Krimi zwischen Horror und Hoffnung
Kampagne für den Schutz der europäischen Natur- und Urwälder
Im Sommer 2019 spannten wir bei einer spektakulären Aktion ein riesiges Banner über eine tiefe Schlucht in den von Kahlschlag bedrohten rumänischen Urwäldern. Im vorletzten Magazin, der Ausgabe 143/4.2019, habe ich Ihnen davon berichtet. Wir protestierten gemeinsam mit unseren rumänischen und europäischen Bündnispartnern Agent Green und EuroNatur gegen den Ausbau einer Nationalstraße durch wertvolle Schutzgebiete in den rumänischen Karpaten. Vom Ausbau betroffen wären sowohl Natura 2000-Gebiete, die unter dem Schutz der Europäischen Union stehen, als auch Flächen des UNESCO-Weltnaturerbes zum Schutz der europäischen Buchenwälder. Die derzeitige rumänische Interimsregierung hat die Pläne zum Ausbau der Straße nun vorläufig eingestellt. Unsere Aktion hat ihren Teil dazu beigetragen. Ein großer Erfolg! Trotzdem blieben wir wachsam. Welche neuen, schockierenden Entwicklungen sich ereigneten, und welche hoffnungsvollen Erfolge unsere Kampagne seitdem hervorbrachte, erfahren Sie in diesem Artikel.
Im September wurde die Studie PRIMOFARO (PRIMary and Old-Growth Forest Areas of Romania) veröffentlicht. Dieser Studie zufolge wachsen in Rumänien immer noch mehr als 525.000 Hektar Natur- und Urwälder. Doch so hoffnungsvoll die neuen Zahlen auch sind, die Entwaldung der rumänischen Ur- und Naturwaldflächen schreitet rasant voran. Bis Ende 2019 geheim gehaltene Zahlen aus der Nationalen Forstinventur belegen nun, dass zwischen 2013 und 2018 jährlich 38 Millionen Kubikmeter Holz geerntet worden sind – rund doppelt so viel wie in den Waldmanagementplänen genehmigt waren. Die Regierung verheimlichte das Dokument und die Missstände in der Waldwirtschaft wurden so gut wie nicht verfolgt.
Repression und Morde
Wenige Monate später erfuhren wir von zwei entsetzlichen Morden, die innerhalb eines Monats an den rumänischen Waldrangern Raducu Gorcioaia und Liviu Pop verübt worden waren. Beide waren in den Wäldern unterwegs, um illegale Waldfällarbeiten zu dokumentieren. Sie wurden misshandelt und ermordet. Raducu Gorcioaia und Liviu Pop sind nicht die einzigen Opfer der rumänischen Holzmafia. Allein 2019 gab es 16 Angriffe, 650 waren es in den letzten fünf Jahren. Darunter sind sechs Morde und unzählige schwere Verletzungen durch Hieb- und Stichwaffen.
Die Repression gegenüber Menschen, die sich in Rumänien für den Waldnaturschutz einsetzen, begegnete uns immer wieder während unserer Besuche in Rumänien. So hatten wir vor Ort Kontakt zu Wissenschaftler*innen, die zwar mit uns als NGO zusammenarbeiteten, aber bei allen gemeinsamen Aktivitäten tunlichst darauf achteten, dass davon keine Foto- oder Videobeweise erstellt wurden. Und das aus gutem Grund. Denn in der Vergangenheit wurde eine Person sofort in eine andere Stadt versetzt, direkt nachdem sie auf Videos bei einer waldpolitischen Aktion zu sehen war.
Eine Person, die wir besuchten, wies uns eindringlich darauf hin, in der Nähe ihres Hauses keinerlei politische Symbole zu tragen und uns unauffällig zu verhalten, damit sie ihren Job nicht verlöre. Eine andere, mit der wir sehr vertraut waren, begann uns plötzlich zu siezen, als staatliche Autoritäten in Hörweite waren. Sie gab uns damit zu verstehen, dass sie uns offiziell nicht kennen durfte. Wir konnten eine geführte Wanderung durch die Wälder erleben, wurden aber auch hier wieder darauf hingewiesen, von unserer Begleitperson keine Fotos oder Videos anzufertigen oder gar zu veröffentlichen – aus Angst vor einem Jobverlust.
