeordneten des Bundestags in der Pflicht. Sie müssen Nachbesserungen einfordern und sicherstellen, dass das Gesetz internationalen Standards entspricht.

ROBIN WOOD ist Teil der Initiative Lieferkettengesetz, einem zivilgesellschaftlichen Bündnis aus über 100 Menschenrechts-, Entwicklungs- und Umweltorganisationen, Gewerkschaften und Kirchen. Wir werden gemeinsam für den Schutz von Umwelt und Menschenrechten weltweit kämpfen! Denn die soziale und ökologische Gerechtigkeit für alle Menschen liegt in unserer aller Verantwortung. Wir dürfen nicht länger Umweltzerstörung, Menschenrechtsverletzung und Ausbeutung für unseren Konsum in Kauf nehmen!