Greenwashing bei Michelin

19. Januar 2021
Tropenwald
Fenna Otten
Tropenwaldreferentin
Magazin

Industrielle Abholzung in Sumatras Tropenwald: Ein neuer Bericht legt nahe, dass der weltgrößte Reifenhersteller, Michelin, von Abholzungen wusste und daraus Profit schlug.

Die Nachfrage nach Naturkautschuk wächst und bedroht – neben dem Anbau von Ölpalmen – Biodiversität und Waldökosysteme in Südostasien. Innerhalb von zehn Jahren hat sich die Anbaufläche verdoppelt. Hauptabnehmerin von Kautschuk ist die Reifenindustrie, sie verarbeitet 70 Prozent des weltweit produzierten Naturkautschuk.
Michelin sah sich in der Verantwortung und hat 2015 zusammen mit der indonesischen Unternehmensgruppe Barito Pacific das Joint Venture PT Royal Lestari Utama (RLU) gegründet. Es wurde behauptet, RLU würde in Sumatra und Kalimantan sozialverträglich und ökologisch nachhaltig Kautschuk anbauen. Fair bezahlte Arbeitsplätze für die lokale Bevölkerung wurden versprochen und die „von unkontrollierter Abholzung verwüsteten“ Konzessionsflächen sollten  wieder aufgeforstet werden, kurzum: ein riesengroßes Vorzeigeprojekt sollte entstehen, das sich über 88.000 Hektar Land erstreckt.

Kleinbäuer*innen aus dem Dorf Muara Sekalo dagegen berichteten der ROBIN WOOD-Tropenwaldreferentin Fenna Otten, damals noch Wissenschaftlerin an der Uni Göttingen, von Abholzung und Umweltzerstörung: PT Lestari Asri Jaya (LAJ), eine Tochterfirma von RLU, habe Wald gerodet, um die Flächen für die Pflanzung von Kautschuk vorzubereiten. Viele von ihnen haben mittlerweile aufgegeben und ihr Land an LAJ abgetreten. Sie erfuhr in den Gesprächen  mit Menschen vor Ort von vielen Landrechtskonflikten und davon, wie machtlos sie sich im Angesicht der Forderungen von LAJ fühlten. Diese Berichte der lokalen Bevölkerung veröffentlichte Fenna Otten  im Januar 2020 im Rahmen eines wissenschaftlichen Artikels im Journal of Land Use Science. Sie stehen in krassem Widerspruch zu dem Narrativ einer nachhaltigen ländlichen Entwicklung von Michelin.

Mit Abholzungen vollendete Tatsachen geschaffen

Anfang Oktober 2020 veröffentlichte die internationale Umweltorganisation Mighty Earth eine neue Studie, COMPLICIT – An investigation into deforestation at Michelins Royal Lestari Utama Project in Sumatra, Indonesia. Die Studie basiert auf Satellitenbildanalysen und Interviews mit Menschen vor Ort. Sie zeigt, dass schon zweieinhalb Jahre bevor Michelin und Barito Pacific ihre Zusammenarbeit und das Joint Venture PT Royal Lestari Utama (RLU) bekannt gaben, Tochterfirmen der Unternehmensgruppe Barito Pacific in industriellem Maßstab Wald abgeholzt hatten, um Platz für Kautschukplantagen zu schaffen. Weitere Recherchen im Zuge der Studie  legen nahe, dass Michelin von den Rodungen wusste und billigend in Kauf genommen hat.

„Das ist ein riesiger Skandal,“ sagt der Autor der Studie, Alex Wijeratna, Kampagnenleiter bei Mighty Earth. „Tausende Hektar einzigartiger, intakter und wildtierreicher Wälder wurden im Vorfeld des RLU-Projekts in Sumatra auf schändliche Weise industriell abgeholzt. Michelin wusste über diese Zerstörung Bescheid, entschied sich aber dafür, sie vor der Öffentlichkeit und vor den Inves­toren, die seither Millionen von Dollar in das Projekt gesteckt haben, geheim zu halten.“

Michelin hat Investitionen in Millionenhöhe akquiriert, sogenannte grüne Anleihen aufgelegt, um das vermeintliche Vorzeigeprojekt der „Green Economy“ zu finanzieren. Die erste Tranche der Anleihen hatte einen Wert von 95 Millionen US$, für die zweite Tranche in Höhe von 120 Millionen US$ werden momentan Investor*innen gesucht.

Einmaliger Nationalpark

Der Tieflandregenwald Jambis stellt einen besonders wertvollen Lebensraum für gefährdete Arten dar. Vor allem das Landschaftsökosystem Bukit Tiga­puluh, der größte zusammenhängende Tieflandregenwald auf Sumatra, bietet sowohl den Sumatra-Elefanten, Sumatra-Tigern und seit einigen Jahren auch wieder den Sumatra-Orang-Utans eine Heimat. Das Ökosystem ist allerdings nur zur Hälfte durch den Bukit Tigapuluh-Nationalpark geschützt.
Die Konzessionen des RLU-Projektes grenzen teilweise direkt an den Nationalpark. Ein Wildlife Conservation Area (WCA) wurde eingerichtet, doch auch innerhalb dieser Puffer-Zone wurde Wald gerodet, wie Satellitenbilder zeigen.

Michelins leere Versprechen

Michelin war 2016 der erste Reifenhersteller weltweit, der eine „Zero Deforestation Policy“ veröffentlichte und sich dazu verpflichtete, für die Produktion von Reifen nur Naturkautschuk von solchen Plantagen zu verarbeiten, für deren Pflanzung kein Wald gerodet wurde. So eine Selbstverpflichtung klingt erstmal gut. Bei genauer Betrachtung wird sie aber zu einem komplett leeren Versprechen: Primärwald darf nicht gerodet werden – Sekundärwald, der nicht explizit unter Schutz steht aber doch! Dabei scheint dem Reifenhersteller nicht wichtig, dass auch diese Wälder wertvoll sind, Kohlenstoff speichern, Artenvielfalt bewahren, Lebensraum bieten.

Entwaldungsfreie Lieferketten – jetzt!

Der Druck auf die großen Reifenkonzerne ist in den letzten Jahren gestiegen, für den Kautschuk-Anbau keinen Tropenwald mehr zu zerstören. Die Forderung: ein Wandel der Produktionssysteme hin zu umwelt- und sozialverträglicher Landnutzung. Für die Produktion von Kautschuk gibt es mittlerweile derlei Initiativen. Die Sustainable Natural Rubber Initiative (SNR-I) wurde 2015 im Rahmen der International Rubber Study Group (IRSG) gestartet. Die IRSG, die seit 1944 besteht, ist die einzige zwischenstaatliche Organisation, zu der 36 Staaten und über 700 Vertreter der Industrie gehören.

Daneben gibt es die GPSNR, die Global Plattform on Sustainable Natural Rubber, eine private multi-Stakeholder Initiative. Die Initiative wurde 2017 vom Tire Industry Project (TIP) des World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) ins Leben gerufen, sowohl Reifenhersteller wie Michelin und Bridgestone, der Autohersteller Ford und andere Akteure der Naturkautschuk-Lieferkette, als auch NGOs wie Mighty Earth und der WWF sind unter den Mitgliedern.

Im August letzten Jahres haben beide Organisationen, die IRSG und die GPSNR, eine Absichtserklärung (Memorandum of Understanding, MoU) unterzeichnet. Sie wollen zukünftig zusammenarbeiten, um ihre Vision einer nachhaltigen Lieferkette von Naturkautschuk zu verwirklichen. Aber auch hier das gleiche Problem: Unternehmen können Sekundärwald, der nicht explizit unter Schutz steht, roden und auf diesen Flächen „nachhaltigen“ Kautschuk produzieren.

Es ist absurd, dass Wälder für agro-industrielle Plantagen abgeholzt werden können, Ökosysteme zerstört werden, Menschen ihr Land verlieren, um am Ende aber dennoch als sozial-ökologisches Vorzeigeprojekt finanziert und gefeiert zu werden!

Wir brauchen Standards, die besser sind als die Zero Deforestation Policy von Michelin! Vor allem braucht es Standards, die verbindlich und für alle Unternehmen gelten. Unternehmen müssen für Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen haftbar gemacht werden. Letztlich braucht es entwaldungsfreie Lieferketten! Dafür setzt sich ROBIN WOOD ein.