Deshalb ist es besonders wichtig, dass die Akteur*innen des Waldnaturschutzes international zusammenstehen. So verurteilte ROBIN WOOD gemeinsam mit einer überwältigenden Zahl von 50 internationalen NGO die Morde in einem Brief an die rumänische Regierung. Unsere rumänischen Bündnispartner*innnen brauchen unsere Unterstützung!
Die EU muss aktiv werden!
Ende des Jahres 2019 ging ein Raunen durch Europa, als EU- Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den sogenannten Green Deal ausrief. Ihr zufolge soll er nichts Geringeres leisten, als „unsere Wirtschaft wieder mit unserem Planeten in Einklang zu bringen“. Von der Leyen benutzte gar das Wort „Revolution“ und sprach von einem europäischen „man on the moon moment“. Diese Hoffnung teilen wir nicht. Noch nicht.
Die zwei Werkzeuge, die den Green Deal waldpolitisch repräsentieren, sind die Biodiversitätsstrategie, die aktuell im zehnjährigen Turnus aktualisiert wird, und die neue europäische Waldstrategie, mit deren finaler Version im Herbst oder nun durch Corona verzögert spätestens Anfang nächsten Jahres zu rechnen ist. Bisher sind beide Strategien eher stumpfe Schwerter im Kampf für den Schutz der letzten verbliebenen Natur- und Urwälder Europas. Denn sie zielen vornehmlich darauf ab, forstwirtschaftlichen Bestrebungen einen ökologischen Anstrich zu geben.
Wir fordern hingegen eine starke europäische Waldstrategie, die es uns ermöglicht bereits bestehende Gesetze, wie Natura 2000, konsequent durchzusetzen. Wir fordern die Kartierung und den verbindlichen Schutz von Natur- und Urwäldern und die konsequente Verfolgung von Verstößen gegen Gesetze des Waldnaturschutzes!
Dieses Ziel verfolgen auch unsere Bündnispartner EuroNatur und Agent Green, die gemeinsam mit Client Earth im September letzten Jahres ihre erste Beschwerde gegen die rumänischen Behörden bei der EU-Kommission einreichten. Sie prangerten damit unter anderem die Kahlschläge in rumänischen Natura 2000-Gebieten an, die ohne adäquate Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden. Durch die Beschwerde wurden die Frevel in den Wäldern der Karpaten sichtbar. Alle EU-Kommissionsmitglieder, Mitglieder des Europäischen Rates und des Europäischen Parlaments sind nun informiert.
Waldnaturschutz zum Mittagessen
Die ersten Erfolge zeigten sich bei einer Lunchdebatte der Grünen-Fraktion des Europäischen Parlaments, zu der auch ROBIN WOOD Ende Januar 2020 eingeladen war. Wir trafen dort alte Bekannte, zum Beispiel den ehemaligen Forstinspektor Mihail Hanzu, ein Experte für die rumänische Waldmanagementpläne, der in seinem Berufsleben unzählige Male von Repressionen betroffen war. Mehrmals wurde er offen mit Mord bedroht, als „Volksschädling“ und als psychisch krank diffamiert, weil er das korrupte System der Forstwirtschaft nicht hinnehmen wollte.
Neben verschiedenen europäischen Waldnaturschutzorganisationen nahmen an der Debatte überraschend viele Mitglieder des EU-Parlaments teil. Noch vor Ort schlossen sie Koalitionen für eine gemeinsame Politik im Sinne des Waldnaturschutzes.
EU – Achtung, wir machen Druck!
