Kriegt es endlich auf die Liefer-Kette!

Ein Lieferkettengesetz, das gar kein Lieferkettengesetz ist

18. Mai 2021
Tropenwald
Fenna Otten
Tropenwaldreferentin
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Am 22. April 2021 forderte die Initiative Lieferkettengesetz während der 1. Lesung im Bundestag Nachbesserungen: „Menschenrechte und Umweltschutz – kriegt es endlich auf die (gesamte Liefer-)Kette!“
Micha Deutschlade
Magazin

Die Minister Heil, Müller und Altmaier haben in einer Pressekonferenz am 12. Februar 2021 verkündet, dass noch in dieser Legislaturperiode ein Lieferkettengesetz verabschiedet werden soll, voraussichtlich Ende Juni. „Das beste weit und breit!“, so Hubertus Heil – vielleicht aber auch nur besser als gar keins.

Noch am Tag der Pressekonferenz legten sie den entsprechenden Gesetzentwurf vor. Nach zähen Diskussionen und zahlreichen Verzögerungen haben sich die drei Minister endlich geeinigt – Arbeitsminister  Hubertus Heil und Entwicklungsminister Gerd Müller hatten bereits vor einem Jahr Eckpunkte für ein Lieferkettengesetz vorgelegt.
Am 3. März beschloss dann das Bundeskabinett den Entwurf des „Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten“, nun läuft die parlamentarische Debatte. Nach der 1. Lesung im Bundestag, am 22. April, wurde der Gesetzentwurf in verschiedenen Ausschüssen diskutiert, maßgeblich im Ausschuss Arbeit und Soziales. Nach Verbändeanhörungen sollen etwaige Änderungen eingearbeitet werden, am 20./21. Mai folgen dann die 2. und 3. Lesung.

Was steht im Kabinettsvorschlag?

Das Lieferkettengesetz soll zum 1. Januar 2023 in Kraft treten und gilt dann für Unternehmen, die ihren Hauptsitz in Deutschland haben und mehr als 3.000 Mitarbeiter*innen beschäftigen. Zeitarbeiter*innen werden mitgezählt, im Ausland angestellte Mitarbeiter*innen aber nicht. Ein Jahr später gilt das Gesetz dann auch für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeiter*innen.

Für Unternehmen, die zwar in Deutschland geschäftstätig sind, ihren Hauptsitz aber im Ausland haben, ist das deutsche Lieferkettengesetz also irrelevant, beispielsweise Hennes & Mauritz (Schweden) oder Primark (Großbritannien). Die Initiative Lieferkettengesetz hat gefordert, dass Sorgfaltspflichten an die Geschäftstätigkeit gebunden ist – auch das ursprüngliche Eckpunktepapier von Müller und Heil hatte dies vorgesehen.

Unternehmen müssen entlang ihrer Lieferketten auf die Einhaltung der Menschenrechte achten: Sie müssen jährliche Risikoanalysen vorlegen, sich um Prävention bemühen, Abhilfe schaffen und sich transparent zur Kontrolle ihrer Lieferketten äußern.

Der Witz daran ist, dass sich diese Sorgfaltspflicht nur auf die direkten Zulieferer bezieht, nicht bis an den Beginn der Lieferkette reicht. Damit ist das Lieferkettengesetz im Prinzip gar kein Lieferkettengesetz und bleibt hinter den Leitprinzipien der Vereinten Nationen zurück. Es entlässt gerade Unternehmen der Agrarindustrie und Rohstoffgewinnung aus der Verantwortung. Denn die meisten Menschenrechtsverletzungen finden am Beginn der Lieferkette statt, auf Kautschuk- und Palmölplantagen, in Bergbau­minen und Textilfabriken. Bei den indirekten Zulieferern muss ein Unternehmen erst bei „substantiierter Kenntnis“ von Menschenrechtsverletzungen aktiv werden – wenn es bereits zu spät ist! Absurd, wenn man bedenkt, dass ein Gesetz präventiv wirken soll, Umwelt und Menschenrechte von vornherein schützen soll. Das ist eine Abkehr vom präventiven Ansatz der UN-Leitprinzipien.

Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) soll prüfen, ob die Unternehmen ihren Verpflichtungen nachkommen. Tun sie das nicht, können sie mit Bußgeldern und einem Ausschluss von der öffentlichen Beschaffung bestraft werden. Diese behördliche Durchsetzung ist ein guter Punkt, damit geht das Gesetz über ein simples Berichtspflichtengesetz hinaus, bei dem gar keine Sanktionen drohten.

Was aber fehlt ist eine zivilrechtliche Haftungsregelung. Das bedeutet, dass Betroffene deutsche Unternehmen nicht direkt verklagen können. Deutsche NGOs und Gewerkschaften können zwar stellvertretend für die Betroffenen und nach ausländischem Recht klagen (Prozessstandschaft; die Befugnis der Prozessführung eines Dritten). Das ist aber kompliziert, mit rechtlichen Unsicherheiten verbunden und kann sehr lange dauern.

Eine weitere Einschränkung: Die Prozessstandschaft ist begrenzt auf „Gefahr für Leib und Leben“. Das heißt, dass Betroffene nur dann klagen können, wenn Angehörige gestorben sind, sie selbst verletzt wurden oder ihr Eigentum beschädigt oder zerstört wurde. Menschenrechtsverletzungen wie die Ausbeutung durch schlechte Löhne können nicht geltend gemacht werden.

Einer stand auf der Bremse!

Der aktuelle Gesetzentwurf ist weit entfernt von den Eckpunkten für ein Lieferkettengesetz, die Arbeitsminister Heil und Entwicklungsminister Müller im März 2020 vorgelegt hatten – und noch viel weiter entfernt von den Forderungen der Initiative Lieferkettengesetz. Das Wirtschaftsministerium stand auf der Bremse und hat sich für die Interessen der Wirtschaftsverbände stark gemacht. Altmaier war es wichtiger, dass für deutsche Unternehmen kein Wettbewerbsnachteil entstünde und die deutsche Wirtschaft am Ende stärker, nicht geschwächt wäre. Die Covid-19-Pandemie brächte zusätzliche Herausforderungen mit sich.

Dass Peter Altmaier deutsche Unternehmen vor Nachteilen im internationalen Wettbewerb schützen will, während ihre Gewinne mit der Ausbeutung von Arbeitskräften und zulasten der Umwelt gemacht werden, ist zynisch. Dass er ausblendet, dass die gesamte Weltwirtschaft mit den Auswirkungen der Pandemie zu kämpfen hat, ist extrem unsolidarisch und geht am Kern des neuen Gesetzes vorbei.

Dabei setzt sich auch ein Teil der Privatwirtschaft für ein wirkungsvolles Lieferkettengesetz ein. Anlässlich der 1. Lesung forderten 50 Unternehmen eine Stärkung des Gesetzentwurfes im anstehenden parlamentarischen Verfahren. Das Gesetz müsse sich an bestehenden internationalen UN- und OECD-Standards orientieren, faire Wettbewerbsbedingungen schaffen, und die Rechte von Betroffenen stärken.

Die Initiative Lieferkettengesetz fordert dringende Nachbesserungen

  • Wir brauchen vollumfängliche Sorgfaltspflichten, die nicht nur für den eigenen Geschäftsbereich und unmittelbare, sondern auch mittelbare Zulieferer gelten.
  • Außerdem muss der Geltungsbereich auf alle Unternehmen mit über 250 Mitarbeitenden ausgeweitet werden, sowie auf kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) in Sektoren mit besonderen menschenrechtlichen Risiken.
  • Drittens fordert die Initiative eine explizite zivilrechtliche Haftungsregel im Lieferkettengesetzes, wonach Unternehmen vor deutschen Zivilgerichten für Schäden haften, die sie durch Missachtung ihrer Sorgfaltspflichten verursacht haben.
  • Und bisher vollkommen unbeachtet: Wir brauchen eigenständige umweltbezogene Sorgfaltspflichten. Die Zerstörung von Natur und Umwelt ist nicht nur dann ein Verbrechen, wenn dadurch Menschenrechte verletzt werden!

