Hunger auf Eiweiß
Einblicke in die Sojapolitik von Berlin und Brüssel
Wie ist es möglich, dass der weltweite Sojabedarf noch immer weiter steigt? Sinkt in Deutschland der Fleischkonsum nicht endlich? Tatsächlich passiert da etwas, vor allem etwas weniger Schweinefleisch landet auf den Tellern. Trotzdem gilt: Bei Geflügel stieg der Konsum in den letzten zehn Jahren um zwei Kilogramm auf 13,1 kg pro Kopf und Jahr. Und weltweit hat die Fleischproduktion im gleichen Zeitraum um stattliche 50 Prozent massiv zugenommen.
In unserem reichen Land ist zugleich eine andere Entwicklung zu beobachten: ein Eiweißhype ist ausgebrochen. Wir essen im Schnitt doppelt so viel Protein, wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) als gesund und notwendig empfiehlt. Investoren jubeln: Gesundheits- und sportbegeisterte Menschen futtern in Europa jedes Jahr noch einmal fünf Prozent mehr Eiweißriegel. Ein großer Teil stammt aus den Maschinen besonders großer Süßwaren- und Lebensmittelkonzerne. Damit kommen wir schon wieder zum Soja. Denn auch vor der Herstellung eines Eiweißriegels steht die Produktion des begehrten Proteins. Es stammt teilweise aus Soja, Nüssen oder Erbsen, zu einem großen Teil aber aus Ei- oder Milcheiweiß. Damit schließt sich der Kreis zu den Eiweißfuttermitteln. Denn ohne Protein im Futter gibt es weder starke Tiermuskeln, die als Fleisch, reißenden Absatz finden, noch Milch oder Eier.
Importiertes Soja schadet Klima, Artenvielfalt und Menschenrechten. Das ist seit langem so offensichtlich, dass auch die Politik nicht länger darüber hinwegsehen konnte. Regierungen ringen um politische Konzepte, den Import von Eiweißfuttermitteln zu reduzieren. Zunehmend thematisieren sie auch, dass es sich lohnen würde, das Eiweiß auf den Tellern der Menschen zu einem größeren Teil direkt aus Pflanzen zu gewinnen.
Die Eiweißpflanzenstrategie in Deutschland
In Deutschland gibt es schon seit 2012 die sogenannte Eiweißpflanzenstrategie. Gute Nachricht: Seitdem hat sich der Anbau von Eiweißpflanzen in Deutschland fast verdreifacht. Es gibt verschiedene Fördermittel für den Anbau, für die Züchtung und die Entwicklung von Produkten. Das Agrarministerium spricht allerdings von einer weiterhin bestehenden „Eiweißlücke“ von 18 Prozent – so viel Eiweiß für die Futtertröge musste 2021, vor allem in Form von Sojabohnen aus Brasilien und den USA, importiert werden. Diese Lücke soll die Strategie reduzieren, tut sie aber nicht.
Eine Tücke mit der Lücke: Die Turbohühner, die heute in den Mega-Mastställen von PHW/Wiesenhof oder Rothkötter in kürzester Zeit Fleisch ansetzen sollen, sind regelrecht auf südamerikanisches Soja getrimmt. Sie entwickeln sich nur dann so rasant, wie es der Katalog der Zuchtkonzerne verspricht, wenn sie einen großen Anteil Import-Soja im Futter bekommen. Denn deren Eiweißzusammensetzung scheint dafür perfekt. Es ist eine Gewichtszunahme, die ihnen an die Gesundheit geht und gequälte Kreaturen garantiert.
Chronisch an der Eiweißfutter-Zufuhr hängen auch Hochleistungsmilchkühe: Als Wiederkäuer sind sie eigentlich großartig darin, in aller Ruhe Grünzeug zu mampfen und ihm Nährstoffe zu entlocken, an die kein Mensch herankäme. Aber da sie inzwischen genetisch dazu gezwungen sind, bis zu 12.000 Liter Milch pro Jahr zu geben, müssen sie ständig Kraftfutter dazu bekommen. Dabei ruiniert ihnen die Milchproduktion viel zu früh die Gelenke und die Euter. Ihre Lebenserwartung ist gegenüber ihren Vorfahren und weniger Milch gebenden verwandten Artgenossen massiv gesunken. Es müsste bei ihnen kein Soja aus der Ferne sein, aber es findet sich trotzdem in der Mehrzahl ihrer Futtertröge.
In der deutschen Eiweißpflanzenstrategie stehen viele richtige Dinge. Sie unterstreicht unter anderem, dass der Anbau von Leguminosen für die Fruchtfolge auf dem Acker wichtig ist. Leguminosen sind Hülsenfrüchtler, uns allen bekannt als Erbsen, Bohnen (inklusive Soja) oder Linsen, aber auch Klee oder Luzerne (kleinsamige Leguminosen) gehören dazu. Die Hülsenfrüchtler können eine Symbiose mit Bodenbakterien eingehen und dann anders als andere Pflanzen Stickstoff aus der Luft binden. So können sie Energie für ihr eigenes Wachstum ohne künstlichen Dünger heranschaffen und oft auch für Nachfolgekulturen den Boden aufwerten.
Leguminosen tun also dem Boden gut, sparen Energie für Kunstdünger und liefern leckere eiweißhaltige Körner für Mensch und Tier. In der Landwirtschaft spielen auch die kleinsamigen Leguminosen eine wichtige Rolle, die nicht auf unseren Tellern landen wie zum Beispiel Klee. Dieser kann im Gemenge mit Gras viele Tiere sättigen und ist eine echte Alternativen zu Importsoja.
Die Ampel in Berlin hatte sich schon im Koalitionsvertrag vorgenommen, die Eiweißpflanzenstrategie weiter zu entwickeln und veröffentlichte jetzt ein Paket an Förderungen für mehr Soja, Kichererbse, Bohne und Co. Gut daran: Sie sollen Eiweißpflanzen für den direkten menschlichen Verzehr in den Fokus nehmen. Aber die Förderungen haben an den Haushaltseinsparungen gelitten.
In der Praxis gibt es häufig Probleme. So stellen Landwirt:innen fest, dass sie ihre selbst angebauten Bohnen oder Erbsen nur schwer verkaufen können. Und zwar sowohl, wenn sie konventionell anbauen als auch, wenn sie es ökologisch tun. Bund und Länder müssen mehr für den Aufbau regionaler Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen tun. Gleichzeitig gilt: Billigimporte passen zu Globalisierungsstrategien und sogenannten Freihandelsabkommen. Aber nicht zu einer enkeltauglichen Landwirtschaft. Auch innerhalb Europas macht Soja aus Rumänien oder der Ukraine dem in Deutschland angebauten harte Konkurrenz.
Aktion Agrar und ROBIN WOOD demonstrierten deshalb Anfang August 2024 gemeinsam mit dem Floß und vielen Fahrrädern für eine echte Agrar- und Ernährungswende. Die Leguminosen und faire Preise gehören dazu. Weniger Fleischkonsum, weniger Milch und Eier und eine Ernährung der Tiere mit Futter vom eigenen Hof sind weitere Bausteine. Wir kommen nicht um eine offene Diskussion darüber herum, wie es gelingen kann, den Landwirt:innen Planungssicherheit und gute Perspektiven zu geben.
Die EU und die Eiweißstrategie
Vor ein paar Jahren hatte die EU-Kommission noch verkündet, dass es nicht nötig sei, auf EU-Ebene eine Eiweißstrategie zu entwickeln. Im letzten Jahr forderte das EU-Parlamente dann aber, dass die Kommission hier ihre Hausaufgaben machen müsse. Zum einen, um Klimaschutz und Artenvielfalt zu fördern. Zum anderen, um mehr Unabhängigkeit von Billigimporten aus Russland oder China zu gewinnen. Das Parlament forderte mehr Weidehaltung, mehr regionales Futter, mehr Eiweißpflanzen auf den Feldern und auch mehr Nutzung von Insekten als Eiweißquelle.
Streit gab es um die Frage, ob für den Eiweißgewinn auch Gentechnik zum Einsatz kommen soll. Dieser Punkt und wie es überhaupt mit der Eiweißstrategie in Brüssel weitergehen soll, wird in den nächsten Monaten auf die Tagesordnung kommen. Es gibt neue Mehrheiten in Brüssel, die nicht gerade auf Klimaschutz und Menschenrechte schauen. Umso wichtiger wird der zivilgesellschaftliche Druck.
Eine gute Eiweißstrategie, die den Fokus darauf legt, den Anbau von Eiweißpflanzen direkt für die menschliche Ernährung zu fördern, die auf Gentechnik auf den Feldern verzichtet und den Fleischriesen die rote Karte zeigt, wäre zukunftsfähig. Auch dafür schipperten wir auf dem Mittellandkanal entlang, dem Schauplatz täglicher Soja-Transporte.
Eiweiß ist ein wichtiger Bestandteil unserer Nahrung. Wer sich ausgewogen ernährt, bekommt davon genug auf den Teller. Fitness- und Gesundheits-Trends heizen den Hunger nach Eiweiß immer wieder an. Es ist zynisch, dass wir damit längst übertreiben, während die versprochenen Vorteile nicht eintreten – aber die Nachteile weder auf den Packungen noch in der öffentlichen Diskussion eine Rolle spielen. Gerade die Extradosis Protein, die auf tierischen Produkten basiert, hat doch etwas zu tun mit einer Extradosis Klimakrise und Zerstörung.