Kaum zwei Wochen später waren wir mit über zehn unserer Aktiven erneut in Brüssel. Zum ersten Mal in der Geschichte des Vereins protestierten wir direkt vor dem Hauptsitz der EU- Kommission, also der europäischen Zentrale der Macht. In Sturm und Regen spannten wir unser 50 Meter langes Banner, das auch schon in den rumänischen Karpaten über der Schlucht hing. Diesmal hieß es leicht abgeändert „Save European Primary Forests!“ Mit Bärenkostümen, Kettensäge und Sägespänen führten wir über zwei Stunden lang ein aufsehenerregendes Straßentheater auf. Menschen internationaler Naturschutzorganisationen, zum Beispiel aus Estland, den USA, Belgien, Brasilien, Tasmanien, Ungarn, Rumänien, der Slowakei und Schweden unterstützten uns dabei. Diese Bündnisarbeit war ein bewegender Moment in unserer politischen Arbeit. Die stürmischen Winde zerrten am Banner und unterstrichen die Dramatik unserer Forderungen nach einem verbindlichen und konsequenten Schutz aller verbliebenen europäischen Natur- und Urwälder.
Parallel zu unserer Aktion begann die internationale Waldkonferenz, zu der die EU- Kommission geladen hatte. An den nächsten beiden Tagen konnte ROBIN WOOD-Waldreferentin Jana Ballenthien erleben, wie unsere Aktion die Inhalte der Konferenz spürbar beeinflusste. Unser Aktionsvideo ging durch die Reihen der Teilnehmenden. War zuvor das ohne Frage extrem wichtige Thema Bioenergie in aller Munde, so verschob sich der Fokus der Gesprächsthemen auf jedem Podium und in allen Gesprächen auf den Schutz unserer letzten europäischen Natur- und Urwälder. So viel Rückhalt und die vielen neuen Netzwerke stärkten unsere Kampagne für die rumänischen Wälder.
Die EU schreitet ein
Kurze Zeit später gab es positive Entwicklungen auf EU-Ebene: Anfang Februar startete die EU- Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren, in dem sie Rumänien aufforderte die illegalen Abholzungspraktiken zu unterbinden. Vier Wochen hatte die rumänische Regierung Zeit darauf zu reagieren. Bis jetzt gab es keine Reaktion. Auch dies wird vermutlich mit Corona begründet.
Je nach dem wie Rumänien reagieren wird, können unterschiedliche Schritte folgen. Die Kommission kann zum Beispiel vor den Europäischen Gerichtshof ziehen, der dann wiederum hohe Strafen für Rumänien im Falle weiterer illegaler Abholzungen verhängen könnte. Dass das Verfahren tatsächlich begonnen wurde, haben wir dem unermüdlichen Drängen aller Waldnaturschutzorganisationen zu verdanken, die das Thema auf EU-Ebene immer wieder zur Sprache gebracht haben. Es ist ein großer Schritt in die richtige Richtung und es ist unser gemeinsamer politischer Erfolg!
Rumänien rodet weiter – wir protestierten in den Karpaten!
Unsere Freude währte allerdings nicht lange. Mitte Februar dieses Jahres erreichte uns die Nachricht, dass der mehrheitlich staatseigene Energiekonzern Transelectrica den Bau einer Hochspannungsleitung plane, deren Schneise über 30 Kilometer durch 14 Schutzgebiete in den Karpaten verlaufen soll. Natura 2000-Gebiete und Gebiete, die selbst von der rumänischen Regierung als besonders schützenswerte „Virgin Forest“ kategorisiert wurden, seien betroffen. Ungefähr 100 Hektar hochgradig schützenswerte Natur und Urwälder würden der oberirdischen Hochspannungsleitung LEA (linie electrica aeriana) weichen müssen, die vom südlichen Portile de Fier über Resita einmal über die Karpaten bis ins nördliche Arad führen soll. Und das, obwohl alternative Streckenverläufe möglich sind.
Wir waren sehr überrascht, dass Rumänien trotz des laufenden Vertragsverletzungsverfahrens dieses Vorhaben verfolgte. Als wir dann hörten, dass Rodungsteams aus dem ganzen Land zusammengezogen wurden und alle gleichzeitig arbeiteten, war für uns klar, dass Rumänien noch schnell Tatsachen schaffen wollte. So sollte das Großbauprojekt in den streng geschützten Gebieten durchgezogen werden, bevor das Verfahren der EU-Kommission soweit fortgeschritten ist, dass jeder gefällte Baum hohe Geldstrafen nach sich ziehen würde.
