Nach dem Brand wird geforscht
28 Hektar Kommunalwald dürfen sich natürlich entwickeln
Seit dem letzten Besuch von ROBIN WOOD auf den Waldbrandflächen rund um Treuenbrietzen in Brandenburg ist dort einiges passiert. Es kristallisieren sich vor allem zwei forstwirtschaftliche Wege heraus, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Teile der vom Brand betroffenen Privatwälder wurden komplett gerodet und von Biomasse befreit. Mitte März wurde begonnen, die Flächen mit neuen Setzlingen zu bepflanzen. Der natürlichen Selbstheilung eines Ökosystems wird kein Raum gegeben und wirtschaftliche Ziele stehen im Vordergrund.
Ganz andere Wege werden auf 28 Hektar kommunaler Fläche angegangen. Dort bleiben die vom Brand betroffenen Vegetation stehen. Begleitet wird das Projekt von der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde unter der Leitung von Prof. Dr. Pierre Ibisch. „Grundsätzlich kann er sich über natürliche Entwicklungen wieder erholen“, hat Pierre in den Tagen nach dem Brand verlauten lassen. Nun bekommen er und sein Team die Chance, diese Entwicklung in den nächsten 10 Jahren zu begleiten und unterschiedliche Wege zu testen, sie zu unterstützen.
Unsere Waldreferentin Jana Ballenthien hat Mitte März ein Interview mit Prof. Dr. Pierre Ibisch zu seinem Projekt, zum Bild des Waldes in Deutschland und zur Entwicklung der Forstwirtschaft vor dem Hintergrund klimatischer Veränderungen, geführt.
? ROBIN WOOD: Warst du überrascht, dass die Brände im Sommer 2018 in Brandenburg trotz eines teuren Feuerwarnsystems so große Flächen betrafen?
! Pierre Ibisch: Ich denke, das Ausmaß des Brandes hat sehr viele Akteure überrascht, und natürlich kamen verschiedene ungünstige Faktoren zusammen. Dazu gehörten neben der Beschaffenheit der großflächig monotonen Kiefernforsten und der trockenen und heißen Extremwetterlage auch die Munition im Boden, die Topographie sowie auch Wind. Einmal mehr galt Murphys Gesetz – alles was schiefgehen kann, geht auch schief. Eine ernst zu nehmende Eigenschaft von komplexen Systemen ist, dass sie immer für Überraschungen gut sind und dass sie zu nichtlinearem Wandel neigen.
Ich würde sagen, je mehr Risikofaktoren vorliegen, die potenziell rückkoppelnd aufeinander wirken, desto gefährlicher. Mit immer extremer werdenden Witterungsverhältnissen steigen die Risiken der Entzündung und der Ausbreitung von Bränden jäh an. Das bedeutet u.a., dass man nie sicher sein kann, genügend aus vergangenen Erfahrungen gelernt zu haben.
Das „Es ist noch immer gut gegangen“-Gefühl kann sehr trügerisch sein. Risikomanagement in Zeiten von wachsender Verwundbarkeit der Ökosysteme durch den Klimawandel bedeutet eben auch, dass man sich permanent fragt, ob die in der Vergangenheit (vermeintlich) erfolgreichen Präventionsstrategien immer noch taugen. Nochmal konkret: In Zeiten, in denen Kiefernmonokulturen sich so stark erwärmen und derartig austrocknen, genügen schmale Brandschutzschneisen und Schilder mit der Warnung vor Waldbränden nicht mehr. Die aktuelle Waldwirtschaft gehört gründlich auf den Prüfstand und muss v.a. so umgebaut werden, dass es nicht mehr so leicht brennt. Es ist schon bedauerlich, dass das eigentlich längst klar war – vor allem, wenn wir auch auf Waldbrände in andere Länder schauen. Wie so oft bedarf es offenkundig größerer Katastrophen, um ein ernsthaftes Umsteuern einzuleiten.
Nach den Bränden haben sich viele Türen geöffnet, was die Aufforstung und den Umbau der vom Feuer betroffenen Kiefern-Monokulturen betrifft. ROBIN WOOD war von Anfang beratend mit dabei.
? Wie einfach oder kontrovers war es, das Projekt einleiten zu können?
