30 Tage Entlastungspaket: Verkehrswende sieht anders aus!

Seit fast einem Monat ist das „Entlastungspaket“ der Ampelregierung in Kraft. Zu den am meisten diskutierten Maßnahmen des Pakets gehören der Tankrabatt, eine dreimonatige Steuerentlastung auf Kraftstoffe, sowie das 9-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr. Aus mobilitätspolitischer Perspektive ist es Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen.

Der Tankrabatt, der maßgeblich von Finanzminister Lindner vorangetrieben wurde, steht seit Wochen in der öffentlichen Kritik. Obwohl selbst prominente Wirtschaftswissenschaftler*innen im Vorhinein mehrfach davor gewarnt hatten, ist der Tankrabatt bereits kurz nach seiner Einführung fast vollständig verpufft. Die Steuerentlastung kommt kaum bei den Verbraucher*innen an, Diesel ist aktuell sogar teurer als vor der Einführung des Tankrabatts. Die Befürchtungen vieler Kritiker*innen haben sich also bestätigt: ein großer Teil der Maßnahme kommt nicht den Autofahrer*innen, sondern den Mineralölkonzernen zugute, die die Steuersenkung nicht an die Verbraucher*innen weitergeben und zusätzliche Gewinne einstreichen. Das hat sogar das Bundeskartellamt veranlasst, ab jetzt genauer auf die Preispolitik der Mineralölkonzerne schauen zu wollen. Wirtschaftsminister Habeck kündigte an, das Kartellrecht nachschärfen zu wollen. Für die Autofahrer*innen, die aktuell noch immer unter den hohen Spritpreisen leiden, dürfte diese Reform allerdings angesichts des ohnehin bis Ende August befristeten Tankrabatts zu spät kommen. Zusätzlich verursacht die Maßnahme enorm hohe Kosten für die Staatskasse ohne nennenswerte Entlastungswirkung. Das absehbare Scheitern des Tankrabatts macht das politische Versagen der Ampelregierung, insbesondere der FDP, damit besonders deutlich.

Im Gegensatz zum Tankrabatt ist das 9-Euro-Ticket in vielerlei Hinsicht ein deutlich erfolgreicheres Experiment. Seine massenhafte Nutzung seit der Einführung am 1. Juni zeigt, wie hoch der Bedarf an bezahlbarer öffentlicher Mobilität ist: laut dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen wurden bereits rund 16 Millionen 9-Euro-Tickets verkauft. Auf der anderen Seite werden ausgerechnet durch das 9-Euro-Ticket die Versäumnisse der jahrzehntelangen autozentrierten Politik offensichtlich: vor allem der Schienennahverkehr stößt aktuell an sämtliche Kapazitätsgrenzen. Jedes Wochenende erleben wir Regionalzüge, die aus allen Nähten platzen, Menschen, die am Gleis zurückgelassen werden müssen und völlig überlastetes Bahnpersonal. Wegen überfüllter Waggons müssen einige Verkehrsbetriebe nun sogar die Fahrradmitnahme in ihren Zügen stark einschränken – ausgerechnet zur Ferien- und Ausflugszeit. Eine erfolgreiche Verkehrswende sieht anders aus.

Doch Medien und Politik ziehen an manchen Stellen die falschen Schlüsse aus überfüllten Bahngleisen: Klar ist, dass die hohe Auslastung einen enorm hohen Bedarf an bezahlbarer Mobilität und eine hohe Bereitschaft zum Umsteigen widerspiegelt. Allen medialen Unkenrufen zum Trotz ist es aber nicht auf das 9-Euro-Ticket per se zurückzuführen, dass der Nahverkehr aktuell vor allem an den Wochenenden kurz vor dem Kollaps steht – es ist das fehlende Angebot, das diesen hohen Bedarf aktuell kaum decken kann! Ein erfolgreicher Umstieg auf die Öffis gelingt also nur dann, wenn das Angebot endlich ausgebaut und zugänglicher gemacht wird. Denn wenn wir unsere klima- und verkehrspolitischen Ziele ernst nehmen, müssen wir dafür sorgen, dass die Fahrgastzahlen im ÖPNV auch nach dem Ende der Ticketvergünstigung hoch bleiben und sogar noch mehr Menschen von individualisierter auf öffentliche Mobilität umsteigen!

