Die Moor-Birke

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Anders als in der Taiga ist die Moor-Birke in Mitteleuropa eine eher seltene Baumart. Die Konkurrenz der hiesigen Waldbäume ist für die schnell wachsende und lichtliebende Moor-Birke zu groß. Sie ist daher eher auf schwierigerem Terrain unterwegs, vor allem in moorigen Gebieten ...
Foto ▸ Petra Kalusche

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... oder in den Bergen, wo sie bis an die Baumgrenze klettert.
Foto ▸ Hans-Roland Müller

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Natürliche Verbreitung der Moor-Birke.
Foto ▸ Giovanni Caudullo

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Die Moor-Birke, Betula pubescens, blüht ab April getrennt in männlichen und weiblichen Blütenkätzchen. Die männlichen Kätzchen hängen am Ende der Langtriebe nach unten, die weiblichen stehen aufrecht am Ende frisch austreibender Kurztriebe. Die jungen Triebe, Blattstiele und Blätter der Moor-Birke sind fein samtig behaart. Im Unterschied zur Sand-Birke, bei der die jungen Triebe unbehaart und mit kleinen klebrigen, Harz ausscheidenden Warzen besetzt sind. Die beiden Birkenarten zu unterscheiden ist nicht leicht und erfordert den Vergleich mehrerer Merkmale. So hängen die jungen Triebe der Sand-Birke in der Krone nach unten. Die jungen Triebe der Moor-Birke wirken eher steif und hängen niemals freischwingend nach unten. Wenn Moor-Birken und Sand-Birken, direkt nebeneinander stehen, lassen sie sich im unteren Stammbereich gut unterscheiden. Nur die Sand-Birke, rechts im Bild, entwickelt mit zunehmendem Alter im Stammfuß eine schwarze, korkige Schuppenborke.
Foto ▸ Schulz/Kalusche/Fenner

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In Moor-Birkenwäldern herrscht eine ausgesprochen reichhaltige Biodiversität.
Foto ▸ Petra Kalusche

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Weiß und wasserfest: Das charakteristische, bei der Moor-Birke meist mehr oder weniger abgetönte Weiß der Rinde rührt von farblosen, nadelförmigen Kristallen in den luftgefüllten Korkzellen der äußeren Rinde her. Diese sogenannten Betulin-Kristalle reflektieren das einfallende Licht und schützen so die Moor-Birke vor einer Überhitzung ihres unmittelbar unter der recht dünnen Rinde liegenden Wachstumsgewebes. Dieses Betulin, das in großen Mengen in der Rinde vorkommt, macht die Birkenrinde wasserundurchlässig. Mit astlochfreien Rindenpartien wurden daher früher in Nordeuropa und Sibirien Dächer gedeckt, Boote wasserfest gemacht und sogar Schuhe und Taschen gefertigt. Die in dünnen Schichten abziehbare äußere weiße Rinde wurde als Papierersatz verwendet.
Foto ▸ Rudolf Fenner

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Das Wurzelsystem: Moor-Birken durchwurzeln den Boden maximal bis in etwa 40 Zentimeter Tiefe. Nur selten und nur außerhalb von Feuchtgebieten bildet sie auch mal einzelne bis zu drei Meter tiefgehende Absenker. Horizontal kann der Radius ihres dichten Wurzelwerks dagegen ungewöhnlich weit reichen – bis zu einer Länge von 25 Meter. In Feuchtgebieten bleibt ihr Wurzelsystem oberhalb des mittleren Bodenwasserlevels und kann daher bei hochanstehendem Bodenwasser extrem flach ausfallen. Wird bei einer Moorrenaturierung das Bodenwasser über ihren Wurzelhorizont dauerhaft angehoben, geht es der Birke wie den allermeisten Baumarten: Sie stirbt ab. Sie stirbt aber auch ab, wenn der Bodenwasserpegel dauerhaft abgesenkt wird. Denn die Moor-Birke kann ihr einmal ausgebildetes Wurzelsystem nur schlecht an Veränderungen der Bodenwasserverhältnisse anpassen. Dieses recht unflexible Wurzelsystem ist auch der Grund, warum Birken außerhalb von Moorgebieten bei ungewöhnlich langer sommerlicher Trockenheit deutlich vor den meisten anderen Baumarten mit Gelbfärbung und vorzeitigem Abwurf ihrer Blätter reagieren.
Foto ▸ Andreas Roloff

