Klimapolitik für eine solidarische Lebensweise
Debattenbeitrag
Das Desaster der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA darf nicht zu einer falschen Gegenüberstellung der vermeintlich progressiven Klimapolitik nach Paris versus den nun in den USA und anderswo gestärkten Klimaskeptikern und Bütteln der auf fossile Ressourcen setzenden Konzernen führen. So wichtig es ist, dass im Rahmen der Klimarahmenkonvention auf internationaler Ebene Regeln und Ziele vereinbart werden, so realistisch muss gesagt werden: Die bisherige Klimadiplomatie ist politisch weitgehend gescheitert. [Ein Beitrag in unserer Debattenreihe „Climate Justice how? – Die Klimagerechtigkeitsbewegung nach dem Pariser Abkommen“]
Das 1,5 Grad-Ziel hat zwar neuen Schwung in die internationale Klimapolitik gebracht. Aber ein Problem bleibt, dass die vereinbarten Verpflichtungen der Länder bei Weitem nicht ausreichen. Und dass die Ziele weiterhin freiwillig bleiben und ohne Sanktionsmechanismen versehen sind.
Das war schon die Krux beim Kyoto-Protokoll. Denn seit 1990 haben die weltweiten Emissionen an Treibhausgasen um 30Prozent zugenommen. Laut dem 1997 unterzeichneten und 2005 in Kraft getretenen Protokoll der Klimarahmenkonvention sollten sie eigentlich deutlich sinken.
Damals hat sich der phänomenale Aufstieg der Schwellenländer erst in Umrissen abgezeichnet. Und der basiert sehr stark auf der Förderung und Nutzung fossiler Energieträger. Doch selbst in Europa sind Emissionsrückgänge seit 1990 eher auf Deindustrialisierung zurückzuführen: Deutschland nach der Vereinigung; in Polen, Tschechien oder Russland nahmen die Emissionen zwischen 1990 und 2010 um knapp bzw. gut 30 Prozent ab, in der Ukraine gar um fast 60 Prozent - wobei die Rückgänge vor allem in den 1990er Jahren zu verzeichnen sind und ab 2000 die Emissionen wieder zunehmen. Doch in Spanien nahm der Ausstoß um 25 Prozent zu und in Österreich um 8 Prozent. Eine rühmliche Ausnahme ist Großbritannien, wo der Ersatz von Kohlekraftwerken durch Gaskraftwerke zu erheblichen Reduktionen führte.
Es steht weiterhin an, was selbst die Regierungen der sieben größten Industrieländer beim G7-Treffen wenige Monate vor der Pariser Klimakonferenz als „völlige Dekarbonisierung der Weltwirtschaft“ bis Ende des Jahrhunderts bezeichnet haben. Dadurch soll die menschengemachte globale Erwärmung bis 2100 auf unter zwei Grad seit Beginn der Industrialisierung gehalten werden. Der Angelpunkt dafür ist der Verzicht auf fossile Energieträger.
In der Tat gibt es keine Alternative zur drastischen Reduktion der Energienachfrage. Denn die Verbrennung von Öl, Gas und Kohle ist weiterhin der Klima-Killer Nummer eins - vor der Abholzung von Wäldern und damit dem Verlust der CO2-Bindung in den Pflanzen und vor der landwirtschaftlichen Produktion, hier vor allem durch die Freisetzung von Methangasen bei der Produktion von Fleisch und Reis.
„Die drastische Reduktion der Energienachfrage muss vor allem in den Industrieländern erfolgen, denn Klimawandel ist eine Frage globaler Gerechtigkeit.“
Und diese Reduktion muss vor allem in den Industrieländern erfolgen, denn Klimawandel ist eine Frage globaler Gerechtigkeit. Die Emissionen erfolgen vor allem in den reichen und zunehmend in den Schwellenländern. 100 Entwicklungsländer sind für nur 3 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich.
Soziale Bewegungen wie jene für Klimagerechtigkeit sehen ihre Aufgabe darin, zu wenig angesprochene Probleme auf die öffentliche Agenda zu bringen, falsche Lösungen wie das einseitige Setzen auf „grünes Wachstum“ und Technologien zu kritisieren und aufzuzeigen, dass es viele Alternativen gibt bzw. dass solche weiter entwickelt werden sollten. In vielen Ländern– insbesondere im globalen Süden – geht es auch darum, über Widerstände die Verschlechterung der konkreten Lebensverhältnisse aufzuhalten und den Raum für Alternativen zu lassen. Wo großflächig Bergbau betrieben wird und wurde, ist in der Regel nicht nur das Wasser verschmutzt und die Landschaft völlig verändert, sondern damit eben auch wenig Raum für ein auskömmliches Leben der lokalen Bevölkerung, ökologische Landwirtschaft und anderes.
Die Bewegung für Klimagerechtigkeit politisiert insbesondere den unzureichenden Umbau des Energiesystems, der mit einer tiefgreifenden sozial-ökologischen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft einhergehen muss. Dann kommen Fragen der Automobilität und industriellen Landwirtschaft,von industrieller Produktion und ihren Wachstums- und Profittreibern auf die Tagesordnung. Die Bewegung politisiert damit einige Geburtsfehler der internationalen Klimadiplomatie.
