Nah am Wasser gebaut

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Vor allem in Nordostdeutschland wie hier nahe des mecklenburgischen Ortes Ankershagen kann man noch die früher sehr viel häufigeren Flatter-Ulmenalleen finden.
Foto ▸ Wolf-Peter Polzin

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In den großen Flußauen wie hier an der Elbe trifft man noch auf eindrucksvolle, einzelstehende Flatter-Ulmen: Relikte aus den längst zerstörten Auenwäldern.
Foto ▸ Andreas Roloff

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Auch in den heute selten gewordenen Feuchtwäldern ist die Flatter-Ulme zuhause. Hier erreicht sie Wuchshöhen bis über 40 Meter. Typisch auch die besonders auf nassen Böden ausgebildeten Brettwurzeln.
Foto ▸ Kay Hohlfeld

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Die Hauptnerven der Blätter laufen parallel und sind normalerweise nicht gegabelt.
Foto ▸ Andreas Roloff

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Den amüsant klingenden Namen Flatter-Ulme verdankt diese Baumart ihren kleinen, in Büscheln an den Zweigen hängenden Blüten und Früchten. Diese sind, anders als bei den anderen beiden heimischen Ulmenarten, deutlich lang gestielt und flattern deshalb, wenn es weht.
Foto ▸ Wikimedia Commons

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Die Früchte der Flatter-Ulme, von einem flachen, ringförmigen und am Rand silbrig bewimperten Flügel umrahmt, reifen bereits im Mai. Um zu keimen, brauchen sie offene, vegetationsfreie Böden.
Foto ▸ Andreas Roloff

Sie wird oft mit Feld-und Berg-Ulme in einen Topf geworfen: Angeblich lässt sie sich eh schwer von diesen unterscheiden. Oft wird sie zu den Opfern der seit hundert Jahren grassierenden Holländischen Ulmenkrankheit gezählt. Forstleute sowie Stadt- und Landschaftsgärtnereien ließen lieber die Finger von ihr. Und auch die Holzbranche tat sich schwer. Doch seit einigen Jahren wird bei der Flatter-Ulme genauer hingeschaut – es ist an der Zeit, ihr ein ganzes Jahr verstärkter Öffentlichkeitsarbeit zu schenken.

Über hundert Jahre ist es her, dass eine der dramatischsten und bis heute andauernden Baumkrankheiten in Nordwesteuropa ihren Anfang nahm: die Holländische Ulmenkrankheit. Sie ist ein eindrückliches Beispiel, welche Kollateralschäden beim weltweiten Holzhandel passieren können. Der Erreger, ein mikroskopisch kleiner Pilz, eingeschleppt mit Hölzern von Ulmen aus dem ostasiatischen Raum. Der Pilz löst im Holz der Ulmen Verstopfungen der Wasserleitungsbahnen aus und lässt so zunächst einzelne Kronenäste, letztlich aber meist die gesamte Baumkrone vertrocknen. 1925 hatte die Epidemie Deutschland erreicht und sich bis Mitte der Dreißigerjahre quer durch ganz Europa von England bis zum Ural ausgebreitet. Anfang der Dreißigerjahre überquerte dieser Pilz – diesmal mit einer Schiffsladung von europäischem Ulmenholz – den Atlantik und wütet seitdem unter den Ulmen in Nordamerika. Mitte der Sechzigerjahre, als man in Europa längst davon ausging, dass die Epidemie weitgehend abgeklungen sei, kehrte dieser Pilz – diesmal in einer deutlich aggressiveren Version – mit einer Ladung Furnierstämmen kanadischer Ulmen über England zurück nach Europa. Und auch aus Russland tauchte hier noch eine weitere, stärker infektiöse Pilzvariante auf. Heute hat diese Ulmenkrankheit kaum noch ausgewachsene Feld-Ulmen übrig gelassen. Auch die Berg-Ulmen erreichen immer seltener ein höheres Alter.

Doch bei der Flatter-Ulme, der dritten in Mitteleuropa heimischen Ulmenart, ist das offensichtlich anders. Dieser hochgewachsene Baum der Feuchtwälder und Flussauen erscheint weitgehend immun gegen diese Krankheit. Selbst jahrhundertealte Exemplare zeigen sich überraschend vital. Es gibt zahlreiche höchst eindrucksvolle Beispiele, wo Flatter-Ulmen in unmittelbarer Nachbarschaft von infizierten und absterbenden Feld-Ulmenbeständen stehen, aber selbst keinerlei Symptome der Ulmenkrankheit erkennen lassen. Diese scheinbare Immunität ist allerdings in erster Linie eine indirekte Resistenz. Sie rührt vor allem daher, dass die Flatter-Ulme von den Hauptüberträgern dieser Pilzkrankheit, dem Großen und dem Kleinen Ulmen­splintkäfer, in Ruhe gelassen wird. Diese Käfer fliegen sie nicht an. Sie erkennen sie schlicht nicht als Ulme, da sich ihre Rinde in Struktur und Inhaltsstoffen deutlich von der der anderen beiden mittel­europäischen Ulmenarten unterscheidet. Und so entgeht die Flatter-Ulme als Einzige der für die anderen Ulmenarten so fatalen Infektion. Wird sie doch einmal infiziert, dann zeigt sich, dass sie auch gewisse eigene, wenn auch nicht vollkommene Resistenzmechanismen gegen den Pilz hat. Der Krankheitsverlauf ist bei ihr weniger gravierend und endet selten tödlich.

