Planetare Grenzen überschritten

156-papier-graf.png

In wichtigen Bereichen haben wir die planetaren Grenzen überschritten – vor allem der Verlust der natürlichen Vielfalt ist beängstigend, aber auch Klimakrise, Landnutzungsänderungen und umweltschädliche Stoffe erreichen ein kritisches Niveau. Die ökologischen Kipppunkte stehen kurz bevor, von denen aus es kein Zurück mehr gibt.
Foto ▸ Rockström et al., 2009

 

Die Weltgemeinschaft hat alle Warnungen über die Zerstörung der Natur in den Wind geschlagen und am kontinuierlichen Wirtschaftswachstum festgehalten. Wir haben uns damit des Großteils der Lebensgrundlagen beraubt und befinden uns mitten in einer existenziellen Katastrophe, die vier Fünftel der Weltbevölkerung ins Chaos stürzt, während eine Minderheit im Überfluss lebt. Gibt es Auswege aus diesem Irrweg? Der Versuch einer Annäherung anhand der Beispiele Papier, Soja und Palmöl.

Die Erde kann unser Wirtschaftssystem nicht mehr tragen, das vermeintliche Marktzwänge über das Gemeinwohl stellt. Unsere rohstoffhungrige, imperiale Lebensweise führt die Kolonialzeit fort und beutet systematisch Natur und Menschen im Globalen Süden aus – mit weitreichenden Folgen für die Biosphäre. Scheinbare Klimalösungen wie Elektromobilität ändern nichts an den Grundstrukturen des zerstörerischen Wirtschaftssystems. Warum konnten 50 Jahre Umwelt- und Menschenrechts-Abkommen die Naturvernichtung, den Klimawandel und den Verteilungskampf nicht stoppen? Weil es bei unserem derzeitigen Wirtschaftssystem Menschen nicht um gute Löhne und Sozialstandards geht, sondern nur darum billige Produkte herzustellen und zu konsumieren.

In wichtigen Bereichen haben wir die planetaren Grenzen überschritten – vor allem der Verlust der natürlichen Vielfalt ist beängstigend, aber auch Klimakrise, Landnutzungsänderungen und umweltschädliche Stoffe erreichen ein kritisches Niveau. Die ökologischen Kipppunkte stehen kurz bevor, von denen aus es kein Zurück mehr gibt.

Beispiel Papier: Der weltweite Papierverbrauch hat sich seit den 1960er Jahren vervierfacht. Wir verwenden inzwischen jeden Tag mehr als eine Million Tonnen Papierprodukte. Menschen in Deutschland gehören mit einem Verbrauch von rund 230 Kilogramm pro Person und Jahr zu den vier größten Papierverbraucher*innen der Welt und ver(sch)wenden damit etwa doppelt so viel Papier wie Menschen in der Schweiz, Frankreich oder Großbritannien!
Ungefähr 80 Kilogramm Papier im Jahr wären ökologisch und sozial verträglich, und bei mehr Altpapier-Einsatz würde sich diese nachhaltige Menge noch etwas erhöhen. Um im Bereich Papier nachhaltig zu leben, müsste Deutschland also zwei Drittel einsparen, Frankreich, die Schweiz und Großbritannien aber nur etwa ein Drittel.

Das Holz für deutsche Primärfaser-Papiere stammte zur Jahrtausendwende zu einem Großteil aus Kahlschlägen kanadischer (Ur-)Wälder. Nach internationalen Protesten suchte die europäische papierverarbeitende Industrie nach Ausweichmöglichkeiten und fand diese in vermeintlich umweltfreundlichen Papierholz-Plantagen, allen voran in Südamerika. Alleine in Brasilien ist eine Fläche von der Größe Bayerns mit Eukalyptus-Plantagen bepflanzt – mit verheerenden Auswirkungen auf Mensch und Natur.
 
In der Region Três Lagoas im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul wurden innerhalb von zehn Jahren eine Million Hektar Land mit Eukalyptus bepflanzt, aus dem sieben Millionen Tonnen Papier-Zellstoff pro Jahr produziert werden. Três Lagoas liegt mitten im empfindlichen Cerrado-Savannengebiet, von dessen wasserspeicherndem Wurzelsystem die Süßwasser-Ressourcen eines großen Teils des Landes abhängen. Für die Plantagen werden die Wurzelsysteme entfernt. Eukalyptus zieht mehr Wasser als es regnet – Gewässer und Grundwasser trocknen aus. Einheimische nennen die Papier-Plantagen eine „grüne Wüste“. Durch die Trockenheit haben Plantagenbrände um das Zehnfache zugenommen – ein zusätzlicher Schock fürs Klima.

Die Papierindustrie in Brasilien ist direkt mit der Waldzerstörung für Rinderfarmen verknüpft: Sie kauft Großgrundbesitz von Viehfarmen auf, die mit dem Geld ihrerseits unberührtes Savannenland für neue Viehweiden erwerben, ein Teufelskreis! Die Plantagen vernichten den letzten Rest an Natur, den die Viehfarmen hinterlassen haben. Verbliebene Ortschaften werden durch die Plantagenwirtschaft unbewohnbar.
Indigene und lokale Gemeinschaften werden gewaltsam von ihrem Land vertrieben. Seit den ersten Plantagen wurden in Mato Grosso do Sul 539 Indigene ermordet. Papier-Plantagen sind politisch gewollt: Die Landesregierung hat erlassen, dass für neue Plantagen keine Umweltverträglichkeitsprüfungen mehr durchgeführt werden müssen.
Die Arbeiter*innen auf den Papier-Plantagen schuften unter harten Bedingungen bei unzureichender Bezahlung und ständiger massiver Gesundheitsgefährdung durch schlecht gewartete Maschinen und hoch giftige Pestizide.
 
