Wald ist mehr als Wirtschaft

29. Mai 2018
Wald
Jannis Pfendtner
Waldreferat ROBIN WOOD
Magazin

Deutschland im Jahr 2018: So richtig vorangehen will es nicht mit dem Natur- und Umweltschutz. Doch während die alte große Koalition noch das EU-weite Ende des Glyphosats verhinderte, die alte und die neue Koalition zu kleinsten Schritten gegen Feinstaub von Gerichten gezwungen werden mussten und die Klimaziele für 2020 von der neuen GroKo aktuell aufgegeben wurden, scheint es zumindest in einem Bereich sehr gut zu laufen: Klimaschutz im Wald.

Das könnte zumindest denken, wer die Hochglanzbroschüren verschiedener Verbände und Ministerien liest. So steht beispielsweise in der Charta für Holz 2.0 aus dem Bundesforstwirtschaftsministerium (BMEL): „Die Bewirtschaftung der Wälder und das entnommene Rohholz sind die Grundlage für den positiven Beitrag der Forst- und Holzwirtschaft zum Klimaschutz. [...] Eine Ausweitung des Holzaufkommens ist damit aus Sicht des Klimaschutzes sinnvoll.“

„Mehr Holz einsetzen“ und „Nadelholz dauerhaft sichern“ sind die ausgegebenen Parolen im Dokument. Auch der Wissenschaftliche Beirat Waldpolitik des entsprechenden Ministeriums rechnete 2016 vor, wie es wäre in einem „ambitionierten Szenario“ den Nadelbaumanteil im Wald wieder auf 70 Prozent zu erhöhen.

Dass der Wald den Klimawandel durch die Einlagerung von Kohlenstoff in Holz abschwächen kann, ist unbestritten. Doch sind schnellere und mehr Fällungen und die Wiederanpflanzung von mehr nicht-standortgerechten Nadelhölzern wirklich der richtige Schluss? Aus Sicht von ROBIN WOOD wäre der Name für eine solche Lösung wohl eher: „Rückschrittliches Szenario“.

Klimaschutz mit Nadelholz?

Doch schauen wir es uns genauer an: Der Wald in Deutschland nimmt tatsächlich viel Kohlenstoff in seinem Holz und in den Waldböden auf. Der Kohlenstoff geht schnell wieder in die Atmosphäre, wenn Holz verbrannt wird oder langsamer, wenn ein Baum abstirbt und nach und nach zerfällt. Um mit dem Wald viel Kohlenstoff in den nächsten Jahrzehnten aus der Luft zu entnehmen, ist es zum einen wichtig, möglichst viel Kohlenstoff im Wald und im Boden zu lassen, zum anderen das entnommene Holz sehr langlebig zu nutzen. Das bedeutet konkret, dass es viel klimafreundlicher ist, einen Esstisch über Jahrzehnte zu nutzen als Holz zu verbrennen oder zu Coffee-to-Go-Bechern zu verarbeiten. Da heute die Hälfte des deutschen Holzes in den Energieholzbereich geht, ist ein Großteil des vom Wald „geretteten“ Kohlenstoffs schnell wieder in der Luft.

Die allererste Forderung für einen klimafreundlichen Wald muss daher sein: Holz langlebig nutzen, Energieholz­anteil deutlich senken und nicht mehr als „nachhaltig“ labeln, Holz mehrmals nutzen, bevor es verbrannt wird – zum Beispiel vom Stammholz über Paletten bis hin zu Faser- und Papierprodukten. (Mehr dazu im Artikel „Natur- und Klimaschutz gehören zusammen – auch im Wald!“, ROBIN WOOD-Magazin 1/2017).

Besonders problematisch ist folgende Gedankenkette aus der Studie des Wissenschaftlichen Beirates: Nadelholz wird aktuell besonders viel verbaut – Verbautes Holz speichert lange Kohlenstoff und ist damit klimafreundlicher – Daher muss Nadelholz klimafreundlicher berechnet werden als Laubholz – Um möglichst klimafreundlich zu sein, braucht es mehr Nadelholz.

