Rote Linien gegen Kohle

Unter dem Motto #seidieroteLinie finden in diesem Sommer im Rheinischen Braunkohlerevier, „dem“ Hot Spot der CO2-Emissionen in Europa, vielfältige, bunte und kreative Aktionen statt. Doch was hat es mit den „Roten Linien“ auf sich?

Die Symbolik der „roten Linien“ zieht sich spätestens seit der Weltklimakonferenz COP 21 in Paris wie ein „roter Faden“ durch den Widerstand gegen die weltweite Klimazerstörung. Die Bilder von tausenden rotgewandeten Menschen, die trotz des Ausnahmezustandes im November 2015 in Paris auf die Straße gingen und hunderte von Metern lange rote Stoffbahnen mit sich trugen, gingen um die Welt und sendeten eine ausdrucksvolle Botschaft: „Bis hierhin und nicht weiter“. Die rote Linie der Demon­strierenden setzte ein dickes Ausrufezeichen hinter die Notwendigkeit von Klimaschutz und Klimagerechtigkeit.

Gary Evans, aktiv bei Divest Aachen, war in Paris dabei. Für ihn war die Ausbreitung des roten Banners auf der Straße vor dem Arc de Triomphe ein „emotionales und friedliches Ereignis“ – nicht nur eine Demonstration des eigenen Engagements, sondern auch ein Zeichen um die Opfer von Klimakatastrophen zu ehren und als Verpflichtung auch weiterhin für Klimagerechtigkeit zu kämpfen. Bei der Aktion in Paris waren es insbesondere auch AktivistInnen aus indigenen Gemeinschaften, die auf ihre unmittelbare existentielle Bedrohung durch den Klimawandel hinwiesen. Ihren Spirit hat Gary ins Rheinland mitgenommen. Und dies auch ganz handfest: Ein annähernd hundert Meter langes Stück Stoff aus Paris ist seitdem Teil zahlreicher Rote-Linien-Aktionen im Rheinland geworden – das „rote Band der indigenen Völker“.

Rote Linien – nicht nur im Rheinischen Braunkohlerevier

Seit Paris gab es Rote Linien Aktionen unter anderem in Wales, Amsterdam und Tschechien. Eine Filmproduktion über die Geschichte der wachsenden Klimabewegung trägt den Titel „Beyond the red lines“. Das aus Paris mitgebrachte rote Band wurde bereits bei zahlreichen Aktionen unterschiedlichster Gruppen in NRW eingesetzt: nicht nur in Aachen, sondern auch in Dortmund, vor dem Kölner Dom, in Essen vor der RWE Konzernzentrale und vor der Grugahalle bei der Jahreshauptversammlung von RWE, ebenso wie vor der Düsseldorfer Staatskanzlei. Und es kamen neue rote Banner dazu, die nicht nur metaphorisch, sondern ganz konkret rote Linien benennen, die nicht überschritten werden dürfen, wenn wir unser Klima retten wollen.

Die Symbolik der roten Linie weist auf eine Grenze hin, deren Überschreitung einem Tabubruch gleich kommt. Rote Linien als bildwirksame Protestaktionen stehen sowohl für eine symbolische als auch eine räumlich-materielle Grenz­überschreitung. Besonders aussagekräftig werden Aktionen, wenn beides zusammengebracht wird.

Seit Jahren schwelt ein Konflikt um den Tagebau Hambach. Das Bündnis „Ini­tiative Friedensplan“, ein breites Spektrum gesellschaftlicher Gruppierungen, versucht einen Dialog zur Konfliktlösung in Gang zu bringen. Im März 2016 schlug das Bündnis erstmals die alte Autobahn A 4 als „rote Linie“ vor, die der Tagebau zukünftig nicht überschreiten dürfe. Doch RWE trotzte dieser Initiative und zahlreichen weiteren Appellen. Einzelne Aktive entschieden sich deshalb die Rote Linie zum Leben zu erwecken. Insgesamt 2.200 Menschen, vornehmlich aus der Region, entschieden sich daher zu Beginn und zum Ende der Rodungssaison 2016/17 im Hambacher Wald Teil dieser Roten Linie zu werden und mit ihren Körpern, rotgewandet oder mit roten Accessoires versehen, ein eindrucksvolles Zeichen für den Erhalt des Waldes jenseits der Autobahn zu setzen.