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Wiedervernässung in Niedersachsen in der Diepholzer Moorniederung: Über 90 Prozent der ursprünglichen Moorflächen in Deutschland wurden in den letzten Jahrzehnten entwässert, vor allem um landwirtschaftlich nutzbare Flächen zu gewinnen. Moor-Birken- Moorwälder gelten daher als stark gefährdet und sind inzwischen bundesweit gesetzlich geschützt. Das Trockenlegen der Moore bedeutet nicht nur einen enormen Verlust an Biodiversität, sondern auch eine erhebliche Beschleunigung der Klimakrise.
Foto ▸ Petra Kalusche

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Es wird wohl nur wenige geben, die eine Birke nicht sofort erkennen. Zu einzigartig, zu auffällig und schön sind ihre glatten, weithin sichtbaren weißen Rindenpartien und ihre lichte, frischgrüne Laubkrone. Sie ist ein Sinnbild des Frühlings. Doch Achtung: Es gibt zwei zu Bäumen heranwachsende Birkenarten in Mitteleuropa – die Moor- und die Sand-Birke. Beide zu unterscheiden ist allerdings nicht ganz leicht.
Foto ▸ Ludwig Karner

Es wird wohl nur wenige geben, die eine Birke nicht sofort erkennen. Zu einzigartig, zu auffällig und schön sind ihre glatten, weithin sichtbaren weißen Rindenpartien und ihre lichte, frischgrüne Laubkrone. Sie ist ein Sinnbild des Frühlings. Zum Ausschmücken aller kirchlichen Festtage in dieser Jahreszeit – Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten und Fronleichnam – werden gern Birken genommen. Auch der noch heute in vielen mitteleuropäischen Ortschaften alljährlich aufgestellte Maibaum oder der beim Richtfest in den Dachstuhl gestellte Richtbaum ist häufig eine Birke.
Doch Achtung: Es gibt zwei zu Bäumen heranwachsende Birkenarten in Mitteleuropa – die Moor- und die Sand-Birke. Beide zu unterscheiden ist allerdings nicht ganz leicht. Selbst der große Pflanzensystematiker Carl von Linné ging noch Mitte des 18. Jahrhunderts davon aus, dass es lediglich eine einzige baumförmige Birkenart in Europa gibt.

Das natürliche Verbreitungsgebiet der Moor-Birke umspannt fast den halben Globus. Es reicht von Süd-Grönland über Island und Nordeuropa bis nach Ostsibirien hinein. Obwohl also eher ein Baum der Taiga, ist sie durchaus auch im milderen Klima südlich dieser nordischen Wälder zu Hause. Nur in Südeuropa – südlich der Pyrenäen und der Alpen – und in den asiatischen Steppengebieten fehlt sie. Ihre Stärke steckt tatsächlich in ihrer ungewöhnlich hohen Kältetoleranz.

In den nordischen, den sogenannten borealen Wäldern, ist sie eine der wenigen waldprägenden Baumarten bis hin zu reinen Moor-Birkenwäldern. Im Norden Skandinaviens und in Nordwest-Russlands bildet die Moor-Birke sowohl in den Bergen als auch nach Norden zur Tundra hin die Baumgrenze. Auch in den alpinen Gebieten Mitteleuropas klettert die Moor-Birke mehr als 2000 Meter bis zur Baumgrenze hoch. Das Verbreitungsgebiet der Sand-Birke überschneidet sich in weiten Teilen mit dem der Moor-Birke. Es reicht allerdings nicht ganz so weit nach Norden, dafür aber weiter nach Süden in den mediterranen Raum hinein.

Schon recht bald nach dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 12.000 Jahren waren weite Gebiete in Mittel­europa mit lichten Birkenwäldern bedeckt. Diese Birkenzeit – rund tausend Jahre hat sie immerhin gedauert – endete, als zuerst Kiefern und Haseln, später dann auch all die übrigen heute in Mitteleuropa heimischen Waldbaum­arten nach und nach zurückkehrten.

