Klimaschutz oder Naturschutz? Ein Beispiel aus Leipzig

Im Norden Leipzigs, zwischen der Autobahn A 14, dem Gelände der Neuen Messe und einem Golfplatz, erhebt sich weithin sichtbar die ehemalige Deponie Seehausen. Dort entstand in den letzten Jahrzehnten eine Naturoase mit einer für Leipzig einzigartigen Tier- und Pflanzenwelt. Jetzt soll dieses Biotop für den Ausbau von Photovoltaik zerstört werden.

Auf der Deponie Seehausen ist ein vielfältiges Mosaik aus Biotopen mit hoher Artenvielfalt entstanden. Ein strukturreicher, naturnaher Wald entwickelt sich dort gerade. Deshalb hat die „Initiative Stadtnatur Leipzig“ im September 2022 einen Antrag auf eine sogenannte "einstweilige Sicherstellung als Naturschutzgebiet“ eingereicht. Die Initiative möchte die Naturoase erhalten und für die Bevölkerung und zukünftige Generationen erlebbar machen. Immerhin schmückt sich Leipzig gerne mit dem Label „Kommune der Biologischen Vielfalt“.

Klimaschutz gegen Naturschutz

Doch die Pläne der Stadt Leipzig sehen leider völlig anders aus. Die Leipziger Stadtwerke wollen auf der Deponie und in ihrem Umfeld, auf ca. 60 Hektar, insgesamt 75.000 Solarmodule errichten. Am 28. April 2021 stimmte der Stadtrat Leipzigs den Plänen als „Energieberg Leipzig-Seehausen“ zu. Gegen das Votum vieler Bürger*innen und des Ortschaftsrates Seehausen soll der eigentliche Deponiekörper mit Photovoltaik überplant werden. Die Betroffenen beklagen in einem Brief an Oberbürgermeister Burkhard Jung, dass der Leipziger Norden stückweise zum Industriegebiet degradiert würde.

Für die geplante PV-Anlage müssten mindestens 6,5 Hektar Wald gerodet werden. Zusätzlich wären randständige Bäume gefährdet, um Schattenwurf auf die Solarmodule zu verhindern. Das Waldinnenklima des verbleibenden Waldes würde empfindlich gestört. Die Population des seltenen Purpurnen-Knabenkrautes würde vermutlich erlöschen.

Die PV-Planung verstößt aus Sicht der Initiative gegen die ursprünglich formulierten städtischen und regionalen Planungen für das Gebiet. Der im August 2021 genehmigte “Regionalplan Leipzig-Westsachsen“ sieht als Ziel des „Kulturlandschaftsschutz“ den Erhalt der ehemaligen Deponie als Kuppe in der Sandlöss-Ackerebenen-Landschaft vor. „Aufgrund der extremen Waldarmut der Planungsregion sind der Schutz und die Erhaltung des vorhandenen Waldes in der Region von besonderer Bedeutung,“ heißt es im Regionalplan. Entsprechend ist für den Südhang ein „Vorranggebiet Walderhalt“ vorgesehen. Dennoch leitete im Februar 2023 die Landesdirektion ein sogenanntes “Zielabweichungsverfahren“ in die Wege, das die Festsetzungen zum Schutz der Natur aushebeln würde. Dass in Zeiten von Klima- und Biodiversitätskrise der Schutz und Erhalt von Wald als ein verbindliches Ziel der Raumordnung in der Regionalplanung aufgegeben werden soll, ist ein Skandal.

Naturschutz darf nicht gegen Klimaschutz ausgespielt werden

Statt Naturschutz gegen vermeintlichen Klimaschutz auszuspielen, brauchen wir eine naturschutzbasierte Klimapolitik, die auf Energieeinsparen, Regionalisierung und Demokratisierung der Energieversorgung zum Wohle der Bürger*innen setzt. Überall fehlen die PV-Anlagen: auf Dächern von Industrie- und Gewerbegebieten, auf Parkplätzen, auf versiegelten Flächen, auf städtischen Immobilien und entlang von Autobahnen. Auch im Umfeld der Deponie Seehausen mit der Neuen Messe und großen Unternehmensstandorten gibt es noch reichlich PV-freie Parkplätze und Dachflächen. Es darf nicht sein, dass diese Defizite der letzten Jahrzehnte ausgeglichen werden, indem äußerst wertvolle Biotope zerstört und Wälder gerodet werden.

Nur 24 Prozent der Waldbäume in Sachsen weisen laut Waldzustandsbericht 2021 keine Schädigungen auf. „Der Wald in Deutschland ist auf dem Weg in die Heißzeit“, so formuliert es Professor Pierre Ibisch von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde. Es gilt daher, jeden Wald, den wir noch haben, zu schützen! Verlieren wir unsere Ökosysteme und Wälder, werden wir auch den Kampf gegen die Klimakrise verlieren. Der Kampf gegen die Krise der Biodiversität wäre dann sowieso verloren.

 

Sukzessionswald, Orchideen und Brutvögel:

Auf den Böschungen und im Umfeld der Deponie Seehausen bei Leipzig sind in den letzten 30 Jahren fast 20 Hektar Wald gewachsen. Im Zuge der Rekultivierung wurde Eichen, Feldahorn, Linde und Kirsche gepflanzt. In Teilbereichen entstanden eigendynamisch sehr interessante Bestände. Hier könnten sich naturnahe Laubwälder entwickeln. Daneben ist ein kleinteiliges Biotopmosaik aus Offenland und Halboffenland entstanden.

Besonders artenreich ist die Vogelwelt. Zahlreiche gefährdete und ökologisch sehr anspruchsvolle Arten wie Heide- und Feldlerche, Sperbergrasmücke, Steinschmätzer, Wendehals, Grauammer und Neuntöter wurden mit teils hohen Bestandsdichten nachgewiesen. Ein besonderes Naturjuwel stellen drei seltene bzw. für Leipzig einmalige Orchideenarten dar: die Bienen-Ragwurz, das Weiße Waldvögelein und das Purpur-Knabenkraut, das in den lichten Eichenbeständen und Säumen an der Ostböschung eine individuenreiche Population etablieren konnte.

 

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Wiebke Engelsing, Diplom-Biologin, ist freiberuflich als Landschaftsplanerin und ehrenamtlich im Umwelt- und Klimaschutz in der Stadt Leipzig (Initiative Stadtnatur) engagiert. Axel Schmoll, Diplom-Biologe, war bis Ende 2022 im behördlichen Naturschutz tätig. Ehrenamtlich engagiert er sich v.a. im Waldschutz bei NuKLA e.V.

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Ein besonderes Naturjuwel im Wald auf der Deponie Seehausen ist die seltene Orchideenart Purpur-Knabenkraut
Foto ▸ Axel Schmoll