Nicht auf der (Liefer)-Kette!

Verwässertes Lieferkettengesetz in Deutschland

10. September 2021
Tropenwald
Fenna Otten
ROBIN WOOD-Tropenwaldreferentin
Magazin

Das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ ist da! Leider sind sowohl die Sorgfaltspflichten als auch die Lieferkette auf der Strecke geblieben...

Am 11. Juni verabschiedete der Bundestag das Lieferkettengesetz. Es tritt 2023 in Kraft. „Damit sind wir jedoch noch lange nicht am Ziel“, so Johanna Kusch von der Initiative Lieferkettengesetz. Deutsche Wirtschaftsverbände hatten großen Einfluss ausgeübt, allen voran Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, und das Gesetz enorm verwässert.
 
Das Gesetz betrifft zunächst Unternehmen ab 3.000, von 2024 an dann auch Unternehmen ab 1.000 Mitarbeiter*innen. Diese Unternehmen müssen fortan bei direkten Zulieferern Risiken für Menschenrechtsverletzungen ermitteln, Gegenmaßnahmen ergreifen und diese gegenüber dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) dokumentieren. Falls ein Unternehmen „substantiierte Kenntnis“ über Menschenrechtsverletzungen erlangt, dann müssen auch bei seinen indirekten Zulieferern Risiken ermittelt werden.
Umweltzerstörungen sind nur dann von Belang, wenn dadurch Menschenrechte verletzt werden. Außerdem begründet das Gesetz keinen zivilrechtlichen Haftungstatbestand. Das bedeutet, dass Betroffene auf Basis dieses Gesetzes keinen Schadensersatz von Unternehmen einklagen können.

Die nächste Bundesregierung muss unbedingt nachbessern. Das Gesetz darf nicht hinter den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte zurückbleiben – es muss präventiv wirken. Und es muss unsere Umwelt schützen, unabhängig davon, ob Menschenrechte verletzt werden – Klimakrise und Artensterben dürfen nicht ignoriert werden.

Exkurs nach Brüssel

Nicht nur in Berlin, auch in Brüssel wird um unternehmerische Sorgfaltspflichten gerungen. Nachdem das EU-Parlament bereits im März mit der Verabschiedung eines sog. Legislativberichtes  eine Empfehlung an die Kommission ausgesprochen hatte, ein europäisches Lieferkettengesetz zu unternehmerischen Sorgfalts- und Rechenschaftspflichten einzuführen, lassen die Vorschläge der EU-Kommission auf sich warten. Ursprünglich war die Veröffentlichung für den Juni angekündigt, ist nun aber in den Herbst verschoben worden. Besorgniserregend ist auch, dass die Initiative nicht mehr ausschließlich von Justizkommissar Didier Reynders geleitet wird, sondern nun gemeinsam mit dem Kommissar für Wachstum und Binnenmärkte, Thierry Breton. Letzterer pflegt eine enge Beziehung zur Privatwirtschaft, die von der Maßnahme nicht sehr angetan zu sein scheint.

Die EU-Kommission arbeitet derzeit nicht nur an einem, sondern tatsächlich an zwei verschiedenen Lieferkettengesetzen: Aus der Fachabteilung Umwelt unter Leitung von Kommissar Virginijus Sinkevicius wird ein Vorschlag zu entwaldungsfreien Lieferketten erwartet. Auch hier war die Veröffentlichung für den Juni angekündigt, wurde dann auf den Herbst verschoben und wird mittlerweile erst im Dezember erwartet.

Dieses Gesetz soll das Risiko von Entwaldung und der Zerstörung von Ökosystemen entlang von Wertschöpfungsketten minimieren und bezieht sich explizit auf sog. FERCs (forest-and-ecosystem-risk commodities), darunter Palmöl, Soja, Fleisch und Leder, Kaffee, Kakao und Kautschuk. Der entsprechende Initiativbericht für ein neues Gesetz gegen Abholzung, Ökosystemumwandlung und Menschenrechtsverletzungen wurde bereits im Oktober 2020 vom EU-Parlament beschlossen.