Neben den ausdrucksstarken Bildern, tragen die selbst mitgebrachten roten Accessoires, das sich Einreihen und damit das bewusste Ziehen einer roten Linie, und nicht zuletzt das gemeinsame Tragen der Banner zu einem Verbundenheitsgefühl im Widerstand bei. Rote Linien kann jeder schnell und unkompliziert an jedem symbolhaften Ort ziehen. ROTE LINIE – STOPP: Bis hierhin und nicht weiter!

IrRWEg stoppen!

Im Rheinischen Braunkohlerevier, dem Städtedreieck zwischen Düsseldorf, Köln und Aachen blicken die Menschen, die in Nachbarschaft von drei Groß-Tagebauen leben, auf eine lange Tradition des Widerstandes zurück: Seit dem Aufschluss der Tagebaue in den siebziger Jahren wehren sich die Menschen gegen Zwangsenteignungen, Umsiedlung und Heimatverlust und hatten dabei immer auch die gravierenden negativen Umweltfolgen der Braunkohlegewinnung und -verstromung im Blick.

1983 formierte sich der Arbeitskreis Braunkohle beim BUND NRW, bereits 1984 schrieb die Hambach Gruppe

Aachen in der Publikation „Problem­aufriss Braunkohle“ über die „Möglichkeiten des Ausstiegs aus der Braunkohleverstromung“. Gruppen wie Verheizte Heimat und Stopp Rheinbraun entstanden, konnten aber den Energieriesen RWE, der sich noch Rheinbraun nannte, nicht stoppen. Auch über 30 Jahre später versucht der Konzern RWE, unterstützt von lobbywilligen Politikern und Kommunen, eine kritische öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema Braunkohle zu verhindern und den Widerstand als „gesellschaftlich unerwünscht“ darzustellen.

Doch seit einigen Jahren erfahren die derzeit aktiven braunkohlekritischen Gruppen und Initiativen aus der Region Unterstützung weiterer AkteurInnen, die sich gegen den Abbau der Braunkohle stellen. Sie engagieren sich für eine globale Energiewende von unten und für einen gerechten Strukturwandel in der Region. Auch in diesem August finden im Rheinland wieder vielfältige Proteste, Camps und Workshops gegen den Abbau der Braunkohle und für eine gerechtere Welt statt, denn durch die Tagebaue werden – entgegen jeder energiepolitischen Notwendigkeit – noch immer Menschen zwangsumgesiedelt und Dörfer und Landschaften zerstört.

Die meist ehrenamtlich geleistete Arbeit vor Ort, die vielen öffentlichkeitswirksamen Aktionen, die Diskussionen um den Klimawandel und die Fortschritte in der Energiewende haben auch die Bevölkerung im Rheinland sensibilisiert. Das Ansehen des Energiekonzerns RWE, der mit seinem starren Festhalten an der Braunkohleverstromung nicht nur das Erreichen der Klimaziele verhindert und die Energiewende torpediert, sondern auch die Arbeitsplätze der eigenen Mitarbeiter gefährdet, schwindet zunehmend.

Dennoch scheint die neue Kohlekoalition aus CDU und FDP in NRW weiterhin auf RWE zu bauen und an den Abbauplänen bis 2045 festhalten zu wollen. Daher ist der zivilgesellschaftliche Widerstand besonders gefragt, meint auch Irmgard Kahl, ROBIN WOOD Köln: „Mit der Braunkohleverstromung wird der Klimawandel weiter vorangetrieben. Wir müssen mit Aktionen wie „Ende Gelände“, Rote-Linie-Aktionen und Waldbesetzungen deutlich zeigen, dass wir dies nicht mehr wollen. Wir hoffen damit den Handlungsdruck in der Politik zu erhöhen und möglichst bald einen Ausstieg aus der Braunkohleförderung zu bewirken. Bei den AKW hat es ja auch geklappt.“

Jeder kann mithelfen, im Rheinischen Revier ein starkes Zeichen des Protests gegen die bestehende Politik, die der Kohle den Vorrang sichert, zu setzen.

Antje Grothus lebt in Kerpen-Buir, unmittelbar am Tagebau Hambach. Sie ist seit 12 Jahren als Netzwerkfrau bürgerschaftlich aktiv, Mitorganisatorin der Rote-Linien-Aktionen, Initiatorin der Petition zur Rettung des Ham­bacher Waldes und Mitbegründerin der Bürger­initiative „Buirer für Buir“. Kontakt: antje.grothus [at] buirerfuerbuir.de