Gefährlicher Etikettenschwindel

Wirtschaften, ohne den Planeten zu ruinieren – das ist der Anspruch, den die EU-Kommission mit ihrem „Green Deal“ einlösen will. Helfen bei der Umsetzung soll ein neues Regelwerk, die sogenannte Taxonomie. Diese Klassifikation definiert, welche Wirtschafts- und Finanzaktivitäten in der EU als ökologisch nachhaltig gelten. Wer dementsprechend wirtschaftet, soll es erheblich leichter haben, an Kapital dafür zu gelangen.

Inwieweit es tatsächlich gelingt, mit diesem Steuerungsinstrument Geldströme so umzulenken, dass Treibhausgase und Umweltzerstörung reduziert werden, hängt an der – hoch politischen – Ausgestaltung dieser so wissenschaftlich klingenden Taxonomie, und hier tun sich Abgründe auf.

Starke öffentliche Aufmerksamkeit hat bislang der – vor allem zwischen Frankreich und Deutschland geführte – Streit um die Bewertung von Atomkraft und Gas bekommen. Die Entscheidung darüber war so umstritten, dass sie vorerst ausgeklammert wurde, während der Großteil des Regelwerks zum 1. Januar kommenden Jahres in Kraft treten wird. 

Deutschland hat sich aus guten Gründen aus der gefährlichen Atomtechnologie mit den auf ewig strahlenden Altlasten verabschiedet – die letzten atomaren Leistungsreaktoren werden endlich im kommenden Jahr vom Netz gehen. Frankreich dagegen will den hohen Anteil der Atomkraft von 70 Prozent am Energiemix im eigenen Land weiter steigern und eine Milliarde Euro zusätzlich in die Atomtechnik investieren. Entsprechend macht Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gemeinsam mit neun weiteren EU-Staaten Druck auf die EU-Kommission, Atomkraft als nachhaltig einzustufen. Welch ein Irrsinn, angesichts von Tschernobyl und Fukushima und dem auf Millionen Jahre tödlich strahlenden Müll und horrenden Kosten, die auf die Allgemeinheit abgewälzt werden!

Deutschland wiederum macht sich fürs Erdgas stark, obwohl auch diese klimaschädliche Energieform keinesfalls ein Nachhaltigkeitslabel verdient. Bisher ist offen, wie dieser Streit ausgeht. Die EU-Kommission hatte angekündigt, bis heute einen Vorschlag vorzulegen. Nun wird die Entscheidung über die Einstufung von Energiequellen offenbar erneut verschoben. Zu befürchten ist ein fauler Kompromiss, Atomenergie und Gas als Übergangskraftstoffe in die Liste nachhaltiger Finanzierungen aufzunehmen.

Viel weniger öffentliche Aufmerksamkeit bekam, dass durch den ersten delegierten Rechtsakt zur Konkretisierung der Taxonomie auch das Verfeuern von Biomasse zur Strom- und Wärmeproduktion als nachhaltig eingestuft wird. Damit dürften künftig nicht nur mehr privates Kapital, sondern auch mehr Fördergelder, europäische und nationale Beihilfen und Steuergelder in die Holzverfeuerung fließen.

Besonders Länder mit einer starken Holzindustrie wie Finnland und Schweden hatten Druck gemacht, um noch mehr für diese Branche rauszuholen.

Wie stark etwa die schwedische Regierung auch eigene wirtschaftliche Interessen verfolgt, zeigt sich am Beispiel Vattenfall. Der Konzern ist zu 100 Prozent in Staatsbesitz und setzt voll auf das Geschäft mit der Biomasse, sowohl auf den Handel mit Pellets als auch auf das Verfeuern von Holzbiomasse in Kraftwerken, auch in Deutschland. Doch Holz für die Produktion von Strom und Wärme in industriellem Maßstab zu verfeuern, schadet den Wäldern und dem Klima und läuft dem in der Taxonomie genannten Prinzip der Kreislaufwirtschaft komplett zuwider.

Durch die Einstufung von Atom, Gas- und Holzenergie als nachhaltig würde die Taxonomie ihre Glaubwürdigkeit von vornherein verspielen, so dass ein an sich gutes Steuerungsinstrument nun droht, Umwelt und Klima mehr zu schaden als zu nutzen. Die Auseinandersetzung darum wird und muss auch im kommenden Jahr weitergehen  – damit nur dort ein Öko-Siegel draufklebt, wo auch tatsächlich ausschließlich klimafreundliche, erneuerbare Energien drinstecken!