„MS Wissenschaft“ auf Werbetour für die Bioökonomie

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"Ökosystem Aquakultur": Zuchtanlagen an Land sollen eine Lösung sein, um die Nachfrage nach Fischen und Meeresfrüchten zu befriedigen. Das Modell in der Bioökonomie-Ausstellung zeigt Plexiglasbehälter mit Fischen, Muscheln und Algen.
Foto ▸ Lara Schultz/Wissenschaft im Dialog

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Pflanzenstärke statt Kunststoff aus Erdöl: Im 3-D-Drucker entstehen kleine, blaue Schiffe aus Zuckerrüben. Anders als Zuckerrüben könnten sie nach Gebrauch allerdings nicht einfach kompostiert werden.
Foto ▸ Heiner Witte/Wissenschaft im Dialog

Zurzeit tourt ein besonderes Schiff durch Deutschland: die „MS Wissenschaft“, ein umgebauter Kohlefrachter, der das Thema „Bioökonomie“ im Auftrag des Bundesforschungsministeriums populär machen soll. Im Bauch des Schiffes befindet sich eine umfangreiche, kostenlos zu besichtigende Ausstellung. Die Sommermonate über wird die „MS Wissenschaft“ als schwimmendes „Science Center“ rund 40 Städte in Deutschland und Österreich besuchen. Die Auftaktveranstaltung war am vergangenen Wochenende im Sandtorhafen in der Hamburger Hafen-City.

Die Jahre 2020/21 hat das Bundesforschungsministerium zu Wissenschaftsjahren der Bioökonomie ernannt. Die Bioökonomie soll biologische Ressourcen erschließen, um Produkte und Verfahren in allen Sektoren des Wirtschaftssystems bereitzustellen. "Biologisches Wissen" und "technologische Lösungen" sollen zur Rettung des Planeten zusammen kommen und den Weg ebnen: weg vom fossilen, hin zum biogenen Wirtschaften.

„Lassen Sie sich von den Möglichkeiten der Bioökonomie faszinieren. Sie sind schon heute wesentlich größer als viele denken“, wirbt Bundesforschungsministerin Anja Karliczek für die Ausstellung.

Die Besucher*innen sollen staunen und begeistert sein, was Wissenschaft und Technik alles möglich machen und mit anderen Augen in die Welt schauen: Aus Mais und Zuckerrohr lässt sich Plastik herstellen, der Wald ist eine Bioraffinerie, Fische, Muscheln und Algen lassen sich an Land in Aquakultur-Becken produzieren. „Sämtliche Tiere und Pflanzen können als Ressource verwendet werden. Das sorgt nicht nur für eine hohe Umweltverträglichkeit, sondern erhöht auch die Wirtschaftlichkeit der Anlage“, preist die Ausstellung etwa ein Exponat zum „Ökosystem Aquakultur“ der Fraunhofer-Einrichtung für Marine Biotechnologie.

Die Ausstellung ist eine große Werbeveranstaltung für die Bioökonomie, die es ermögliche, die Ressourcen zu schonen und gleichzeitig „unseren Lebensstandard“ zu sichern. Wir schöpfen also weiter aus dem Vollen und belasten den Planeten und das Klima trotzdem nicht?

Zwar nehmen die Ausstellungsmacher*innen für sich in Anspruch, auch kontroverse gesellschaftliche Debatten zu beleuchten, doch lösen sie dies nicht im Ansatz ein. Ein Gang durch die Ausstellung ist daher vor allem interessant im Hinblick darauf, welche Kontroversen und Fragen fehlen:

Welche Potenziale hat unser Planet und wo liegen die Grenzen des „grünen“ Wachstums? Wie viele und welche Produkte brauchen wir und welche gehören verboten? Wie lassen sich die Ökosysteme naturnäher gestalten? Wer profitiert und wer leidet, wenn die Konkurrenz um Äcker, Wälder, Flüsse und Meere weiter steigt? Wenn Lebensmittel nicht auf dem Teller, sondern im Tank oder in der Plastikproduktion landen? Wenn Wälder als Bioraffinerien und Holzfabriken ausgebeutet werden? Wie könnten die neu erschlossenen „Bio“-Ressourcen gerecht verteilt werden?

Die gesellschaftliche Debatte über diese bioökonomischen Fragen läuft längst. Die Ausstellung aber setzt mehr aufs Staunen als aufs Befähigen zur eigenständigen Reflexion über die Folgen der Bioökonomisierung. Der angestrebte Dialog kann so nicht gelingen.

ROBIN WOOD wird sich gemeinsam mit anderen Organisationen der Klimagerechtigkeitsbewegung weiterhin dafür stark machen, dass die Politik der Bioökonomie klar definierte Wachstumsgrenzen setzt, um ein Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen zu gewährleisten.

Übrigens: Auch ROBIN WOOD wird in diesem Jahr wieder auf Tour gehen – nicht mit einem Schiff, sondern mit einem kleinen Holzfloß. „Mit Rückenwind für eine echte Energiewende“ heißt dann unser Motto. Dabei beleuchten wir die Bioökonomie von einer anderen Seite. Denn in zahlreichen Städten gibt es Pläne, in umgerüsteten Kohlekraftwerken künftig Holz-Biomasse statt Kohle zu verfeuern – eine Form der Energieproduktion, die Klimakrise und Artensterben verschlimmert und den Druck auf die Wälder erhöht. Deshalb wird ROBIN WOOD die Tour nutzen, um für Energiesparen, den Einsatz klimafreundlicher, erneuerbarer Energien und den Wechsel zu Ökostromanbietern einzutreten.