Pelletkonzern plündert estnische Wälder

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Alte Wälder benötigen unseren besonderen Schutz. In Estland sind in Naturparks jetzt Kahlschläge erlaubt.
Foto ▸ ELF/Karl Adami

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Im Herzen des Naturparks Haanja im Süden Estlands, wo bis vor kurzem noch dichter Wald stand, blickt man heute über große Kahlflächen.
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Das Abholzen von Wäldern in Estland zur Energiegewinnung nimmt rasant zu. Welche politischen Entscheidungen beschleunigen die Zerstörung der estnischen Wälder? Wie kann es sein, dass das Verbrennen von Biomasse als „klimaneutral“ eingestuft wird? Und welche Folgen hat dies für unsere Umwelt? Mit diesen Fragen haben sich 16 Journalist*innen aus acht Ländern drei Monate auseinandergesetzt und sind zu erschreckenden Ergebnissen gekommen.

Im Herzen des Naturparks Haanja im Süden Estlands, wo bis vor kurzem noch dichter Wald stand, blickt man heute über große Kahlflächen. Hier trifft sich das Journalist*innenteam mit Kalev Järvik, der seit über zehn Jahren in der Nähe des Waldes lebt. Bis vor kurzem hätte er noch bis zum Ende der Fläche unter einem Blätterdach laufen können. Jetzt sind die meisten Bäume gefällt. Seit 2015, als die estnische Regierung das Gesetz zum Schutz der Naturparks in Estland änderte, sind hier Kahlschläge erlaubt. In den letzten Jahren hat sich der Wald dadurch stark verändert.
Um den steigenden Holzbedarf in Westeuropa zu decken, roden Unternehmen den Wald in großem Stil. Denn außer für Möbel und für Bauholz steigt in Europa seit einigen Jahren auch der Bedarf an Holz zur Energiegewinnung.

Abholzungen in Schutzgebieten

Die Hälfte der Fläche Estlands ist mit Wald bedeckt. Das sind ungefähr zwei Millionen Hektar. Davon gehören 380.000 Hektar zum EU Natura-2000-Netzwerk. Besondere Brut- und Ruheplätze für seltene und bedrohte Arten sind hier durch die EU-Richtlinien geschützt und es gilt ein Verschlechterungsverbot. Trotzdem gab die estnische Regierung zwischen 2009 und 2018 die Erlaubnis, rund 60.000 Hektar Wald innerhalb des Natura-2000-Netzwerkes zu fällen. Über die Onlineplattform Global Forest Watch recherchierte die Journalist*innen, dass 80 Prozent des Waldverlustes seit 2001 in den letzten fünf Jahren verursacht wurde, also seitdem die estnische Regierung die Gesetze für Schutzgebiete gelockert hat.

Die jüngsten Abholzungen im Haanja Naturpark fanden 2020 statt, wie Satellitenbilder beweisen. Auf den kahlgeschlagenen Flächen wuchs vorher ein arten- und strukturreicher Laub-Nadel-Mischwald. Ziga Malek, Professor für Landnutzung und Ökosystemdynamik an der Vrije Universiteit Amsterdam, ist sich sicher, dass die spezifischen Pflanzenarten, die hier vorher im Schatten der Bäume wuchsen, auf der nun offenen Fläche nicht gedeihen werden.

Die Journalist*innen entdeckten direkt neben dem Kahlschlag ein kleines Moor, das offensichtlich durch schwere Maschinen beschädigt wurde. Feuchtgebiete wie dieses bedecken ungefähr ein Viertel Estlands. Sie fungieren als wichtige Kohlendioxidsenken und sind gesetzlich geschützt.

Offiziell ist der estnische Wald­bestand stabil

Nach Angaben des estnischen Forest Ressources Assessment (FRA) sei der estnische Waldbestand stabil und würde sogar leicht zunehmen. Tatsächlich werden abgeholzte Gebiete nach der Fällung mit hauptsächlich jungen Fichtensetzlingen neu bepflanzt. Diese Gebiete werden als „Wald“ eingestuft. Die sogenannten „zeitweilig unbestockten oder gerade neu bepflanzten“ Gebiete haben seit 2010 um 20 Prozent zugenommen, so das FRA. Dabei können diese kleinen Fichten, die in Monokulturen gepflanzt werden, erst in vielen Jahrzehnten so viel Kohlendioxid aufnehmen wie die alten Bäume, die dort vorher ein artenreiches Ökosys­tem bildeten.