Die Kautschukindustrie will keine Verpflichtungen

Der Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie (wdk) hatte den deutschen Gesetzesentwurf als zu ambitioniert abgetan. Er setzt lieber auf freiwillige – aber wirkungslose – Nachhaltigkeitsinitiativen und Zertifikate der Industrie und pocht auf eine europäische Lösung. Dabei sind freiwillige Initiativen nichts als Augenwischerei. Die Industrie hat sich ihr eigenes Marketing-System geschaffen, in dem „nachhaltig“ oft nichts weiter bedeutet als „legal“. Der wdk muss sich der Tatsache stellen, dass Kautschuk erstens nicht entwaldungsfrei produziert wird und zweitens Landrechtskonflikte und desaströse Arbeitsbedingungen an der Tagesordnung sind – vor allem am Anfang der Lieferkette, auf den Plantagen und in den Gummifabriken.

Nun ist bekannt geworden, dass der Verband der europäische Reifen- und Kautschukindustrie (European Tyre & Rubber Manufacturers Association, ETRMA) – der wdk ist Verbandsmitglied – Kautschuk von der Liste der FERCs ausschließen will. Der Verband ist der Ansicht, dass Viehzucht, Soja- und Palmölproduktion die Hauptursachen für die Entwaldung seien. Kautschuk sei hingegen ein Rohstoff mit niedrigem Entwaldungsrisiko. Ein Ausschluss von Kautschuk aus der Liste der FERCs wäre aus unserer Sicht katastrophal.

Der ETRMA repräsentiert neben einigen staatlichen Verbänden (Spanien, Italien, Finnland, Niederlande, Frankreich und Deutschland) vor allem die Interessen der Reifenindustrie: Bridgestone, Continental, GoodYear, Michelin und Pirelli sind unter den Mitgliedern.

Debatte um negative Folgen der Kautschuknutzung fehlt

Weltweit werden pro Jahr fast 15 Millionen Tonnen Kautschuk produziert. Hauptanbauregion ist Südostasien, insbesondere Thailand und Indonesien. Ursprünglich kommt der Kauschukbaum, Hevea brasiliensis, aus Brasilien.
Aber auch in Westafrika und Mittel- und Südamerika wird vermehrt Kautschuk angebaut.

Während es um Rohstoffe wie Palmöl, Kaffee oder Kakao längst breite öffentliche Diskurse zu Umwelt- und Sozialverträglichkeit gibt, spricht kaum jemand über Kautschuk. Dabei wäre das wahnsinnig wichtig! Denn Kautschuk steckt nicht nur in unglaublich vielen alltäglichen Produkten wie in Gummistiefeln, Dichtungsringen, Luftballons und Yogamatten. Flugzeugreifen, Treckerreifen, Autoreifen, Fahrradreifen – alle werden aus Naturkautschuk hergestellt. Tatsächlich verarbeitet die Reifen- und Automobilindustrie drei Viertel des globalen Produktionsvolumens.
Naturkautschuk ist laut EU sogar ein „kritischer Rohstoff“: Naturkautschuk kann weder ersetzt, noch in der EU produziert werden. Die Industrie ist abhängig von Importen, und das bei steigender Nachfrage auf dem Weltmarkt.

Einerseits muss also sichergestellt werden, dass Lieferketten entwaldungsfrei sind. Menschenrechte müssen geschützt und Landrechtskonflikte ausgeschlossen werden. Andererseits wäre es unglaublich wichtig, dass wir die Nachfrage nach Naturkautschuk reduzieren und recyclen, was das Zeug hält! Altreifen in Zementfabriken zu verbrennen, ist definitiv keine Lösung.

Weltweit ist der Druck auf die verbliebenen naturnahen Landflächen enorm. Dabei müssten Wälder und Ökosysteme geschützt, d.h. von agrar-industrieller Nutzung ausgeschlossen werden. Letztlich braucht es einen wirkungsvollen gesetzlichen Rahmen gegen Menschenrechtsverletzungen und für den Umweltschutz, sowohl in Deutschland als auch in der EU!