Anbaufläche für Agrosprit könnte Kalorienbedarf von 35 Mio. Menschen decken
Trotz dramatischer globaler Ernährungskrise und stark gestiegener Lebensmittelpreise landet 2022 in Deutschland noch mehr Essen im Tank als im Vorjahr / Grüne und SPD dürfen Blockade des Verkehrsministers nicht länger akzeptieren: Kabinettsentscheidung zum Ausstieg aus Agrosprit muss am 30. November fallen
Neue Berechnungen von Deutsche Umwelthilfe (DUH), foodwatch, Greenpeace, NABU, ROBIN WOOD und Transport & Environment illustrieren, in welch gewaltigem Umfang Deutschland wertvolle Nahrungsmittel als Kraftstoff verbrennt. Demnach könnte mit den Anbauflächen, auf denen derzeit Getreide, Raps und andere Pflanzen zur Produktion von Agrokraftstoff für den deutschen Markt wachsen, der Kalorienbedarf von bis zu 35 Millionen Menschen gedeckt werden. Weltweit sind derzeit 49 Millionen Menschen akut von Hungersnot bedroht.
Noch im Frühjahr 2022 hatte die Industrie beteuert, dass die stark gestiegenen Preise für Agrarrohstoffe die Produktion von Agrokraftstoff automatisch drosseln würden. Tatsächlich ist der Verbrauch von Agrosprit im laufenden Jahr jedoch angestiegen. Das unterstreicht, wie dringend es ist, die staatlichen Fehlanreize zu beenden.
Ein Vorschlag der Bundesumweltministerin Steffi Lemke für den Ausstieg aus Agrokraftstoff liegt bereits seit einem halben Jahr vor, wird aber von Verkehrsminister Volker Wissing blockiert. Die Umweltverbände drängen nun auf einen Beschluss am 30. November, wenn das Thema im Kabinett besprochen werden soll.
Dr. Johanna Büchler, Expertin für Klimaschutz im Verkehr bei der DUH: „Während sich die globale Hungerkrise zuspitzt, verheizt Deutschland faktisch Nahrungsmittel für bis zu 35 Millionen Menschen in Verbrennerautos - nur um sich die miserable Treibhausgas-Statistik im Verkehr schöner zu rechnen. Das ist skandalös. Wir brauchen jetzt den Ausstieg aus Agrosprit und den Einstieg in eine konsequente Mobilitätswende.“
Maik Marahrens, Campaigner bei Transport & Environment: „Angesichts der globalen Ernährungskrise hat die EU-Kommission schon früh nach Beginn des Krieges den Mitgliedsstaaten ihre Unterstützung bei der Reduzierung von Agrotreibstoffen zugesagt. Die europäischen Rahmenbedingungen geben den Ländern hierzu volle Freiheit - es gibt keinen vertretbaren Grund, diese nicht zu nutzen.“
Matthias Lambrecht, Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace: „Wissing sollte die zynische Schummelei mit dem Biosprit in der Klimabilanz beenden und endlich intelligente und wirksame Maßnahmen ergreifen, damit er als Verkehrsminister die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes erfüllt. Die Ampel-Koalition muss die Blockade der FDP überwinden. Deren überkommenes Bekenntnis zur Raserei ohne Tempolimit ist eine fragwürdige Klientelpolitik, für die weiter wertvolle Lebensmittel als Agrokraftstoff verschwendet werden sollen, während Millionen Menschen hungern. Das ist unsolidarisch und unverantwortlich.“
Leif Miller, Bundesgeschäftsführer des NABU: „Lebensmittel in den Tanks unserer Autos zu verbrennen, ist unverantwortlich. Die Bundesregierung muss endlich die Förderung von Agrokraftstoffen beenden. Es ist anachronistisch, auf Kosten von Mensch und Natur den Verbrennungsmotor auf Biegen und Brechen am Laufen halten zu wollen, anstatt Maßnahmen für echten Klimaschutz zu ergreifen.“
Rauna Bindewald, Campaignerin bei foodwatch: „Wertvolle Ackerflächen dürfen nicht für die Produktion von Agrokraftstoffen oder Tierfutter verschwendet werden. Unsere Agrarflächen müssen wir für den Anbau von Nahrungsmitteln nutzen – nicht, um Autotanks zu befüllen.“
Fenna Otten, Fachreferentin Tropenwald bei ROBIN WOOD: „Die weitere Förderung von Agrokraftstoffen führt zur Vertiefung der globalen Umwelt- und Klimaungerechtigkeit. Die Bundesregierung nimmt offenbar auch eine sich verschärfende Hungerkrise billigend in Kauf, um die Klimabilanz schönzurechnen.“
Hintergrund:
Der Vorschlag des Umweltministeriums sieht vor, den Einsatz von Agrosprit ab 2023 deutlich zu reduzieren und bis 2030 ganz zu beenden. Das Verkehrsministerium beharrt jedoch bisher auf der Nutzung von Agrokraftstoffen und begründet dies mit ihrem vermeintlichen Klimaschutzbeitrag. Dieser existiert jedoch nur auf dem Papier. Aufgrund des immensen Flächenverbrauchs und der zusätzlichen intensiven Landwirtschaft sind Agrokraftstoffe tatsächlich enorm klima- und umweltschädlich. Ihre staatliche Förderung als „erneuerbare Energie” im Verkehr stuft das Umweltbundesamt bereits seit 2008 als klima- und umweltschädliche Subvention ein.
Kontakt:
- Fenna Otten, ROBIN WOOD-Tropenwaldreferentin, Tel. +49 160 3441208, tropenwald [at] robinwood.de
- Ute Bertrand, ROBIN WOOD-Pressestelle, Tel. +49 1718359515, presse [at] robinwood.de