Vom Staat subventionierte Abholzung im Naturschutzgebiet

Bei der Recherche stieß das Team schnell auf den größten Pelletproduzenten Europas: das estnische Unternehmen Graanul Invest. 2,5 Millionen Tonnen Pellets produzierte es 2019, Tendenz steigend. Große Teile der Produktion werden nach Großbritannien, Dänemark und in die Niederlande per Schiff exportiert.
Seit der überarbeiteten Erneuerbare-Energien-Richtlinie Estlands und der Legalisierung der Verarbeitung ganzer Bäume erntet Graanul Invest hektarweise Wald für die Pelletproduktion. 84 Prozent des Holzbedarfs kommt aus Kahl­schlägen, so der jährliche Bericht 2019.

Valga Puu ist ein Tochterunternehmen von Graanul Invest und erhielt 2020 EU-Subventionen in Höhe von 60.000 Euro für das Management des Natura-2000-Gebietes im Naturpark Haanja. Einem Bericht des Estonian Fund for Nature aus dem Jahr 2020 zufolge, sind Kahlschläge für den Verlust von jährlich 50.000 Brutpaaren im estnischen Wald lebender Vögel mitverantwortlich.
Dass die Rodung in geschützten Gebieten subventioniert werde, sei unverschämt, sagt Liis Kuresoo vom Estonian Fund for Nature. Graanul Invest und Valga Puu versichern, der Holzbedarf für die Pelletproduktion bestimme nicht die Menge des geernteten Holzes. Im Jahresbericht von Valga Puu liest sich das anders: „Unsere Ziele für 2020 orientieren sich an der Versorgung von Graanul Invest-Anlagen.“

Die Richtlinie von 2009 definierte Holzpellets als „im Allgemeinen aus Verarbeitungsrückständen aus forstbasierten Industrien bestehend“. Graanul Invest offenbart in seinem Nachhaltigkeitsbericht 2020 frei heraus, dass mehr als ein Drittel seines Holzes aus Rundholz stamme, oder aus Baumstämmen, die nicht den Kriterien für andere Industrien entspräche. Etwa 40 Prozent des Holzes, das Graanul Invest zu Pellets zerkleinert, stamme von ganzen Bäumen, die „nicht den Anforderungen der Sägewerks- und Sperrholzindustrie entsprechen“, sagt das Unternehmen. Es macht die schlechte Bewirtschaftung durch die früheren Waldbesitzenden für die „Nichtkonformität“ der Bäume verantwortlich.
Ein Großteil der estnischen Wälder steht auf Ackerflächen, die Tausende Esten vor etwa siebzig Jahren zurücklassen mussten, weil sie entweder während des Zweiten Weltkriegs getötet oder deportiert wurden. „Der Anteil an minderwertigem Holz in den estnischen Wäldern war schon immer hoch, weil die Wälder während der Sowjet­zeit überhaupt nicht bewirtschaftet wurden“, sagt Marku Lamp, Vizekanzler des Umweltministeriums. „Die Pelletproduktion ist also in gewisser Weise eine Chance, den minderwertigen Bestand zu verkaufen.“

Die ökologischen Auswirkungen werden dabei nicht berücksichtigt. „Minderwertiges Holz“ und „forstwirtschaftliche Reststoffe“ seien Begriffe, die nur auf wirtschaftlichen Überlegungen beruhten, moniert Almuth Ernsting, Gründerin der Klimaaktivist*innengruppe Biofuelwatch. Sie weiß, dass bei diesen Abwägungen „keine Rücksicht auf den ökologischen, klimatischen oder kulturellen Wert der Bäume“ genommen wird.

Die Waldkriege

Die Umweltschutzorganisation Estonian Fund for Nature kämpft seit 2004 für den Erhalt von Biodiversität und Wald. Immer mehr Menschen wehren sich gegen die Rodungen vor ihrer Haustür. Die daraus resultierenden gesellschaftlichen Spannungen wurden in der nationalen Presse als  „Waldkriege“ bezeichnet. Auch Bürger*innen aus dem Dorf Saku setzen sich für den umliegenden Wald ein. Sie kämpften mit Protesten und Petitionen gegen die Regierung, die den Wald fällen wollte. Mittlerweile hat sich eine Bewegung gegründet. Diese neue Organisation konnte sich immerhin mit der staatlichen Forstverwaltung auf einen Kompromiss einigen und so Teilbereiche des Waldes vor der Rodung retten.

Nichtsdestotrotz geht die Abholzung an vielen Orten inner- und außerhalb Estlands weiter. In Zeiten von Klimaerwärmung und Artensterben ist dies eine Katastrophe und darf nicht zugelassen werden! Alte, artenreiche Wälder sind unsere Verbündeten im Kampf gegen den Klimawandel! Wir müssen unsere Energie aus tatsächlich nachhaltigen Quellen generieren und unsere Wälder konsequent und effektiv schützen!

Ihr wollt direkt etwas dagegen unternehmen?

Hier findet ihr die Petition an die Europäische Kommission!

Mehr Details und den Report finden Sie auf dieser Seite: https://www.vpro.nl/argos/lees/onderwerpen/money-to-burn/interactive.html