Hier wird also die wirtschaftliche Realität der Vergangenheit einfach auf die Zukunft projiziert und daher dem Nadelholz ein Plus in der Berechnung verschafft.

70% Nadelholz als Zukunftsszenario?

Doch was könnte dieses Szenario mit bis zu 70 Prozent Nadelholz für den Wald bedeuten? Der vor Jahrzehnten begonnene Waldumbau – weg von eintönigen und anfälligen Nadelforsten hin zu durchmischten, mehraltrigen Wäldern mit einem Schwerpunkt auf standort­angepassten Laubbaumarten – würde in großen Teilen rückgängig gemacht. Wälder in Deutschland, ohnehin jetzt schon sehr oft angeschlagen, sind in Monokulturen noch anfälliger für im Klimawandel zunehmende Trockenheiten, Stürme und Schädlingsbefall. Gegen diesen wiederum würden folgerichtig mehr Pestizide eingesetzt werden – nicht ohne Schaden für das Ökosystem.

Auch sorgen zu viele Nadelbäume durch ihre den Boden versauernden Nadeln für schwierigere Wachstumsbedingungen und eine Artenarmut im Pflanzenreich. Im Gegensatz dazu würden mehrschichtige, naturnahe Wälder sich auch im Zuge eines Befalls wieder schneller erholen, da ein artenreicher Nachwuchs sozusagen schon in den Startlöchern steht.

Kurz gesagt: Bei hohem Nadelbaumanteil würde die Anfälligkeit für Klimaveränderung  zunehmen, Baumschäden weiter steigen, Artenvielfalt sinken. Das kann keine Waldwirtschaft für die Zukunft sein, schon gar keine ökologische.

Angebrachter wäre daher folgende Gedankenkette: Nadelholz wird aus Gründen der Biodiversität und Klimawandelanpassung immer weniger werden, Laubholz immer mehr – Laubholz wird in Zukunft viele langlebige Holzprodukte übernehmen müssen – Politik und Wirtschaft müssen jetzt den technologischen „Umstieg“ auf eine hauptsächlich laubholzbasierte Nutzung angehen! Diese Schlussfolgerung würde die momentanen Veränderungen durch Waldumbau und einen gestiegenen Bedarf für Naturnähe in Zeiten des Klimawandels akzeptieren und von da ausgehend fragen, wie die Gesellschaft sich darauf einstellen kann.

Wissenschaftler treten für Laubholzwald ein

Zu einem ähnlichen Schluss kommen einige namhafte Wissenschaftler, die kürzlich unter dem Titel „Laubholz-Irrweg?“ auf die Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats antworteten. Sie kritisieren nicht nur die einseitig ausgerichtete Datennutzung, sondern auch, dass alle Forderungen des Beirats der nicht-naturnahen Forst- und Holzwirtschaft entsprechen. Dabei fällt auch die Frage nach „Klientelpolitik“. Die kritischen Wissenschaftler kommen zu dem Schluss: „Die Vorschläge des Beirates laufen darauf hinaus, einen sehr kleinen Vorteil für den Klimaschutz durch einen sehr großen Nachteil für den Erhalt der Biodiversität und damit verbundener ökologischer und sozialer Funktionen und Leistungen des Waldes einzukaufen.“

Profite dürfen nicht an erster Stelle stehen

Der Wald ist mehr als Wirtschaft. Er ist der Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten, er ist ein Ort für Ruhe, Erholung und Freizeit, er hilft bei der Reinigung von Wasser und Luft. Die Gewinnung von Profiten darf hier nicht an erster Stelle stehen – dafür wären auch viele Försterinnen und Förster dankbar.

Profitsteigerungen unter dem Deckmantel des Klimaschutzes auf Kosten der Natur darf es nicht mehr geben. Die neue Große Koalition bezieht sich im Koalitionsvertrag unter anderem auf die Charta für Holz 2.0. Sie sollte mit manchen der dort beschriebenen Positionen sehr vorsichtig umgehen. Auch in den nächsten Jahren braucht es wachsame Organisationen und kritische Stimmen, um Schaden von der Natur abzuwenden!