Für eine klimagerechte Mobilitätswende!

Mehr Fortschritt wagen

21. Februar 2022
Mobilität
Dominique Just & Jonas Asal
ROBIN WOOD-Mobilitätsreferentin & ROBIN WOOD-Flugverkehrsreferent
Magazin

Viele Menschen hatten nach 12 Jahren Verkehrsministerium unter CSU-Führung mit der neuen Regierung auf einen Aufbruch bei der Verkehrswende gehofft. Diese Hoffnung wurde jedoch bereits mit dem Koalitionsvertrag der Ampelkoalition und spätestens mit Bekanntgabe des neuen Verkehrsministers herb enttäuscht: FDP-Generalsekretär Volker Wissing übernimmt das Amt. Vieles deutet darauf hin, das uns in den nächsten Jahren weiterhin eine veraltete Verkehrspolitik erwartet, die vor allem auf technologische Scheinlösungen und „grünes Wachstum“ setzt.
 
Dass noch nicht einmal ein Tempolimit eingeführt wird, das in allen anderen EU-Ländern längst selbstverständlich ist, steht exemplarisch für diesen Politikstil. Die Regierung sieht sich größtenteils in der Rolle zu verwalten statt zu steuern. Lose Klimaschutzziele und schwache Anreize dominieren gegenüber Maßnahmen, die angesichts der globalen Klimakrise eine tatsächliche Wende in der Verkehrspolitik einleiten würden. Sanktionen und Verbote, beispielsweise für Verbrenner oder Kurzstreckenflüge, wären dringend notwendig, fehlen aber auch in der kommenden Legislaturperiode.

Mehr Fortschritt im Verkehrsbereich wagen!

Das Motto des Koalitionsvertrags heißt: „Mehr Fortschritt wagen“ und an diesem Anspruch muss sich die Ampel-Koalition messen lassen. Eine Erkenntnis, die für große Teile der Klimabewegung mittlerweile selbstverständlich geworden ist, muss sich allerdings auch in der Gesellschaft und auf der höchsten Politik-Ebene durchsetzen: Fortschritt darf nicht zugleich Wachstum bedeuten. Und ja, auch vermeintlich „grünes“ Wachstum bleibt Wachstum auf einem begrenzten Planeten.

Um die CO2-Emissionen zu senken und die schlimmsten Auswirkungen der Klimakrise zu bewältigen, ist eine Abkehr vom Credo des Wirtschaftswachstums unvermeidlich. Die Lösung für die Mobilitätswende heißt daher nicht mehr Autos, auch wenn diese nun batterieelektrisch angetrieben werden.

Statt des Wachstumscredos muss eine neue Frage mit der Idee des Fortschritts verknüpft werden: Wie schaffen wir es auch in Zukunft allen Menschen innerhalb der planetaren Grenzen ein gutes Leben zu ermöglichen? Es ist höchst unwahrscheinlich, dass das sture Festhalten am motorisierten Individualverkehr dieser Frage standhält. Denn der verschlingt natürliche Ressourcen und wertvollen öffentlichen Raum, beruht auf Ausbeutung und setzt die Gesundheit unzähliger Menschen aufs Spiel. Auch der Fortbestand klimaschädlicher Kurzstreckenflüge ist alles andere als fortschrittlich, also weder mit Ökologie noch mit sozialer Gerechtigkeit vereinbar.

Eine echte Mobilitätswende sieht anders aus
 
In kaum einem Politikbereich scheitert der Fortschrittsanspruch der Ampel-Koalition krachender als im Verkehrsbereich. Die Regierung plant keinen Verbrennerausstieg vor 2035 und verweist diesbezüglich auf politische Entscheidungen auf EU-Ebene.

Der Fokus wird stattdessen auf die massive Förderung von Elektroautos (inkl. E-Auto-Kaufprämie und Ausbau der Ladeinfrastruktur) gelegt. Es gibt kaum Anreize für eine Reduktion des motorisierten Individualverkehrs. Zwar soll ein neuer Bundesverkehrswege- und Mobilitätsplan 2040 erarbeiten werden, aber es fehlt ein klares Bekenntnis für eine klimaverträgliche und zukunftstaugliche Infrastrukturpolitik. Und es fehlt ein Moratorium für Straßenbauprojekte, die auf veralteten Planungsgrundlagen basieren und längst nicht mehr klimaverträglich sind. Dies verdeutlicht, wie gefährlich die Idee des grünen Wachstums ist. Es fehlen jegliche Sofortmaßnahmen, um tatsächlich Emissionen unmittelbar, etwa durch Verbote, zu senken. Dennoch finden sich Anreize zum Klimaschutz, und die Regierung kann damit sowohl die nach Wachstum strebende Autoindustrie als auch einen Teil der Klimaschutz fordernden Bevölkerung vermeintlich zufrieden stellen. Dabei fällt allzu oft unter den Tisch, dass die erwartbaren Effekte zur Minderung des Treibhausgas-Ausstoßes viel zu schwach ausfallen und die Maßnahmen keine grundlegende Mobilitätswende einleiten.