Die Birken hatten als Pioniere die rohen, eiszeitlichen Böden mit ihrer Streu überhaupt erst wieder fruchtbarer gemacht. Nun wurden sie, da sie aufgrund ihres hohen Lichtbedürfnisses recht konkurrenzschwach gegenüber all diesen Rückkehrern waren, auf die unwirtlicheren Standorte verdrängt: die Sand-Birke auf eher trockene, sandige, die Moor-Birke überwiegend auf die kalten und moorigen Standorte. Nur wenn durch Feuer, Sturm, Schädlingsbefall oder später durch die Eingriffe des Menschen Freiflächen in den Wäldern entstanden, waren die Birken meist schnell wieder da – erneut als Pioniere, die den Neustart der Wald­entwicklung auf diesen baumfreien Flächen in Gang setzten.

In der heutigen Kulturlandschaft trifft man recht häufig auf Birken: an Wald-, Feld- und Wegrändern oder angepflanzt als Straßen-, Park- oder Gartenbäume. Ganz überwiegend handelt es sich dabei aber um Sand-Birken. Genauere Zahlen gibt es zumindest für die Waldgebiete in Deutschland. Birken stehen dort immerhin auf etwas mehr als fünf Prozent der gesamten Waldfläche. Das Gros davon sind wieder die Sand-Birken, nur gut zehn Prozent sind Moor-Birken. Diese wiederum stehen überwiegend in Moor-, Bruch- und Auen­wäldern oder zumindest auf humusreicheren, sogenannten an­moorigen Waldböden. Die Moor-Birke ist somit anders als die Sand-Birke in Deutschland ein relativ seltener Waldbaum mit dem Verbreitungsschwerpunkt auf Feuchtstandorten.

Im Reich der Moor-Birke

Es gibt nur sehr wenige Plätze in der mitteleuropäischen Natur, wo die Moor-Birke auch langfristig zu Hause sein kann und nicht auf die kurzfristige Rolle der Pionierin beschränkt wird. Allerdings sind das meist recht unwirtliche, kalt-feuchte Standorte wie Felsblockhalden an den Nordhängen der Mittelgebirge und Alpen zum Beispiel. Auch ganz oben an der Baumgrenze in den Alpen ist sie zu finden, allerdings dort meist nur noch strauchförmig. Auch Schotter- und Sandbänke in Flüssen sind typische Moor-Birken-Standorte.

Größere natürliche, von Moor-Birken geprägte Waldbestände sind tatsächlich nur in Mooren zu finden. In alten, nach dem Ende der Eiszeit entstandenen Hochmooren wachsen sie dort, wo die extrem nährstoffarmen, baumfreien Torfböden des aufgewölbten Hochmoors an die etwas nährstoffreicheren Böden grenzen.

In jüngeren, noch nicht in die Höhe gewachsenen Hochmooren – den sogenannten Übergangsmooren – können sich auch ausgedehntere Moor-Birkenwälder entwickeln. Am Rand von Mooren in den Mittelgebirgen und am Alpenrand wächst die Moor-Birke auch in lichten, wechselfeuchten Wäldern meist zusammen mit Fichten oder Kiefern.
Moor-Birken-Bruchwälder wachsen inzwischen aber auch auf abgetorften und zur Renaturierung wiedervernässten Flächen. Und auch auf oberflächlich trockengelegten Moorflächen können sich von Moor-Birken dominierte Bestände entwickeln. Allerdings dringt in diese Flächen gelegentlich auch die Sand-Birke ein und übernimmt dort häufig die Vorherrschaft.

In Moor-Birkenwäldern herrscht eine ausgesprochen reichhaltige Biodiversität. Es leben dort zahlreiche Insektenarten, darunter auch einige ausschließlich oder zumindest bevorzugt auf Moor-Birken und Moor-Birkenwälder spezialisierte Käfer-, Zikaden-, Wanzen-, Wespen- und Schmetterlingsarten. Mehrere Birkenpilz- und Täublingarten gehen gern mit den Moor-Birken in Symbiose. Auch der holzzersetzende Birkenporling befällt ausschließlich Birken. Diese ungewöhnlich hohe, spezifische Bindung diverser Pilz- und Tierarten an Moor-Birken macht deutlich, dass es nicht erst seit der letzten Eiszeit, sondern schon sehr viel länger eine gemeinsame, eine sogenannte Co-Evolution dieser Tier- und Pilzarten mit Moor-Birken gegeben hat.

