Vielfalt schützen!
Insekten brauchen Urwälder
Sie stören bei der sommerlichen Kaffeetafel auf dem Balkon, haben kein flauschiges Fell, fallen nicht mit lieblichem Gesang auf – und niedliche Nachkommen haben sie schon gar nicht. Viele Menschen empfinden das Gekrabbel und Gewurme als unangenehm. Andererseits müssen Menschen, die sich für Insekten interessieren, schon sehr genau hinschauen, wenn sie sie in der Natur entdecken wollen. Insekten haben es also in der öffentlichen Wahrnehmung nicht leicht.
Dramatischer Insektenschwund
Vielleicht ist das mit ein Grund, warum das Insektensterben erst 2017 so richtig in den Fokus der Öffentlichkeit rückte, als nämlich die ehrenamtlich arbeitenden Insektenkundler*innen des Entomologischen Vereins Krefeld belegen konnten, dass zwischen 1989 und 2016 die Gesamtmasse an Fluginsekten um mehr als 75 Prozent gesunken ist. Ihre Studie untersuchte erstmals über einen so langen Zeitraum in mehreren Regionen Deutschlands den Bestand von mehr als 2.700 der 33.000 in Deutschland lebenden Insektenarten. Sowohl auf Wiesen als auch in Wäldern ging die Artenzahl um etwa ein Drittel zurück. Auch ihre Gesamtbiomasse nahm ab, besonders ausgeprägt in den Graslandschaften mit einem Rückgang um 67 Prozent. In den Wäldern schrumpfte sie um etwa 40 Prozent.
Die Studie erregte viel Aufsehen und manch eine*r machte sich erst da bewusst, dass wir Menschen in vielen Bereichen von Insekten abhängig sind: Sie bestäuben Obst- und Gemüsepflanzen genauso wie Futterpflanzen, ohne die es keine Milch und kein Fleisch gäbe. Dreiviertel der Pflanzen, die wir anbauen, sind auf die Bestäubung von Insekten angewiesen. Ohne Insekten hätten wir keine Gewürze, keinen Tee, Kaffee, Kakao oder Saft und auch nicht Wein oder Bier und noch nicht mal Chips und Fruchtgummi. Auch Baumwolle, Seide und Leinen stünden uns nicht zur Verfügung. Das Gleiche gilt für Seife, Shampoo, Duftstoffe und Parfüm. Die Liste ließe sich endlos fortführen.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass das Insektensterben meistens in Zusammenhang mit Landwirtschaft diskutiert wird. Vor allem die industrielle Landwirtschaft mit ihrem hohen Pestizideinsatz und ihrer Strukturarmut, die den Insekten wenig Nahrung und kaum Nist- und Überwinterungsmöglichkeiten bietet, ist Ursache für das Insektensterben.
Insekten haben vielfältige Funktionen
Aber auch die Wälder sind ein wichtiger Lebensraum für Insekten. Leider sind aber auch unsere Wirtschaftswälder struktur- und artenarm. Aber nur struktur- und totholzreiche Wälder können einer Vielzahl von Insektenarten ihren spezifischen Lebensraum bieten. Je älter ein Lebensraum ist, umso mehr Insekten können sich darin entwickeln. Im Gegenzug spielen die Insekten eine wichtige Rolle im Ökosystem Wald: Sie sind nicht nur Nahrungsgrundlage für viele Vogelarten, Mäuse, Fledermäuse und Frösche, sie bestäuben Pflanzen und transportieren Samen, sie zersetzen biologisches Material – von Laub über Holz bis hin zu Tierkadavern – und bringen Nährstoffe wieder in den Kreislauf.
Rund 80 Prozent aller Bäume und Sträucher werden von Insekten bestäubt. Zu den Arten, die mit großen Blüten Bienen, Wespen, Fliegen, Käfer und Schmetterlinge anlocken, weil sie für die Fortpflanzung auf Insekten angewiesen sind, zählen Ahorn, Weißdorn, Rosskastanie, Kreuzdorn, Weide, Vogelbeere und Linde. Ameisen spielen eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Samen und Früchten von krautigen Pflanzen.
Oft sind es Insekten, die den Abbau von Holz einleiten. Frisch abgestorbenes Holz wird von so genannten Pionierinsekten besiedelt. Sie bohren Löcher in die Rinde oder bis ins Holz und machen es so zugänglich für andere Insekten oder auch für Pilze, die sie zum Teil direkt mit einbringen. Das Holz dient je nach Insektenart den ausgewachsenen Exemplaren oder den unter der Rinde abgelegten Larven als Nahrung. Da Holz eine karge Nahrung ist, dauert die Larvenentwicklung z. B. der Bockkäfer und Holzwespen mehrere Jahre.
