Ilex, die stechende Palme

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So frei und ungeschützt – wie hier in der Lüneburger Heide – trifft man die Stechpalme selten an.
Foto ▸ Wolf Polzin

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Meist wächst die Stechpalme als Unterholz in Laubwäldern, geschützt vor Kälte und Trockenheit.
Foto ▸ Andreas Roloff

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In Irland, wie hier im Bild, und England gibt es Exemplare der Stechpalme, die wohl etwa 500 bis 600 Jahre alt sind.
Foto ▸ Wolfgang Schürmann

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Zauberhafter Ilexhain im sogenannten Neuenburger Urwald. In diesem eindrucksvollen Hudewald in Friesland stehen auch eine ganze Reihe von über 10 Meter hohen Stechpalmen.
Foto ▸ Rudolf Fenner

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Harry-Potter-Fans werden es wissen: Harrys magischer Zauberstab bestand aus einem geschnitzten Ast einer Stechpalme, in den – um die Zauberkraft noch zu stärken – ein Phönixfederkiel eingearbeitet worden war. Auch im realen Leben sind es vor allem kleine, feine Dinge, die aus Ilexholz gefertigt werden, Schirm- und Gehstöcke zum Beispiel. Früher wurde es wegen seiner Härte und Zähigkeit auch für Zahnräder, Flaschenzüge und Werkzeugstiele verwendet.
Foto ▸ Thomas Kellner

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Diese eindrucksvolle Stechpalme ziert als Titelbild den nun schon traditionellen und wegen seinen zahlreichen und wunderschönen Bilder sehr begehrten Wandkalender zum Baum des Jahres 2021 (neues Format: 22 x 33 cm, aufgehängt 44 x 33 cm). Er ist wieder von unserem ehemaligen Waldreferenten Dr. Rudolf Fenner verfasst worden und kostet 14,50 € plus Porto. Es wird auch wieder ein Faltblatt zur Stechpalme à 0,60 € angeboten. Zu bestellen bei der: ROBIN WOOD-Geschäftsstelle, info@robinwood.de, Tel.: 040 380892-0.
Foto ▸ Andreas Roloff

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In diesem unter Naturschutz stehenden sehr lichten Eichen-Hülsenwald im Landkreis Nienburg/Weser hat sich das Stechpalmen-Unterholz zu einem Dickicht entwickelt, das insbesondere an den sonnenbeschienenen Waldrändern undurchdringlich geworden ist.
Foto ▸ Rudolf Fenner

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Ihre stärkste „Karriere“ allerdings machte die Stechpalme als Zier- und Gartengehölz: Es gibt heute eine kaum überschaubare Fülle von Gartenformen der Stechpalme. Meist sind es weibliche Sorten, damit sie auch die dekorativen roten Früchte im Herbst und Winter tragen.
Foto ▸ Hans-Roland Müller

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Als immergrüner Baum beliebt in Gärten und auf Friedhöfen, hier in Devon, England.
Foto ▸ Andreas Roloff

Sie wirkt wie eine Exotin in unserer mitteleuropäischen Landschaft. Alle heimischen Laubbäume werfen hier im Herbst ihre Blätter ab. Die Europäische Stechpalme – so der offizielle Name des Ilex – tut das nicht. Sie ist immergrün und behält ihre Blätter sommers wie winters, jedes über drei Jahre und länger. Ungewöhnlich sind auch ihre satt dunkelgrün glänzenden Blätter. Sie sind ledrig-steif und haben – bei jungen Bäumen und später zumindest bis in eine Höhe von etwa zwei Metern – einen welligen und mit unangenehm spitzen Stacheln bewehrten Blattrand.

Aber ist die Stechpalme überhaupt ein Baum? Man kennt sie doch eher als ein strauchartiges Gehölz in Laubwäldern, meist ein, zwei Meter, gelegentlich auch mal bis zu fünf Meter hoch, doch eher in die Breite gehend, umgeben von Ablegern aus bewurzelten Seitenästen und ausgetriebenen Wurzel­sprossen. Die Antwort ist einfach: Die Stechpalme kann beides: Baum oder Strauch sein – abhängig von den Lichtverhältnissen. Auf sehr lichten Waldstandorten oder in Grünanlagen oder Gärten kann man sie hoch aufgeschossen sehen, oft mit einem geraden, bis in die Spitze ziehenden Stamm, vom Wuchs her an die kegelförmige Gestalt von Nadelbäumen erinnernd. Zehn Meter, seltener auch bis fünfzehn Meter hoch können sie hier werden, so hoch etwa wie ein viergeschossiges Haus. Keine Frage also: Die Stechpalme – wenn auch nicht gerade ein Gigant – ist doch zweifelsohne ein Baum.
Und was ihre exotische Ausstrahlung betrifft: Sie ist eine Europäerin durch und durch. Sie wuchs schon vor über zwei Millionen Jahren hier auf diesem damals allerdings deutlich wärmeren Kontinent. Und zwar in einer subtropischen Waldgesellschaft, wie sie heute in Europa nur noch auf den geologisch bereits zu Afrika gehörenden Kanarischen Inseln zu finden ist. Die Stechpalme ist aber trotz des sich abkühlenden Klimas in Europa geblieben. Sie lebte sich in die verändernden Lebensverhältnisse ein und zog sich nur während der periodisch auftretenden Eiszeiten in den Südwesten der Iberischen Halbinsel zurück. Eine Exotin ist sie also nicht, aber doch immerhin ein bemerkenswertes Relikt aus einem anderen Erdzeitalter.