Doch auch ihre Existenz ist in Deutschland keineswegs gesichert. In sieben Bundesländern gilt sie laut Roter Liste als gefährdet, in Nordrhein-Westfalen sogar als stark gefährdet. Ursache ist der starke Verlust ihrer natürlichen Lebensräume im Verlauf der letzten drei Jahrhunderte.
Alle drei heimischen Ulmenarten mögen feuchte Standorte. Die Flatter-Ulme allerdings ist besonders „nah am Wasser gebaut“. Selbst auf übers Jahr dauerhaft feuchten Böden – in Bruchwäldern und entlang von Bächen – hält sie es gut aus. Einen weiteren, optimal passenden Lebensraum hat sie auf den Überflutungsflächen der großen Flusstäler gefunden. Zusammen mit Stiel-Eiche, Esche, Berg-Ahorn und Feld-Ulme prägt sie dort die sogenannten Hartholz-Auen­wälder. Ihre Überflutungstoleranz ist enorm, stärker noch als die der anderen genannten Baumarten. Mehr als drei Monate lang kann Hochwasser ihren Wurzelraum überspülen. Sie steckt das weg, ohne größere Schäden davon zu tragen. Die Flatter-Ulme wächst daher auch im Übergangsbereich von der Hartholz- zur tiefer liegenden und somit häufiger überfluteten Weichholzaue, die ansonsten nur noch von Weiden und Pappeln gemeistert wird.

Doch bereits seit dem Mittelalter wurden diese Wälder in den Flußauen gerodet, um satte Weideflächen zu gewinnen. Und seit etwa zweihundert Jahren wurden dann auch die Flüsse reguliert und eingedeicht – vor allem, um die landwirtschaftliche Nutzung zu intensivieren und vor Überschwemmungen zu bewahren. Da seitdem auch Feuchtgebiete zunehmend trockengelegt wurden, sind heute Feucht- und Auenwälder bis auf wenige Überreste verschwunden. Man trifft zwar noch, beispielsweise entlang des Oberrheins oder der Elbe, auf einzelne, meist freistehende und durchaus eindrucksvoll mächtige Flatter-Ulmen. Doch diese Relikte aus den früheren Auenwäldern können zwar recht alt werden, sie können sogar, wenn sie aus Altersgründen zusammenbrechen, aus Stockausschlägen an ihrer Stammbasis ein neues Leben starten, aber sie haben keine große Chance auf Nachkommenschaft. Denn die Samen der Flatter-Ulme brauchen zum Keimen offene, vegetationsfreie Böden. Und die gibt es dort kaum noch, seitdem die Hochwasser ausgesperrt sind und keine Flut mehr neue Böden aufspült oder die Streu- und Humusschicht wegschwemmt.

Straßen- und Stadtbaum

Auch wenn sie die Nähe des Wassers liebt – die Flatter-Ulme kann auch auf trockeneren Standorten ganz gut zurechtkommen. Schon im Barock gehörten Ulmen zusammen mit den Linden zu den beliebtesten Alleebäumen. In Osteuropa, ihrem Hauptverbreitungsgebiet, ist die Flatter-Ulme heute noch ein häufiger Alleenbaum. Aber auch in Nord­ostdeutschland kann man noch durch einige Flatter-Ulmen-Alleen fahren.
Die Flatter-Ulme hält auch das trockenwarme Stadtklima gut aus. Und sie ist recht tolerant gegenüber Luftverschmutzung, Streusalz und Bodenverdichtung. Sie könnte daher auch als Ersatz für die längst weggestorbenen Feld- und Berg-Ulmen wieder häufiger an Straßen, auf Plätzen und in Parks innerhalb von Städten angepflanzt werden.

Kulturgeschichtliches

Schon seit prähistorischen Zeiten hat der Mensch Ulmen gezielt genutzt. Aus ihrer Rinde ließ sich viel und guter Bast gewinnen, feiner noch und weicher als der der Linden, deren Nutzung als Bastlieferant am verbreitetsten war. Die Bastfasern der Flatter-Ulme sind besonders leicht aus der Rinde zu herauszulösen. Die eiweißreichen Blätter der Ulmen wurden als besonders hochwertiges Viehfutter genutzt. Zu diesem Zweck wurden die Ulmen geschneitelt, das heißt: Ihr wurden belaubte Zweige noch vor dem Herbst abgeschnitten, getrocknet und im Winter dann verfüttert. Und bereits in der Steinzeit wurden Jagdbögen vorrangig aus dem zäh-elastischen Holz der Ulmen hergestellt.

Ob damals schon für die jeweiligen Nutzungen spezielle Ulmenarten bevorzugt wurden, ist nicht bekannt. Aber selbst in der Neuzeit wurde bei der Verarbeitung von Ulmenholz – in der Holzbranche meist Rüster genannt – nicht immer groß unterschieden, von welcher Ulmenart das Holz stammte. Wenn doch, dann galt allerdings in der Regel das Holz der Flatter-Ulme als am schwierigsten und verlustreichsten in der Verarbeitung. Es reißt leicht, lässt sich schwer spalten und ist recht zäh. Es war daher insgesamt wenig geschätzt. Gefragt war es allerdings gerade wegen seiner Zähigkeit für den Bau von Gerätschaften mit hoher mechanischer Beanspruchung: für Mühlen, Glockenstühle, Räder, Karren, Kutschen oder auch für Skier. Heute findet Ulmenholz vor allem Abnehmer in der Möbel- und Kunsttischlerei, und zwar wegen der interessanten Farbunterschiede zwischen Kern- und Splintholz. Doch auch in dieser Branche wird das Holz der anderen beiden Ulmenarten vorgezogen. Es ist viel kontrastreicher, dunkel schokoladenbraun oder auch rötlich braun im Kern und gelblich hell im Splint. Die Flatter-Ulme dagegen kommt lediglich mit einem etwas müden, hellgrauen bis gelbbraunen Kernholz daher. Aber wenn – und das kommt bei Flatter-Ulmen sehr viel häufiger vor – sich im Stammholz dank zahlreicher ruhender Knospen, immer wieder austreibender, aber vergänglicher Wassertriebe und mit der Zeit entstehender Knollen höchst dekorative Maserungen herausgebildet haben, dann ist so ein Flatter-Ulmenstamm besonders teuer und begehrt: für Täfelungen, Möbel, Pfeifenköpfe und teures Schreibwerkzeug.

Was tun?

Auch wenn wir die Hoffnung nicht aufgeben sollten, dass die Holländische Ulmenkrankheit irgendwann wieder abklingen wird – ausgewachsene Feld- und Berg-Ulmen werden vorerst weiter aus unserer Landschaft verschwinden. Und mit ihnen werden auch zahlreiche, auf Ulmen spezialisierte Lebewesen – vor allem Insekten, Spinnen und Pilze – ihren Lebensraum verlieren. Der zu den Bläulingen gehörende Ulmen-Zipfelfalter ist dafür das bekannteste Beispiel. Es ist daher dringend nötig, den Bestand der Flatter-Ulmen in Deutschland nicht nur zu erhalten, sondern ihn auch zu erhöhen. Denn der Flatter-Ulme als einzige weitgehend resistente Ulmenart kommt die Rolle des Ersatzlebensraums für die meisten dieser bedrohten Arten zu.
Bruch- und Auenwälder sind heute laut Bundesnaturschutzgesetz, aber auch EU-weit geschützt. Sie müssen erhalten werden. Es gibt darüber hinaus Bestrebungen, trockengelegte Feuchtwald-Standorte wieder zu vernässen und ehemalige Überflutungsräume in den Flusstälern wieder zu öffnen und der natürlichen Dynamik des Flusses zu überlassen. Das wäre die beste Art, mehr Lebensraum auch für die Flatter-Ulme zu schaffen. Dies sollte forciert und gefördert werden. Die Flatter-Ulme könnte hier sogar noch eine weitere Ersatzfunktion übernehmen. Denn sowohl die Eschen als auch die Schwarz-Erlen, die zwei häufigsten Begleitbaumarten der Flatter-Ulme auf den Feuchtwaldstandorten, sind derzeit erheblich von Pilzkranheiten heimgesucht und kommen für eine Renaturierung vorerst schwerlich in Frage.

Da lange angenommen wurde, dass alle heimischen Ulmen von der Ulmenkrankheit stark betroffen seien, wurden in den urbanen Bereichen seit etwa einhundert Jahren so gut wie keine Flatter-Ulme mehr nachgepflanzt. Mit den Erfahrungen von heute sollten nun aber die Möglichkeiten genutzt werden, die Flatter-Ulme in die Städte, in die Parks und an die Straßen zurückzubringen.