Koalition bleibt im Bereich Flugverkehr ohne Ambitionen

Auch im Bereich Flugverkehr bleibt der Koalitionsvertrag schwammig und ohne Ambitionen. Sehr symptomatisch für die vermeintlich „grüne“ Wachstumslogik der Ampel ist das zentral propagierte Vorhaben, das „CO2-neutrale Fliegen“ technisch voranzubringen und Deutschland in diesem Bereich zum Spitzenreiter zu machen.

Dabei handelt es sich um eine klassische klimapolitische Scheinlösung, die zwar auf den ersten Blick viel verspricht, aber im Grunde Augenwischerei ist. Zur Wahrheit gehört, dass die versprochenen technischen Innovationen bezüglich synthetischer Kraftstoffe von einer vollumfänglichen Anwendung erstens noch Jahrzehnte entfernt sind und damit viel zu spät kommen.
Zweitens beruht die Idee von CO2-Neutralität auf höchst fragwürdigen Ausgleichsmechanismen, bei denen Emissionen zum Beispiel durch Aufforstungsprojekte kompensiert werden sollen. Studien belegen jedoch, dass eine erdrückende Mehrheit solcher Projekte diesem Anspruch nicht gerecht wird (https://bit.ly/cdm-study). Auch für den Klimakiller Luftverkehr vermeidet es die Ampelkoalition wirksame und sofort umsetzbare Maßnahmen zu ergreifen. Ein Ende des Steuerprivilegs für Kerosin oder ein Verbot von Kurzstreckenflügen sind noch immer nicht in Sicht.

Positive Signale beim Schienenverkehr

Beim Schienenverkehr, beim ÖPNV und beim Radverkehr fällt der Blick in die Zukunft gemischt aus. Im Bahnbereich sind die angekündigten Investitionen in die Schiene und die Priorisierung der Schiene gegenüber der Straße durchaus positive Signale.
Die ursprünglich befürchtete Aufsplittung der Deutschen Bahn wird nicht umgesetzt und die Bahn verbleibt zunächst im öffentlichen Eigentum. Die DB-Infrastrukturgesellschaft soll jedoch eine eigene gemeinwohlorientierte Konzernsparte werden, während der Betrieb der Bahnleistungen weiterhin gewinnorientiert organisiert werden soll. Dass öffentliche und private Eisenbahnunternehmen auch in Zukunft miteinander im Wettbewerb stehen sollen, steht dem ebenfalls im Koalitionsvertrag festgelegten Ziel, „Mobilität als zentralen Baustein der Daseinsvorsorge zu verankern“, diametral entgegen.
Für die weiteren Verkehrsträgern des Umweltverbunds gibt es begrüßenswerte Vorschläge. Dazu gehört beim ÖPNV der Ausbau der Intermodalität (die Kombinierbarkeit verschiedener Verkehrsmittel) oder die Verbesserung der Barrierefreiheit, beim Radverkehr die Modernisierung und der Ausbau einer lückenlosen Radverkehrsinfrastruktur bis 2030. Vor dem Hintergrund mehrfach verfehlter Ziele in der Verkehrspolitik der letzten Jahre, insbesondere beim Bahnausbau, ist jedoch in allen Bereichen die schnelle Umsetzung der Maßnahmen viel entscheidender als reine Absichtserklärungen. Damit hängt viel am politischen Willen des FDP-Verkehrsministers, der sich bereits vor seinem Amtsantritt öffentlichkeitswirksam als „Anwalt der Autofahrer“ präsentierte.

Und so gut die Ausbauziele auch klingen, kommt auch hier eine weitere problematische Dimension des „grünen Wachstums“ zum Vorschein: Bei allem technologischen Optimismus verschwindet insbesondere im Mobilitätsbereich allzu oft der Blick für soziale Gerechtigkeit. Politische Zielsetzungen für sozial gerechte Verkehrskonzepte, zum Beispiel durch vergünstigte bzw. entgeltfreie Ticketkonzepte im ÖPNV, die Förderung von Mobilität ohne eigenes Auto im ländlichen Raum oder die gerechtere Verteilung von öffentlichem Raum zugunsten von Menschen statt (E-)Autos fehlen weitestgehend im Koalitionsvertrag.

Was bedeuten diese enttäuschenden Einsichten nun für die Mobilitätswende und für alle jene, die sich genau wie wir unermüdlich für klimafreundliche und sozial gerechte Mobilität einsetzen? Es wird in den nächsten Jahren unsere Aufgabe sein, der Ampel-Koalition bei ihren Versprechen auf die Finger zu schauen und ihre Politik weiterhin kritisch zu begleiten.
Doch wir sind uns im Klaren darüber, dass das nicht ausreicht. Die versprochenen Maßnahmen liegen weit jenseits von dem, was für die Einhaltung der 1,5°C-Grenze und für eine konsequente Mobilitätswende notwendig ist. Wir werden daher auch weiterhin Protest organisieren und einen grundlegenden Wandel des Wirtschafts- und Verkehrssystems einfordern. Immer mehr Menschen beginnen zu verstehen, dass das System Auto der Vergangenheit angehört, dass die Illusion des grünen Wachstums zum Scheitern verurteilt ist und dass eine andere Welt möglich ist.

Und mit Blick auf andere Bewegungen kann aus der Enttäuschung über die von der Ampel ausgebremste Mobilitätswende auch Zuversicht werden: Bewegungen können an mächtigen Gegner*innen wachsen. Die Mobilitätswende von unten ist nicht aufzuhalten.