„Grenzen der Übernutzung der Natur müssen gesellschaftlich und politisch gesetzt werden durch die Veränderung der Kräfteverhältnisse, Diskurse, sozio-ökonomischer und politischer Verhältnisse.“
In der Klimapolitik wird viel über Emissionen und Grenzwerte gesprochen, wobei deren Festlegung nicht nur eine Frage der wissenschaftlichen Forschung ist, sondern auch eine von Diskursen und Kräfteverhältnissen zwischen Klimawissenschaftlern und -skeptikern, sozialen Bewegungen, progressiven wie reaktionären Regierungen und der auf fossilen Energieträgern basierenden Industrien. Das wird auch so bleiben.
Grenzen der Übernutzung der Natur müssen gesellschaftlich und politisch gesetzt werden durch die Veränderung der Kräfteverhältnisse, Diskurse, sozio-ökonomischer und politischer Verhältnisse. Insofern ist die Bewegung für globale Klimagerechtigkeit immer Teil dieser Kämpfe und Kräftekonstellationen – das sollte sie ermuntern zum Weitermachen, aber auch zu einer Reflexion dieser Kräfte- und Diskurskonstellationen. Wenn gleich in der Politik viel über Emissionen gesprochen wird, so kaum über die Ursachen. Diese sind in unserer kapitalistisch-industriellen und fossilistischen Produktions- und Lebensweise zu suchen. Die Menschen der Industrieländer greifen in ihrem Alltag fast selbstverständlich auf die Produkte des Weltmarkts zurück. Die werden durch den Globalisierungsprozess noch stärker als zuvor durch billige Arbeitskraft und Naturressourcen produziert.Es handelt sich um eine „imperiale Lebensweise“. Diese in eine solidarische umzubauen, ist die große Aufgabe unserer Zeit. Vorschläge und Ansätze dafür gibt es zuhauf, sie sind aber bislang kaum gesellschaftlich relevant (was nicht gegen sie spricht).
Die offizielle Klimapolitik kommt sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene an diese tief verankerte Lebensweise im globalen Norden nicht heran. Markus Wissen nennt das eine „strukturelle Überforderung“ der Klimapolitik.
Ja mehr noch: Das Modell der ressourcenintensiven Lebensweise wird in den Ländern des Nordens entwickelt, stabilisiert und vorgelebt. Zudem wird ein Großteil der Güter, die auf dem Weltmarkt vor allem von den reichen Ländern nachgefragt werden, in China produziert, wo zwangsläufig auch die mit der Produktion verbundenen Emissionen entstehen. Man spricht in der Fachdiskussion von einem Export der Klimagase.Und schließlich haben die Industrieländer aufgrund der Emissionen in der Vergangenheit eine Art „historischer Schuld“abzutragen.
Zu dieser Lebensweise gehört die ressourcenintensive Produktion dazu, wird das ausgeblendet, landet man politisch rasch beim Appell an die KonsumentInnen, die die Welt verändern sollen. Ein Beispiel: Im Jahr 2014 machten die Öl- und Gasfirmen alleine in den USA und Kanada 235 Milliarden Dollar Gewinne. Der derzeit geschätzte Wert der bekannten Öl- und Kohlereserven weltweit beträgt Zehntausende Milliarden von Euro! Gleichzeitig zeigen seriöse Studien, dass aus klimapolitischen Gründen drei Viertel dieser Reserven im Boden bleiben müssen. Das Geld ist ja nicht nur für private Formen von Interesse, sondern auch für Regierungen in Russland, Saudi-Arabien oder Venezuela. Hier geht es also um knallharte Machtfragen, die aber eben mit jenen der herrschenden und zu verändernden Lebensweise verbunden werden müssen.
Schließlich sollte sich die Bewegung – schwierig genug – auf von der fossilen Produktions- und Lebensweise verursachte Probleme und Desaster einstellen. Nicht in zynischer und rechthaberischer Absicht, sondern um klug und für eine breite Öffentlichkeit plausibel zu intervenieren, in dem sie Interessen und Machtverhältnisse, falsche Versprechen und Lügen der„Gegenseite“ offenlegt. Das ist eine Frage der guten und gut recherchierten Argumente, der konkreten Medienarbeit,der Kontakte in politische, mediale und zivilgesellschaftliche Spektren hinein und zu progressiven Unternehmen. Es ist damit eine Frage von Bündnispolitik und -fähigkeit, gerade um radikale Forderungen und Alternativen zu stärken (und keine falschen Kompromisse zu machen).
Das sollte verbunden werden mit einer Story, einer „Erzählung“von einem möglichen, anderen guten Leben, das nicht nur von einer kleinen Öko-Elite gelebt werden kann und will,sondern von vielen Menschen. Das scheint mir das Interessante an der Degrowth-Bewegung: die Ansätze für ein „gutes Leben für alle“.
Ulrich Brand, Professor für Internationale Politik an der Universität Wien, arbeitet unter anderem zur Krise der Globalisierung und zu sozial-ökologischen Fragen. Er ist Mitherausgeber der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ sowie Mitglied in der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) und im wissenschaftlichen Beirat von Attac Deutschland.
Zum Weiterlesen:
- Degrowth in Bewegung(en), 35 spannende Beiträge mit Analysen und Alternativen: https://www.degrowth.de/de/dib/degrowth-in-bewegungen/post-extraktivismus/
- Sybille Bauriedl (Hrsg., 2016.): Wörterbuch Klimadebatte. Bielefeld: Transcript.
- Ulrich Brand und Markus Wissen (2017): Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. München: Oekom-Verlag.
- Stephan Lessenich (2016): Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis. Berlin: Hanser.
- Zeitschrift Movum. Briefe zur Transformation. Diverse Ausgaben: www.movum.info