Mit Hochdruck begannen wir gemeinsam mit Agent Green eine Aktion für Ende März vorzubereiten, die in direkter Nähe zu den Holzfällarbeiten stattfinden sollte. Am 29. Februar erhielten wir dann einen Anruf, dass die Holzfällungen so rasant fortschritten, dass definitiv nicht damit zu rechnen sei, dass Ende März noch Bäume auf dem geplanten Streckenverlauf stehen würden. Wir mussten die Aktion vorziehen.
Kaum drei Tage später waren drei Aktive von uns in Rumänien, genauer gesagt im Iardastita-Urwald im Südwesten Rumäniens, und erkundeten die Gegend. Nach knapp 20-stündiger Autofahrt und wenig Schlaf wanderten wir die steilen Hänge der Karpaten hinauf auf das Plateau eines Berges. Was wir dort vorfanden, war ungeheuerlich. Die Schneise war gigantisch. Die Holzfällarbeiten waren in ihren letzten Zügen. Auch die letzten Bäume wurden gefällt und für den Abtransport vorbereitet. Gegen Ende des Tages fanden keine Arbeiten mehr statt und es war absehbar, dass an den Folgetagen auch keine mehr stattfinden würden. Wir waren zu spät.
Abends trafen sich rund 20 Aktive aus Rumänien und Deutschland. Trotz dem die Fällungen schon abgeschlossenen waren, entschlossen sich alle zu einer Aktion am nächsten Tag. Gemeinsam wollten wir ein Zeichen setzen und die Vorgänge ans Licht der Öffentlichkeit bringen. Und das gelang uns! Die Witterungsverhältnisse waren ähnlich dramatisch wie bei unserer Aktion in Brüssel. Auf den riesigen Forststraßen versanken wir förmlich im Matsch, und der Himmel gab alles, was er an Regen zu bieten hatte. Wir spannten unser altbekanntes, riesiges Banner, diesmal wieder mit dem Spruch „Save Romanian Primary Forests!“, über eine riesige Kreuzung im Wald. Die Aktivist*innen am Boden hielten über ein Dutzend weiterer Banner – unter anderem mit der Forderung: „Electric Power Line Portile de Fier – Resita NOT via National Parks“ („Stromtrasse Fier – Resita NICHT durch Nationalparks“). Das aufsehenerregende Bildmaterial wurde als Video gestreamt und der Umweltminister, die Polizei und die lokalen Vertreter*innen der Forstbehörde Romsilva telefonisch informiert. Zweit- und Drittgenannte erschienen kurze Zeit später am Aktionsort. Die Vertreter*innen der Forstbehörde waren äußerst wortkarg und machten lange Gesichter, konfrontiert mit dem Vorwurf der Illegalität und unseren politischen Forderungen.
Die Polizei nahm jedoch nicht etwa die Personalien der Waldzerstörer, sondern die mehrerer Aktivist*innen auf. Wir werden sehen, wer sich am Ende juristisch verantworten muss. Die Rodungen für ein System, das einzig und allein auf Profit ausgelegt ist, müssen ein Ende haben!
Nach einem anstrengenden, aber sehr erfolgreichen Aktionstag hatten unsere drei Aktiven am nächsten Tag eine lange Rückreise vor sich. Fünf Tage nach dem alarmierenden Anruf waren alle wieder wohlbehalten zu Hause und haben damit eine weitere, äußerst bewegende Geschichte unseres Aktionsvereins geschrieben.
Corona verursacht nun auch in Rumänien eine schlimme Entwicklung in den Wäldern: Die Zahl der Lkw-Ladungen, die die Karpaten mit Holz verlassen, ist auf dem Höchststand. Sie haben freie Fahrt, denn durch das Homeoffice der Ranger ist das Risiko enorm gesunken, bei illegalen Abholzungen erwischt zu werden.