Insekten brauchen strukturreiche Wälder
Dann beginnt eine neue Zersetzungsphase und der abgestorbene Baum wird Lebensraum für andere Arten wie Hirsch- und Schnellkäfer, sowie Mücken- und Fliegenarten. In diesem Zersetzungsprozess, der wiederum mehrere Jahre dauert, spielen dann Bakterien und Pilze eine zunehmende Rolle. In der letzten Zersetzungsphase zerfällt das Holz vollständig und geht langsam in den Boden über. Nun leben Ameisen, Fliegenlarven, verschiedene Käfer, Milben und Springschwänze im Holzmulm.
Viele Insekten sind auf bestimmte Baumarten und/oder Zersetzungsphasen des Holzes spezialisiert. Um also den Lebensraum für Waldinsekten zu erhalten, brauchen wir artenreiche, alte Wälder in denen das Totholz bis zur vollständigen Zersetzung liegen bleibt.
Solche Wälder sind in Deutschland kaum vorhanden. Rund 97 Prozent der deutschen Wälder werden mehr oder weniger intensiv bewirtschaftet und sind zu arten- und strukturarm, um dem Insektenschutz dienen zu können. Lediglich die 2,8 Prozent der Wälder, die aktuell nicht wirtschaftlich genutzt werden, haben das Potential, zahlreichen Insektenarten den Lebensraum zu bieten, den sie benötigen.
Die Politik tut zu wenig für den Insektenschutz
Hier hinkt die Bundesregierung mal wieder ihren eigenen Zielen hinterher. Bereits 2007 hat die Bundesregierung festgelegt, dass bis 2020 fünf Prozent der Wälder nicht mehr bewirtschaftet werden sollen. Da bleibt es fraglich, ob das im Herbst 2019 verabschiedete „Aktionsprogramm Insektenschutz“ nun die große Veränderung bringt. Zwar sieht das Konzept die Entwicklung und Umsetzung konkreter Schutzkonzepte von Biotopbäumen, Alt- und Totholz sowie Sonderhabitate vor. Auch sollen Waldbewirtschaftungsformen wie Nieder- und Mittelwälder gefördert werden und Förderanreize für den Insektenschutz im Wald geschaffen werden. Ein grundsätzlicher Umbau der Waldwirtschaft lässt sich daraus aber nicht ableiten. Noch immer tut sich die Regierung schwer, den Privatwaldbesitzern, die immerhin rund 50 Prozent des Waldes bewirtschaften, konkrete Vorschriften für eine naturnahe Waldwirtschaft zu machen, die den Namen auch verdient. Da hilft es wenig, wenn der Bund vorbildlichen Insektenschutz in seinen eigenen Wäldern umsetzen will, denn er bewirtschaftet lediglich vier Prozent der Waldflächen, die sicherlich nicht vollständig für den Insektenschutz bereitgestellt werden.
Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat aktuell zweimal die Chance vertan, Insektenschutz in Privatwäldern voranzubringen. Im Rahmen der „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) stellt der Bund für die nächsten vier Jahre 480 Millionen Euro zusätzliche Finanzmittel für den Wald bereit. Mit einer Kofinanzierung der Bundesländer erhöht sich der Betrag auf knapp 800 Millionen Euro. Mit dem Geld wird zwar der Umbau zu klimaangepassten Mischwäldern gefördert, aber eben auch der Abtransport von Schadholz. ROBIN WOOD fordert dagegen, das Schadholz im Wald zu lassen, um eine natürliche Waldentwicklung zu ermöglichen. Insbesondere für den Insektenschutz ist es wichtig, die abgestorbenen Stämme auf den Flächen zu belassen.
Mit dem Corona-Konjunkturpaket wurden weitere 700 Millionen Euro für die Forstwirtschaft bewilligt. Zwar soll das Geld unter anderem für „die nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder“ eingesetzt werden, aber unter „Nachhaltigkeit“ versteht das Bundeslandwirtschaftsministerium nach wie vor lediglich, dass weniger Holz eingeschlagen wird als nachwächst. Dass die Gelder auch für „die Unterstützung von Investitionen in moderne Betriebsmaschinen und -geräte“ eingesetzt werden, lässt darauf schließen, dass hier eine Forstwirtschaft unterstützt wird, die mit großen und schweren Maschinen arbeitet.
Aber da ist ja noch die Initiative „Jetzt Bienen füttern!“ vom Bundeslandwirtschaftsministerium, mit der vor allem Privathaushalte aufgefordert werden, insektenfreundliche Blumen anzupflanzen. Im Wesentlichen besteht die Initiative darin, dass Menschen ihren insektenfreundlichen Ort in eine digitale Karte eintragen können. Dafür können sie dann an einer Verlosung eines Insektenhotels teilnehmen. Toll! So sind bisher Flächen gemeldet worden, die doch tatsächlich insgesamt sage und schreibe 0,003 Prozent unserer Waldfläche entsprechen. Julia Klöckner bleibt sich treu und schiebt mal wieder Aufgaben ihres Ressorts auf die Bevölkerung ab.