Der Kern des Problems ist also, dass es aufgrund der eklatanten verkehrspolitischen Versäumnisse der letzten Jahrzehnte zu wenige Züge, zu schlechte Infrastruktur und insbesondere zu wenig Personal im Nahverkehr gibt. Diese Probleme lassen sich bis Ende August nicht ad-hoc ausräumen, sodass eine Maßnahme, die viele Menschen entlasten sollte, nun leider vor allem zulasten der Beschäftigten im ÖPNV geht. Der Krankenstand unter Bahn-Mitarbeiter*innen ist daher aktuell so hoch wie schon lange nicht mehr. Ohne massiven Ausbau der Öffis gelingt also kein dauerhafter Umstieg.

In diesem Zusammenhang ist jedoch eine weitere Nachricht besonders besorgniserregend: einige Bundesländer warnen bereits davor, dass die ÖPNV-Tarife nach Auslaufen des 9-Euro-Tickets aufgrund der gestiegenen Energie- und Personalkosten deutlich erhöht werden könnten. Dabei wird ein weiteres Problem der Maßnahme deutlich: auch das 9-Euro-Ticket läuft Gefahr, keine nennenswerte Entlastungswirkung über ein kurzfristiges Strohfeuer hinaus zu entfalten, wenn danach alle Menschen noch tiefer in die Tasche greifen müssen, um Bus und Bahn zu fahren. Schon jetzt besteht die Gefahr, dass die Entlastung nicht bei den Menschen ankommt, die am meisten unter den steigenden Lebenshaltungskosten leiden. So mussten beispielsweise in Baden-Württemberg einige Sozialleistungsempfänger*innen Rückzahlungen an das Jobcenter leisten, da sie durch das 9-Euro-Ticket weniger Ausgaben für Mobilität gehabt hätten. Dass dadurch die von der Ampelregierung selbst proklamierten Ziele des „Entlastungspakets“ auf groteske Art und Weise konterkariert werden, ist offensichtlich.

Dennoch ließ Verkehrsminister Wissing bereits verlauten, dass er eine Fortführung des 9-Euro-Tickets trotz der Nutzung durch bereits 16 Millionen Menschen ausschließt, weil dies nicht finanzierbar sei. Die FDP-Doppelmoral wird hier wieder einmal besonders deutlich, denn der nachweislich fast wirkungslose Tankrabatt kostet den Bund mehr als drei Milliarden Euro, seine potentielle Verlängerung stößt aber insbesondere bei CDU und FDP auf offene Ohren. Angesichts der sich verschärfenden geo-, energie- und klimapolitischen Lage sollte es allerdings nach wie vor zentrales Ziel der Bundesregierung sein, unabhängiger von fossilen Energien zu werden. Der Umstieg auf die Öffis darf daher kein kurzfristiges Experiment bleiben. Dafür muss der Nahverkehr aber auch nach dem 9-Euro-Sommer bezahlbar bleiben – statt Preiserhöhungen braucht es also attraktive und bezahlbare Ticket- und Tarifmodelle, die Neueinsteiger*innen langfristig binden und dem bisherigen Dschungel aus unterschiedlichen und undurchsichtigen ÖPNV-Tarifen etwas entgegensetzen. Dabei wird jedoch erneut deutlich, dass den Ländern die notwendigen finanziellen Mittel für die Zukunftssicherung des ÖPNV fehlen – das muss sich ändern!

Nach fast einem Monat „Entlastungspaket“ lässt sich daher folgendes Zwischenfazit ziehen: Dass die Nachfrage nach bezahlbarer öffentlicher Mobilität hoch ist, hat das 9-Euro-Ticket bewiesen. Um dieser Nachfrage auch in Zukunft gerecht werden zu können, brauchen wir flächendeckende, attraktive und bezahlbare Alternativen zum Auto, die barrierefrei, gut zu erreichen und bequem sind. Die Bundesregierung muss daher jetzt massiv in den Ausbau des Nahverkehrsangebots investieren – dazu gehören neben dem Ausbau der Infrastruktur vor allem auch mehr Mittel für Personal. Dabei sind nicht nur die Länder, sondern insbesondere auch der Bund in der Pflicht: Um zusätzliche Mittel für den Ausbau und die Modernisierung des ÖPNV bereitstellen zu können, sollten teure aber klima- und sozialpolitisch schädliche Maßnahmen wie der Tankrabatt sofort beendet werden!