 

Derweil in Brüssel

Nur eine Woche nach dem Kabinettsbeschluss in Deutschland sprach sich das EU-Parlament für ein Lieferkettengesetz aus – und es ist sehr viel ambitionierter als der deutsche Gesetzentwurf. Das EU-Gesetz soll nicht nur die Menschenrechte, sondern auch das Klima und die Artenvielfalt schützen. Außerdem enthält es eine neue Klagemöglichkeit für Betroffene.

Die Parlamentarier*innen in Brüssel stimmten für den sogenannte „Legislativbericht über menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten von Unternehmen“, nachdem sich der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments bereits Ende Januar für ein starkes europäisches Lieferkettengesetz ausgesprochen hatte. Laut Legislativbericht sollen auch kleinere und mittlere börsennotierte Unternehmen unter das Gesetz fallen, außerdem solche aus Hochrisikobranchen wie der Textilindustrie. Es soll zudem nicht auf den Hauptsitz, sondern auf die Geschäftstätigkeit innerhalb der EU ankommen, sodass Firmen erfasst würden, die ihren Hauptsitz außerhalb der EU haben.

Jetzt ist die EU-Kommission an der Reihe, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. EU-Justizkommissar Reynders scheint tatsächlich durchgreifende, effektive Regelungen anzustreben. Im Juni 2021 wird mit einem Gesetzentwurf gerechnet.

Deutschland muss also nachbessern. Nicht nur, weil der deutsche Gesetzentwurf viel zu schwach ist, sondern auch, weil die Regelungen der EU für alle Mitgliedsstaaten verbindlich gelten werden.

 

Die Kautschukindustrie

Die Wirtschaft reagierte anfänglich zwar erleichtert auf den im Februar vorgelegten Gesetzentwurf. Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), begrüßte beispielsweise den Verzicht auf eine zivilrechtliche Haftung. Damit vermeide die Bundesregierung „einen Konstruktionsfehler“ im Lieferkettengesetz.

Mittlerweile fordern viele Wirtschaftsverbände allerdings die Überarbeitung, so auch der Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie (wdk): „Der jetzt vorgelegte Entwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten schießt über das Ziel hinaus und muss aus Sicht der deutschen Kautschukindustrie in mehreren Punkten überarbeitet werden“.
Der wdk fordert beispielsweise, dass tatsächlich nur die unmittelbaren Zulieferer der Sorgfaltspflicht unterliegen, nicht die mittelbaren – dabei sind in der Kautschuklieferkette gerade die Menschen von Umweltzerstörung, Landbesitzkonflikten und Menschenrechtsverletzung betroffen, die in den Anbauländern leben: Plantagenarbeiter*innen und Kleinbäuer*innen.

Das Problem Naturkautschuk: Gummistiefel, Wärmflaschen, Gartenhandschuhe, Dichtungsringe, Matratzen, Fahrradreifen – überall steckt Naturkautschuk drin. Der milchige, klebrige Saft fließt in der Rinde des Kautschukbaums, Hevea Brasiliensis. Hauptanbauländer sind Indonesien und Thailand, sie produzieren mehr als die Hälfte der globalen Ernte.

Kautschuk wird ähnlich wie Ölpalmen weitestgehend in Monokultur angebaut. Innerhalb von nur 10 Jahren hat sich die Anbaufläche weltweit verdoppelt, sie ist mittlerweile etwa so groß wie Deutschland. Die wachsende Nachfrage nach Naturkautschuk bedroht deshalb in zunehmendem Maße tropische Waldökosysteme und Artenvielfalt. Landrechtskonflikte und Arbeitsrechtsverletzungen häufen sich.