Die Hälfte der Cerrado-Savanne wurde bereits vernichtet. 266 Tier- und 637 Pflanzenarten des Cerrado stehen auf der Roten Liste – unter ihnen Jaguar, Gürteltier, Tapir, Ameisenbär und Mähnenwolf.

Beispiel Soja: Soja ist als Hauptquelle für Tiernahrung in der hiesigen Massentierhaltung direkt mit dem hohen Fleischkonsum verbunden. Naturzerstörung für Sojaanbau und Massentierhaltung gehören zu den größten Quellen von Treibhausgasen.Der weltweite Anbau von Soja wurde innerhalb von 20 Jahren verdoppelt und hat mit fast 400 Millionen Tonnen jährlich eine schwindelerregende Höhe erreicht.

Unter den Soja-Anbauländern nimmt Brasilien mit 140 Millionen Tonnen und einer Anbaufläche von rund 40 Millionen Hektar eine traurige Spitzenposition ein, da für dieses Soja wertvolle Ökosysteme mitsamt ihrer Bewohner*innen geopfert werden. Der Sojaanbau ist wegen der gemeinsam genutzten Infrastruktur oft direkt gekoppelt mit der Anlage von Papier-Plantagen. So arbeiten Papier-, Soja- und Fleischindustrie in Brasilien Hand in Hand bei der Vernichtung der Lebensgrundlagen.


Beispiel Palmöl: Seit den 1960er Jahren stieg die weltweite Palmöl-Produktion um das 46-fache. Hauptgründe: Die Industrialisierung der Massenproduktion von Fertignahrungsmitteln und Reinigungsmitteln sowie die Diversifizierung von Kraftstoffen. Gründe sind aber auch, dass sich unsere Konsumgewohnheiten bei Lebensmitteln, Hygieneprodukten und individueller Mobilität verändert haben. Dazu trägt auch ein falscher Glaube an die Umweltfreundlichkeit von nachwachsenden Rohstoffen und die damit einhergehende verfehlte Förderung von Palmöl bei.
Inzwischen wandern ungefähr zwei Drittel des in der EU importierten Palmöls in die Produktion von Diesel. Und dies, obwohl Umweltstudien für Palmöl-Diesel eine bis zu 700 Prozent höhere Klimaschädlichkeit im Vergleich zu Mineralöl-Diesel ausweisen. Für die Ölpalm-Plantagen werden riesige Waldflächen gefällt und/oder verbrannt. Trinkwasser wird durch Agrarchemikalien vergiftet, Gewässer und Grundwasservorräte trocknen aus, lokale und indigene Gemeinschaften werden vertrieben.

Die Probleme können nur gesamtgesellschaftlich gelöst werden

Eine politische Regulierung neokolonialer Profitmechanismen ist nicht in Sicht. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Arbeit und Wohlstand neu zu bewerten. Welche Lebensqualität wünschen wir uns? Ist es wirklich die Erfüllung unserer Konsumwünsche, die uns befriedigt? Oder sind es vielmehr Werte wie Entspannung, Natur, Balance von Aktivität und Müßiggang, Begegnungen mit Gleichgesinnten, mit denen sich unentgeltlich Waren und Dienstleistungen tauschen lassen?

Immerhin sind 47 Prozent der Menschen in Deutschland der Meinung, dass der Kapitalismus eher schadet als hilft. Schon in den 1980er Jahren wurden die so genannten „vier E’s“  für ein erfüllteres, sozial und ökologisch verträglicheres Leben propagiert: Entschleunigung, Entflechtung, Entrümpelung und Entkommerzialisierung. Die Organisation attac fordert: „...dass dem Gemeinwohl konsequent Vorrang vor dem Profitstreben gegeben werden muss.“

Die planetaren Grenzen geben uns den Rahmen vor, innerhalb dessen wir uns bewegen können. Am Beispiel von Papier lässt sich zeigen, wie sich umweltfreundliche Rohstoffe (Altpapier) mit einer zukunftsgerechten Konsummenge kombinieren lassen. Letztere erfordert ein Einkaufen nicht oder wenig verpackter (Frisch-)Waren, eine massive Verringerung von Internet-Bestellungen, einen bedarfsgerechten Kauf von Zeitschriften und Büchern, das Vermeiden von Werbesendungen und Katalogen, die Verwendung von Mehrweg-Verpackungen, ein papiersparendes Drucken sowie nachhaltige Alternativen zu Hygienepapier (z.B. Lappen statt Papiertuch). Unvermeidliche Papier-Produkte sollten aus Recyclingpapier mit dem Umweltzeichen Blauer Engel bestehen, womit man Treibhausgase, Strom, Wasser und giftige Chemikalien einspart.

Die Menge an angebautem Soja lässt sich am effektivsten durch einen eingeschränkten Fleischkonsum begrenzen. Dies bringt zusätzliche klimaschonende Effekte mit sich.
Bei Palmöl und seinen Derivaten ist das Flankieren von Kaufentscheidungen mit konkreten politischen und juristischen Schritten nötig. Das Lieferkettengesetz muss so angepasst werden, dass die Ausgangsstoffe von Derivaten (z.B. Glycerin oder Stearat) erwiesenermaßen aus ökologischen und fair gehandelten Quellen stammen.

Die christliche Initiative Romero fordert die Bundesregierung dazu auf, bis 2050 siebzig Prozent weniger Rohstoffe zu verwenden, um der irdischen Zukunft eine Chance zu geben.

Quellen: