Geborgenheit
Die Bedeutung von Geborgenheit für den Aktivismus bei ROBIN WOOD
„Ich habe mich in der Aktionsgruppe gut aufgehoben gefühlt. Wir haben alle aufeinander aufgepasst, das hat mir Mut gegeben.“ Das sagte ein*e ROBIN WOOD-Aktive*r im Nachgang einer Aktion zu mir. Für mich als Aktivenunterstützerin ist das eine schöne Rückmeldung. Ein Ziel meiner Arbeit ist, dass sich möglichst viele Menschen im Verein und bei Aktionen wohl und ermächtigt fühlen.
Ich freue mich riesig, wenn wir das gemeinsam schaffen und meine Arbeit Früchte trägt. Für mich als Bewegungs- und Transformationsforscherin steckt in diesen Worten aber noch viel mehr. Ich erkenne darin, dass es um Geborgenheit geht. Geborgenheit – dieses Gefühl kennen wir wahrscheinlich alle. Gleichzeitig ist es gar nicht so einfach, zu erklären, was das überhaupt ist. In den meisten Sprachen gibt es überhaupt kein Wort dafür. Um dieser Sprachlosigkeit etwas entgegenzusetzen, habe ich meine Masterarbeit über Geborgenheit geschrieben. Denn ich bin überzeugt davon, dass Geborgenheit in aktivistischen Gruppen einen Unterschied machen kann.
Geborgenheit ist für viele Menschen eine Mischung aus Sicherheit, Zugehörigkeit, Zuhausesein und Gemütlichkeit. Meiner Meinung nach entsteht Geborgenheit vor allem in der Beziehung von einem Mensch zu anderen Menschen, zu sich selbst und zur (Um)Welt. Es gibt bisher keine große wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Konzept der Geborgenheit. Im Globalen Norden gibt es nur eine Handvoll Psycholog*innen und Philosoph*innen (meistens Männer), die Texte zu dem Thema veröffentlicht haben. Deren Ausführungen waren hilfreiche Startpunkte für meine Arbeit, jedoch wird Geborgenheit hier oft als individuelles, unpolitisches Gefühl umrissen. Das ging mir nicht weit genug. Ich habe gefragt: „Wie verhält sich Geborgenheit, wenn man sie aus ihrem vertrauten Umfeld zwischen gutbürgerlicher Gemütlichkeit und liebevoller Sicherheit herausoperiert? Was geschieht mit ihr zwischen Klimakrise, Polizeiketten und Grenzzäunen?“ Meiner Auffassung nach muss Geborgenheit (auch) als etwas Kollektives verstanden werden. Sowohl ihre Bedingungen als auch ihre Auswirkungen sind politisch.
Doch was bedeutet Geborgenheit im Aktivismus überhaupt und auf welche Art und Weise wird sie hergestellt? „Hergestellt“ sage ich, weil aus emotionssoziologischer Sicht alle Gefühle aktiv (das heißt nicht unbedingt bewusst) gemacht werden, z.B. durch Sprache, Berührungen, Verhaltensweisen etc. In meiner Arbeit habe ich vier verschiedene Formen von Geborgenheit im Aktivismus herausgearbeitet, die ich im Bezug auf ROBIN WOOD erklären möchte.
Geborgenheit lässt sich bei ROBIN WOOD z.B. in den Forderungen und Zielen erkennen. Wenn wir fordern, dass es in Zeiten der Klima- und Energiekrise eine Umverteilung von reich zu arm geben soll und dabei kritisieren, dass arme Menschen kalte Wohnungen haben, dann lässt sich darin ein Kampf gegen Geborgenheitsverlust bzw. für eine gerechtere Geborgenheitsverteilung erkennen. In meiner Arbeit habe ich das Programmatische Geborgenheit genannt.
Politische Aktionen, wie wir sie machen, sind meiner Meinung nach oft zunächst eine Ungeborgenheitssituation: Aktivist*innen sind z.B. Kälte oder Polizeigewalt ausgesetzt und gehen auch ein persönliches Risiko ein, gerade das macht zivilen Ungehorsam ja auch so stark! In vielen aktivistischen Gruppen und auch bei ROBIN WOOD lassen sich aber im Gruppenleben viele Praktiken erkennen, die diesen Ungeborgenheitsgefühlen etwas entgegensetzen. Dazu gehören Freundschaften und gegenseitiges Auffangen nach Aktionen. Diese Form nenne ich situative Geborgenheit.
Während es hierbei eher um „ungeschriebene“ Verhaltensweisen geht, betrachtet organisierte Geborgenheit die Form von Geborgenheit, die mithilfe von formalisierten Strukturen hergestellt wird. Dazu gehören bei ROBIN WOOD z.B. Befindlichkeitsrunden, ein Aktionskonsens oder Bezugsgruppen. Andersherum können wir Praktiken der Polizei (z.B. Hausdurchsuchungen) als gezielte Geborgenheits(zer)störung verstehen.
Bei der materiellen Geborgenheit geht es um Geborgenheit, die durch Räume oder Gegenstände ausgelöst wird. Ein naheliegendes Beispiel hierfür ist das Klettermaterial, das zu einem Sicherheitsgefühl führen kann. Aber auch ein gemütlicher Plenumsraum, ein Müsliriegel in einer Aktion oder der Baum, auf dem man mehrere Wochen verbringt, kann dazu beitragen, dass Menschen sich geborgen fühlen.
Es gibt also viele unterschiedliche Formen von Geborgenheit. Auf den ersten Blick wirkt es vielleicht so, als wäre diese Geborgenheit immer „gut“ und als sollten wir anstreben, sie in unseren Aktionsgruppen zu vergrößern. Das ist erstmal auch nicht so abwegig, schließlich sind Menschen laut dem Psychologen Hans Mogel „geborgenheitsorientierte Wesen“. Er ist davon überzeugt, dass wir unser Leben immer danach ausrichten, möglichst viel Geborgenheit zu erleben.
Doch nicht alle Menschen haben gleichen Zugang zu Geborgenheit, deshalb ist es wichtig, sie auch kritisch zu betrachten. Geborgenheitserleben ist nicht immer für alle gleich möglich und manchmal auch ungerecht verteilt, weil es unter anderem mit wirtschaftlichen und sozialen Ressourcen zusammenhängt. Geborgenheit lebt auch von Grenzen und Ausschlüssen: Wenn wir bei ROBIN WOOD zusammenkommen, haben wir z. B. eine bestimmte Art zu sprechen (wir sagen „Gesa“ statt Gefangenensammelstelle) oder uns zu kleiden (wir tragen ROBIN WOOD-Pullis).
Für die Eingeweihten löst diese sogenannte „Kollektive Identität“ ein wohliges Gefühl aus, für Menschen, die (noch) nicht Teil davon sind, kann das aber sehr abschreckend wirken. Auch, wenn wir das vielleicht gar nicht wollen, erzeugen wir damit Ausschlüsse. Die Geborgenheit des einen kann also manchmal auch Ungeborgenheit für die andere bedeuten: Es gibt unterschiedliche Geborgenheitsbedürfnisse, die sich manchmal widersprechen. Die Frage, wessen Bedürfnis dann erfüllt wird, entscheidet sich leider oft entlang von ohnehin existierenden Machtstrukturen.
Es zeigt sich also: Geborgenheit kann ungerecht sein und bestehende Machtverhältnisse verstärken. Deshalb möchte ich sie aber nicht grundsätzlich verfluchen. Wir müssen einfach gut aufpassen, wie wir sie herstellen und wie wir mit ihr arbeiten, wen wir dabei ausschließen und wie wir sie inklusiver gestalten können. Geborgenheit hat transformatives Potenzial – die Hoffnung auf Geborgenheit in einer aktivistischen Gruppe kann Menschen in den Aktivismus hineinziehen, kann ihnen Kraft geben, sich zu engagieren. Wenn sie sich geborgen fühlen, kann das dazu führen, dass sie langfristig aktiv bleiben. Doch während wir in unserer Gruppe Geborgenheit produzieren, werden immer auch Menschen ausgeschlossen, dessen sollten wir uns bewusst sein.
Ein Ziel von uns könnte sein, Geborgenheit auszuweiten: Sprachen sprechen, die möglichst viele Menschen einbeziehen und diese aber auch immer wieder erklären, neue Menschen an die Hand nehmen, immer wieder uns und unsere Selbstverständlichkeiten und Privilegien hinterfragen und natürlich auch im Großen dafür kämpfen, dass immer mehr Menschen auf der Welt Geborgenheit erleben können oder Geborgenheit nicht verlieren.
Geborgenheit in Zeiten von Klimakrise, Rechtsruck und Pandemien aufrechtzuerhalten ist übrigens gar nicht so einfach. Deshalb ist es umso wichtiger, dass unser Aktivismus ein Ort sein kann, an dem wir uns gut aufgehoben fühlen und aufeinander aufpassen. Die Aktionsgruppe „ausgeco2hlt“ beschreibt die Bedeutung von Gemeinschaft in krisenhaften Zeiten sehr treffend: „Wir schauen uns im Abgrund so richtig gründlich um und klettern zusammen wieder raus.“ Und das können wir bei ROBIN WOOD doch besonders gut, oder?
Clara Tempel ist seit 2022 Aktivenunterstützerin bei ROBIN WOOD. Im Studiengang Transformationsstudien an der Europa-Universität Flensburg schrieb sie ihre Masterarbeit mit dem Titel „Geborgenheit in Bewegung(en)“. Die Arbeit erscheint 2025 als Buch im Verlag Graswurzelrevolution.