! Der Diskurs zum Waldumbau ist wieder intensiver geworden. Ob das konsequent und hinreichend schnell zu neuem Handeln führt, muss sich noch zeigen. Wir haben zwar Vorschläge unterbreitet und v.a. auch zu mehr Nachdenken und Diskussion aufgerufen, das hat aber nicht unmittelbar alle Akteure erreicht. Wenn ich auf Flächen sehe, die nicht zum Stadtwald von Treuenbrietzen gehören, dass im Jahr 2019 auf von Waldbrand geschädigten oder zerstörten Flächen in großem Maßstab die Biomasse vollständig abgeräumt wird, ohne die Wirkung auf den Boden zu bedenken, ohne dass Windschutzstreifen belassen werden, ohne dass zukünftige Dürren und Hitzewellen bedacht werden – das ist bestürzend. Insofern ist es großartig, dass für den Kommunalwald Treuenbrietzen die Bereitschaft sofort da war, behutsam vorzugehen und auch neue Wege auszuprobieren.
Wir wünschen uns nun, dass das Vorhaben positive Wirkungen für Treuenbrietzen entfalten kann. Diese Stadt soll nicht mit einer der größten Waldbrandkatastrophen in Deutschland assoziiert werden, sondern einem verantwortungsvollen Umgang mit dem Stadtwald und einem außergewöhnlichen Freilandlabor für die nachhaltige Waldbewirtschaftung.
? Ihr habt ein Projekt gestartet, bei dem ihr 28 Hektar bei der Wiederaufforstung begleitet. Was sind eure Forschungsfragen/Hypothesen. Wer macht mit?
! Die Stadt Treuenbrietzen hat uns diese Fläche für zehn Jahre zur Verfügung gestellt, um hier zu experimentieren, zu messen und zu dokumentieren, zu lernen und zu lehren. Wir werden uns auf dieser Fläche darauf konzentrieren, die Rolle der natürlichen Sukzession bei der Erholung des Waldökosystems zu beobachten und die Entwicklung eines Waldes zu verstehen, der nicht so empfindlich auf die Folgen des Klimawandels reagiert.
Wir wollen auch schauen, ob man diese Sukzession und das Wachsen eines Waldökosystems günstig beeinflussen und beschleunigen kann. Als Material steht die mehr oder weniger verbrannte, abgestorbene oder absterbende Holzbiomasse zur Verfügung.
Wir werden auf manchen Flächen gar nichts unternehmen, auf anderen den Anteil des liegenden Totholzes erhöhen, aber auch Samen und Pflanzen ausbringen. Die Hypothesen sind, dass mehr im Ökosystem verbleibende Biomasse Bodenneubildung und die Entwicklung von strukturreicheren Beständen fördern wird; dass die Flächen auch bei extremeren Wetterlagen kühler und feuchter bleiben werden und die pflanzliche Primärproduktion begünstigen.
Der Verzicht auf stärkeres Eingreifen und das Setzen auf natürliche Selbstheilungskräfte sollte nicht nur ökologisch notwendig, sondern mittel- bis langfristig auch ökonomisch sinnvoll sein. Wir wollen auf den Projektflächen für zukünftige Waldbrände lernen und faktenbasierte Strategien entwickeln.
Das Ganze im Verbund mit starken Partnern. Wir arbeiten mit Arbeitsgruppen der Botanik und der Geoökologie der Universität Potsdam zusammen sowie mit der Naturwaldakademie aus Lübeck. Die größte Herausforderung besteht kurzfristig darin, Ressourcen für die anspruchsvolle Forschung zu erhalten. Wir beginnen erst einmal mit Bordmitteln, also ohne zusätzliche finanzielle Mittel. Aber die erlauben keine großen Sprünge.
? Wie reagieren die Menschen vor Ort, insbesondere die Privatwaldbesitzer*innen auf Euch?
! Bislang gab es noch keine Gelegenheit, unsere Pläne ausführlich vorzustellen und zu diskutieren. Es mag wohl Skepsis geben, und man wird auf unsere Flächen schauen – aber das gilt ja auch umgekehrt. Ich hoffe, dass wir bald auf den Flächen mit der Arbeit beginnen können. Dann werden wir gern auch die lokale Bevölkerung und Schulklassen einladen und diskutieren. Zunächst allerdings muss das Land Brandenburg die Fläche von gefährlicher Munition befreien. Der Antrag wurde von der Stadt schon im vergangenen Jahr gestellt, nun sollte schnell gehandelt werden. Bislang steht noch eine Antwort aus.
? Warum untersucht ihr „nur“ 28 Hektar?
