Wald statt Asphalt. Für mehr Leben auf den Straßen.

Die Verkehrsszene in Wissenschaft und Politik ist, jenseits aller fein differenzierenden Gender-Debatten, eine Männerwelt. Es geht um Zahlen, Technik, Motoren, Bob den Baumeister, große Baustellen mit schweren Maschinen und echten Kerlen, strengen Gesetzen und viel Geld. Baggerführer, Lokführer – so inszenieren sich auch gern Spitzenpolitiker.

Der Masterplan aller Verkehrspolitik ist der „Bundesverkehrswegeplan“. Darin steht, wie viel Geld für welche Fernstraßen, Schienen und Wasserwege verbaut wird. Gerade wurde ein neuer „BVWP“ verabschiedet, der letzte lief seit 2003. Er untergliedert sich in Fünfjahrespläne, die „Investitionsrahmenpläne“. Sie sind Grundlage für den jährlichen Haushalt des Dobrindt-Ministeriums und für die Bedarfsgesetze. Das Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur hat mit den größten Investitionsetat im Bundeshaushalt.

Unsinn nach Plan

Der Bundesverkehrswegeplan ist eines der irrationalsten Politikfelder überhaupt. Der Vertreter einer Verkehrsgewerkschaft beschrieb es mal so: „Bürgermeister A sitzt bei Staatssekretär B auf dem Sofa und heult.“ Echte Kerle heulen natürlich nicht, sondern „die Länder“ melden ihren „Bedarf“ für den Wegebau, für was wie viel Geld wo und wann ausgegeben werden soll, beim Bundesverkehrsministerium an. In den Medien heißen diese Listen gemeinhin „Wunschlisten“. Dieses wählt dann Projekte aus, die im Rahmen des Bundesverkehrswegeplanes bis 2030 umgesetzt werden sollen.

Bei der regionalen Aufteilung der Verkehrsinvestitionen geht es ganz offen um politisches Durchsetzungsvermögen. Jedes Bundesland will möglichst viel Geld aus Berlin und jeder Bürgermeister ein großes Stück vom Kuchen abbekommen. Bei Straßen kommt nur das Geld für Fernstraßen, namentlich Autobahnen und Bundesstraßen, vom Bund. Landesstraßen (in Bayern und Sachsen Staatsstraßen) finanziert das Land, dann sind die Kreise und Kommunen dran. Wer sich politisch durchsetzen kann, holt das Geld von der nächsthöheren föderalen Ebene – und baut die nächstgrößere Straße.

Ein Beispiel für daraus entstehenden verkehrspolitischen Unsinn ist die Verlängerung der Stadtautobahn in Berlin. 475 Millionen Euro sind für 3,2 Kilometer Autobahn von Berlin-Neukölln bis zum Treptower Park veranschlagt. Das heißt: Jeder Meter wird 150.000 Euro kosten. Es sind die mit Abstand teuersten Autobahnkilometer der Republik und sie führen mitten in innerstädtische Wohngebiete hinein.

Aus Prognose wird Bedarf, aus Bedarf wird Gesetz, aus Gesetz wird Beton

Zurück zum Bundesverkehrswegeplan. Die Länder melden „Bedarf“ an Bauprojekten an, der Bund wählt aus, wofür es Geld gibt. „Bedarf“ wird so ermittelt: Das Bundesverkehrsministerium erstellt eine Prognose. Die  Verkehrsprognose von 2010 besagt zum Beispiel, dass der Straßengüterverkehr, also Laster, bis 2025 um achtzig Prozent zunimmt. – Isso - Es gibt keine Steuerung, keine Zielvorgabe, keine verschiedenen Szenarien. Wo jetzt 100 Laster pro Stunde lang brettern, werden bald 180 durch brummen. Punkt. Dafür muss die Straße dann reichen, groß und breit genug sein. Oder eine neue muss her. Die Prognose begründet den zukünftigen Bedarf und aus diesem entstehen die „Bedarfsgesetze“, an denen Anwohner und Umweltverbände sich später juristisch abrackern können. Aber diese Bedarfsgesetze sind dann – vielleicht etwas, was niemand will, aber - geltendes Recht.

Subversives Spatenstechen

Prognosen basieren auf wissenschaftlichen Methoden. Der Mainstream der Verkehrswissenschaft zählt Verkehrsmittel auf Verkehrswegen. Die bessere Alternative wäre, die Bedürfnisse derjenigen., die die Verkehrsmittel nutzen, zum Ausgangspunkt der Infrastrukturpolitik zu nehmen. Um es zu verdeutlichen: Wenn es in einer ländlichen Region im Umkreis von fünfzig Kilometern ein zentrales Krankenhaus mit allen Versorgungsleistungen gibt, schafft das viel Verkehr auf den Landstraßen. Man kann deshalb die Straßen weiter ausbauen – oder Gesundheitsdienste dezentralisieren und so den Verkehr reduzieren. Straßen sind für Menschen da, und „der Verkehr“ ist Teil des öffentlichen Lebens.

Spatenstiche sind Zeichen politischer Kraftprotzerei. Subversive Aktionen anlässlich von Spatenstichen zielen darauf ab, sie zum Auslaufmodell in der politischen Arena machen. Das „dicke Auto“ als Statussymbol ist in manchen Kreisen schon angeschlagen. Für eine ökologische und soziale Verkehrswende lohnt es sich, die Scheinrationalität in Verkehrspolitik und -wissenschaft in Theorie und Praxis buchstäblich zu untergraben.

Foto Annika Fuchs

Fachreferentin Mobilität

Annika Fuchs

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