Deutschland ist Grenzland

Heute fühlt sich die Stechpalme in Europa überall dort wohl, wo es dank nicht allzu ferner Meeresflächen recht milde Winter ohne Früh- und Spätfröste und nicht zu trockene Sommer gibt. Ihr heutiges natürliches Verbreitungsareal ist daher das klimatisch stark durch den Atlantik geprägte Westeuropa von der Südwestküste Norwegens bis zur Iberischen Halbinsel. Gut kommt sie auch an den mediterran geprägten Berghängen der Alpen, des Apennin und des westlichen Balkans zurecht, und zwar in den höheren Lagen, wo es weder zu heiß und noch zu trocken ist. Auch entlang der türkischen Schwarzmeerküste bis hin zum Kaukasus und im Norden Afrikas – im Atlasgebirge beispielsweise – ist sie zu finden.

Die Ostgrenze ihrer natürlichen Verbreitung zieht sich in Deutschland diagonal etwa von der Odermündung bis ins Saarland. Weiter südlich kommt sie noch in voneinander getrennten Wuchsgebieten im Pfälzerwald, im Schwarzwald und am Nordrand der Alpen vor. Aber ansonsten ist es der Stechpalme jenseits dieser Linie für ein dauerhaftes Überleben in der freien Natur oft zu frostig oder zu trocken.
Aber auch diesseits der Linie braucht sie meist den klimatischen Schutz höherer Bäume. Man trifft sie daher in Deutschland nur recht selten und vereinzelt auf Heiden und anderen baumfreien Flächen an. Lediglich in England und Irland mit ihrem rundum atlantischen Klima gibt es auch Stechpalmenbestände, die ohne jegliche schützende Baumschicht gut zurechtkommen.

Kulturfolgerin

Nach der letzten Eiszeit breitete sich die Stechpalme aus ihrem südwestiberischen Refugium nordwärts aus, zunächst nur entlang der Atlantikküste, später, als das Klima deutlich wärmer wurde, auch ostwärts ins Inland hinein. Doch sie war kein wirklich häufig vorkommender Baum.
Erst als der Mensch im Verlauf der Jungsteinzeit sesshaft zu werden begann und die dichte Waldlandschaft für seine Ansprüche mehr und mehr aufbrach, nahm ihre Häufigkeit deutlich zu. Einer der Gründe dafür ist, dass die Stechpalme nur an lichteren Standorten in den Wäldern auch blüht und fruchtet. Die Ausbreitung über Samen wird daher zugenommen haben. Entscheidender war aber wohl, dass nun auch zunehmend Vieh gehalten wurde. Und dieses Vieh – Ziegen, Schafe und Rinder – wurde zum Weiden in die Wälder getrieben, wo dann letztlich alles erreichbare Grün, und damit auch die nachwachsenden Waldbäume, abgeweidet wurde. Lediglich wehrhafte Gehölze wie der Wacholder oder die Stechpalme wurden verschont und konnten sich nun ohne konkurrierendes Unterholz und in immer lichteren Wäldern ungehindert und zu Bäumen heranwachsend ausbreiten.

Waldweiden, sogenannte Hudewälder, waren bis ins 18. Jahrhundert noch weit verbreitet. Sie wurden dann aber im Rahmen der großen Aufforstungsprogramme und neuer strikter Forstgesetze im Laufe des 19. Jahrhunderts stark zurückgedrängt. Die seitdem dichter gewordenen Wälder lassen die Stechpalme heute wieder oft nur zu einem eher strauchförmigen Gehölz heranwachsen. Doch noch immer gibt es auch eine ganze Reihe an ehemaligen Waldweiden, die an ihrem ungewöhnlich starken Vorkommen an auch hochgewachsenen Stechpalmen zu erkennen sind.

Eine für die Stechpalme durchaus bedrohliche Situation gab es aber Anfang des letzten Jahrhunderts – und die hat mit Weihnachten zu tun. Die dunkelgrünen und mit wunderschönen, roten Steinfrüchten besetzten Zweige der Stechpalme waren schon seit Jahrhunderten wie auch andere immergrüne Zweige gern gesehene Schmuckreiser – besonders zu Weihnachten, aber auch schon zu Allerseelen Anfang November, in der Adventszeit, zu Silvester und zum Palmsonntag im beginnenden Frühling.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts kamen sie aber derart in Mode, dass ganze Wagenladungen in den Wäldern geerntet wurden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde das Stechpalmen-Schnittgrün sogar nicht mehr nur regional vertrieben, sondern auch per Eisenbahn in Regionen exportiert, in denen es keine wildwachsenden Stechpalmen gab. Dieser offensichtliche Raubbau führte zu immer lauter werdenden Protesten von Natur- und Landschaftsschützer*innen. In den 1920er Jahren wurden erste lokale Verbote und dann auch regionale Schutzverordnungen erlassen. Ab 1935 dann steht die wildwachsende Stechpalme deutschlandweit unter besonderem Schutz – heute geregelt nach der Bundesartenschutzverordnung (BArtSchV). Sie darf weder kommerziell noch privat gepflückt, beschnitten oder ausgegraben werden.

Hier in Deutschland sind Stechpalmenzweige als Weihnachtsschmuck daher heute weitgehend verschwunden. Im Stechpalmenland Großbritannien dagegen, und mehr noch in Nordamerika, spielen sie aber immer noch eine prägende Rolle in der Weihnachtszeit. In den USA gibt es große Stechpalm-Plantagen (holly-farms) allein zu diesem Zweck.

Krisengewinnerin

In der heutigen menschengemachten Klimaerwärmung wird die Stechpalme zur Krisengewinnerin. In den letzten drei, vier Jahrzehnten hat sie sich bereits in West-Norwegen entlang der Westküste weiter nach Norden und in Dänemark weiter nach Osten ausbreiten können. Sie hat den Sprung nach Südschweden geschafft. Und von ihren Vorkommen an der deutschen Osteeküste aus erschließt sie sich mittlerweile bereits jenseits der Odermündung in Polen neue Lebensräume.

Aber nicht nur an den Grenzen ihres Verbreitungsgebietes, sondern auch innerhalb ihres natürlichen Vorkommens wird sie von dieser Klimaveränderung wohl profitieren. Denn als immergrünes, höchst schattentolerantes Unterholz in Laubwäldern läuft ihre Fotosynthese am wirkungsvollsten in den fünf bis sechs lichtreichen Monaten des Winterhalbjahres, wenn diese Wälder ohne Laub dastehen. Lediglich an Frosttagen findet keine Fotosynthese statt. Aber schon ab Null Grad springt sie, wenn auch auf niedrigem Niveau, wieder an. Da nun aber infolge der Klimaveränderung die Winter milder werden und die Frühjahrstemperaturen eher ansteigen, wird das der Stechpalme sicherlich einen Vitalitätsschub bringen. Ob und wie stark sich dies auf die Ausbreitung und Dichte der Stechpalmenvorkommen innerhalb der Wälder auswirken wird, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen.

 

… und warum wird sie Palme genannt?

Schon unter den Botanikern des 16. Jahrhunderts war Stechpalme der übliche Name für diesen Baum. Die so gar nicht passende Beschreibung als Palme hängt mit der christlichen Tradition zusammen, bei der am Sonntag vor Ostern, dem Palmsonntag, mit einer Prozession an den Einzug Jesu in Jerusalem erinnert wird. Jesus war damals mit Palmwedeln begrüßt worden. Da es aber in Mitteleuropa keine Palmen gibt und auch anderes Grün zu dieser frühen Jahreszeit kaum vorhanden ist, wurden Sträuße aus Zweigen der Stechpalme – meist zusammen mit Zweigen anderer immergrüner Gehölze – zum kirchlich geweihten Palmwedelersatz.
Ilex, der botanische Gattungsname, ist mittlerweile für viele Leute auch der sehr viel vertrautere und sympathischere Name. Die offizielle Benennung als Stechpalme sorgt heute eher für Irritationen.

Im Nordwesten Deutschlands, der Region mit der wohl dichtesten Verbreitung der Stechpalme, gilt allerdings Hülse (gelegentlich auch leicht abgewandelt Hulst) als quasi amtlicher Name der Stechpalme. Hulst heißt der Ilex auch in den Niederlanden, im Englischen Holly und auf Französisch Houx. Alle diese Namen gehen auf einen gemeinsamen Wortstamm zurück, mit dem auch anderes stechendes Gesträuch bezeichnet wurde.
Es gab und gibt auch noch eine recht große Zahl lokaler, volkstümlicher Namen, von denen hier nur einige angeführt werden: Walddistel, Christusdorn, Stecheiche, Hülskrabbe (Münster), Schradler (Österreich), Waxlafa (oberbayerischer Dialekt, bedeutet scharfes Laub), Stechholder, Döörn und Schorittenbaum (Aachen; Schoritt ist ein Schornsteinfeger. Mit Bündeln von Stechpalmenzweigen wurden Ruß, aber wohl auch böse Geister aus dem Kamin entfernt).