! Das ist die Fläche, die uns von der Stadt angeboten wurde, wobei wir auf dieser und auf weiteren Flächen gemeinsam forschen und handeln werden. Es wird eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Stadtförster geben, der auch auf anderen Flächen schon Modellhaftes geleistet hat. Er zeigt, wie vor allem durch angemessene Bejagung die Verjüngung von Laubbäumen möglich wird und damit ein schnelles Umsteuern zu naturnäheren Wäldern auch unter den schwierigen Boden- und Klimaverhältnissen.
? Wie stellst du dir die Waldflächen um Treuenbrietzen herum in 10/50/100 Jahren vor?
! In zehn Jahren werden wir Flächen sehen, auf denen unterschiedliche Pionierbaumarten wachsen – Birken, Espen und Kiefern werden dazu gehören. Sie werden bunt gemischt sein, unterschiedlich alt – und den Grundstein für ein vielfältigeres, anpassungsfähiges Waldökosystem legen.
Die Projektionen für die längeren Zeiträume hängen ganz stark auch davon ab, wie sehr es der Menschheit gelingt, den Klimawandel zu bremsen. Im schlechtesten Falle wird es in 100 Jahren keinen Wald geben, sondern offene Gebüsche. Im besten Falle erreichen wir den Wiederaufbau eines Waldökosystems, das aber nicht so aussehen wird wie die Wälder heute.
Ich fürchte, wir unterschätzen noch das Potenzial des Wandels, der über unsere Landschaften rollen wird. Deshalb ist es so wichtig, dass wir möglichst konsequent darauf setzen, die Ökosysteme sich so entwickeln lassen zu können, dass sie sich bestmöglich selbst kühlen und befeuchten können: Der wichtigste Auftrag der Klimawandelanpassung im Ökosystemmanagement.
? Denkst du, dass durch die vielen Extremwetterlagen und auch die Brände ein Umdenken bei den Menschen eingesetzt hat, was die Funktionen des Waldes betrifft?
! Wir wissen schon aus Gesprächen und Workshops, dass das Bewusstsein der Menschen für die in der Wissenschaft so genannten ‚regulierenden Ökosystemleistungen‘ angewachsen ist. Die Menschen wollen längst nicht mehr, dass im Wald nur Holz gemacht wird. Sie erwarten auch Kühlung und Grundwasserneubildung, Frischlufterzeugung sowie Schutz gegen Brandkatastrophen.
Nun gilt es, die auf holznutzungsbasierte Einkünfte fokussierten Waldeigentümer an eine neue Waldvision heranzuführen. Das erfordert auch die gesellschaftliche Bereitschaft, Ressourcen für Nichtholz-Nutzungen bereitzustellen und Waldeigentümer auch für Leistungen zu vergüten, die keine Intervention im Waldökosystem erfordern – bzw. diese gar reduzieren.
? Was müsste deiner Meinung nach passieren, um die Forstwirtschaft in Deutschland zeitnah grundlegend nachhaltiger zu gestalten?
! Es geht u.a. um einen politisch-institutionellen Wandel. Es gibt starke Beharrungskräfte und historisch gewachsene Abwehrkräfte in den Organisationen der Forstwirtschaft. Vermeintliche Opposition wird oft entschieden bekämpft. Manche Forstakteure wirken verschlossen. Zuweilen bin ich erstaunt, dass vermeintlich nichtforstliche, aber eben waldökosystemrelevante Forschungsergebnisse kaum wahrgenommen werden.
Auf der anderen Seite stehen längst viele Förster und auch einige Eigentümer für alternative Ansätze, da ihnen klar ist, dass es mit den Monokulturen und dem Nutzungsdruck in den industrialisierten Forsten so nicht weitergehen kann.
Der Klimawandel wird von vielen Forstakteuren sehr einfach diskutiert – es scheint die vorrangige Aufgabe zu sein, endlich möglichst viele neue Baumarten anzubauen.
Wir benötigen aber ein stärkeres ökosystemares Verständnis, eine ökosystembasierte Waldbewirtschaftung. Um den Wandel zu erreichen, müssen wir auch ohne Zweifel kritisch auf die klassische forstliche Ausbildung blicken, die zu sehr an alten Zöpfen hängt.
Ich erwarte wichtige Impulse aus der Zivilgesellschaft vor allem aus der jüngeren Generation, die stärker artikulieren wird, dass sie mit der Arbeit der ‚Profis‘ nicht mehr einverstanden ist.