 

Die kultivierte Stechpalme
Schon früh wurden Stechpalmen wegen ihrer wehrhaften und immergrünen Belaubung sowie ihrer hohen Austriebfreudigkeit nach Beschneidung als Heckengehölz verwendet. Besonders in England gehörten sie zu den typischen Gehölzen, mit denen dort Äcker und Weiden eingegrenzt wurden. Vermutlich machte sie auch ihr hoffnungsgebendes Immergrün zu einem gerne gepflanzten Hausbaum. Auch in Park- und Grünanlagen sind fast immer zumindest ein paar Stechpalmen zu entdecken.
Ihre stärkste „Karriere“ allerdings machte sie als Zier- und Gartengehölz: Es gibt heute eine kaum überschaubare Fülle von Gartenformen der Stechpalme. Meist sind es weibliche Sorten, damit sie auch die dekorativen roten Früchte im Herbst und Winter tragen. Darunter gibt es auch Sorten mit gelben oder orangenen, vor allem aber mit besonders vielen Früchten. Natürlich sind auch männliche Formen gefragt, allein schon, weil es ohne männliche Exemplare in der Nähe auch keine roten Früchte gäbe. Gefragt sind die männlichen Sorten aber auch in der Nähe von Kindergärten, Spielplätzen oder Schulhöfen, wo man keine Sträucher mit verlockend roten, aber leicht giftigen Früchten haben möchte. Besonders häufig sieht man auch Stechpalmen mit zweifarbig –  grünweiß oder grüngelb – gemusterten, sogenannten panaschierten Blättern. Und von alledem gibt es dann noch Formen, die kleinwüchsig sind oder ausschließlich glatte Blattränder haben.

 

Steckbrief der  Europäischen Stechpalme, Ilex aquifolium

  • Habitus: immergrüner Baum; in dichten Laubwäldern strauchförmig bis 5 m, oft zu einem Gebüsch aus Wurzelsprossen und sich bewurzelten Seitenzweigen auswachsend; in lichten Laubwäldern und im Freistand baumförmig bis 10, selten 15 m hoch und mit einem Stammumfang, der nur selten 1 m überschreitet; durchgehender gerader Stamm, Seiten­äste fast waagerecht; kegelförmiger, bei alternden Bäumen ovaler Kronenhabitus
  • Rinde: junge Triebe bis zu 10 Jahre lang grün und fotosynthetisch aktiv, später grau und glatt, zunehmend durch Lenticellen (Luftöffnungen) und sich oberflächlich ablösenden Rindenschichten strukturiert
  • Blätter: wechselständig; 6 – 8 cm lang, gestielt (ca. 1 – 1,5 cm); Blattoberfläche lederartig, dunkelgrün und stark glänzend; Unterseite heller. Im unteren Kronenbereich sind die Blattränder unverwechselbar mit bis zu sechzehn Blattstacheln, meist abwechselnd nach oben und nach unten zeigend, besetzt. Weiter oben nehmen die Stacheln meist nach und nach ab bis hin zu völlig glattrandigen, lorbeerartigen Blättern (sogenannte Heterophyllie)
  • Blüten: Die Stechpalme ist zweihäusig, d.h. männliche und weibliche Blüten befinden sich auf getrennten Bäumen; Blütenknospen stehen dicht gedrängt in den Blattachseln; die Stechpalme blüht im Mai, gelegentlich bis in den Juni hinein; die Blüten sind etwa bis 8 mm groß, weiß, meist zart rötlich oder cremefarben, haben in der Regel vier Blütenblätter; in den Blüten ist das jeweils andere Geschlecht (Staubgefäße, Griffel) in verkümmerter Form noch zu erkennen; Bestäubung findet durch Käfer, Fliegen, Schwebfliegen, Wespen und Bienen statt
  • Früchte: Kugelige, 7 –10 mm breite, gestielte Steinfrüchte, ab Juli grün, später leuchtend rot; Vögel, vor allem Drosseln, aber auch Tauben fressen sie, allerdings eher als Notnahrung; die Früchte bleiben daher nach milden Wintern oft bis zur nächsten Blüte und länger am Baum; für Menschen sind die Früchte – wie auch die Blätter – als gering giftig eingestuft.