Doch über 90 Prozent der ursprünglichen Moorflächen in Deutschland sind bereits entwässert, vor allem um landwirtschaftlich nutzbare Flächen zu gewinnen. Moor-Birken-Moorwälder gelten daher als stark gefährdet und sind inzwischen bundesweit gesetzlich geschützt. Das Trockenlegen der Moore bedeutet aber nicht nur einen enormen Verlust an Biodiversität, sondern auch eine erhebliche Beschleunigung der Klimaveränderung. Denn sobald die seit der letzten Eiszeit in den Mooren und Sümpfen gewachsenen Torfschichten austrocknen und mit dem Luft­sauerstoff in Kontakt kommen, beginnt ihre Zersetzung.und damit die Freisetzung großer Mengen an CO2 und anderer Treibhausgase. Knapp sieben Prozent der deutschen Emissionen an Treibhausgasen stammen aus zerstörten Moorflächen. Reduzieren lässt sich das nur durch Wiederanheben der Wasserstände. Seit dem Jahr 2021 gibt es dafür nun eine Nationale Moorschutzstrategie der Bundesregierung, die in erster Linie die Reduktion der Treibhausgasemissionen aus Moorgebieten, aber auch den Erhalt und die Förderung der moorspezifischen Biodiversität zum Ziel hat. Die Moor-Birke wird zwar im Rahmen dieses langfristig angelegten Programms solche Standorte, die sie erst durch Abtorfung und Trockenlegung gewonnen hatte, bei Wiedervernässung aufgeben müssen. Durch die Renaturierung der Moorflächen entsteht auch an deren Rändern neuer Lebensraum für Moorbirken-Wälder und Moorbirken-Mischwälder. Die Moor-Birke ist und bleibt auch dank ihrer großen Fähigkeit, neue Standorte schnell zu besiedeln die Charakter-Baumart dieses Lebensraums.

Die Pionierin:
Die Moor-Birke hat – wie auch die Sand-Birke – die typischen Merkmale und Eigenschaften eines Pionierbaums, der baumfreie, rohe Böden schnell besiedeln kann und in dessen Schutz dann die späteren Waldbaumarten heranwachsen können. Sie blüht schon ungewöhnlich früh im Alter von fünf bis zehn Jahren und bildet alljährlich große Mengen kleiner, leichter und geflügelter Samen, die vom Wind weit getragen werden und die auf rohen Böden gut keimen können. Sie kommt mit den auf Freiflächen extremeren Klimaverhältnissen ohne Weiteres zurecht.
Ihre Laubkrone ist ziemlich lichtdurchlässig, so dass das Heranwachsen anderer Baumarten kaum behindert wird. Sie hat aber selbst eine äußerst geringe Schattentoleranz. Eigene Nachkommen können in ihrem Schatten schwerlich hochkommen. Sie wird nicht sehr alt, zumeist nur etwa 80, selten 100 bis 130 Jahre, und überlässt vergleichsweise früh den langlebigeren Waldbäumen das Feld.

Holz der Moor-Birke:
Das recht helle, leicht gelbliche, zu den Harthölzern zählende Moor-Birkenholz ist zwar nicht für die Verwendung im Außenbereich geeignet. Dort würde es recht schnell verrotten. Aber es lässt sich bestens für den Möbelbau, für die Furnier- und Sperrholzproduktion und als gut zu drechselndes Holz verwenden. Bislang allerdings geschieht dies überwiegend in Nordeuropa. Hier in Mitteleuropa wird es leider noch immer vor allem als Kaminholz verheizt. Es ist noch nicht lange her, dass Birken von Forstleuten als störendes Unkraut angesehen wurden, das möglichst schnell aus dem Bestand rausgeschlagen werden sollte.
Doch mittlerweile ändert sich der Blick. Es zeigt sich, dass im Wald belassene Birken zur Verbesserung des Binnenklimas und der Bodenfruchtbarkeit beitragen. Mehr noch: Birken lassen sich ohne großen forstlichen Aufwand zu geradstämmigen und hochwachsenden Bäumen entwickeln. Erste Anbauversuche zeigen, dass Moor-Birken sogar bessere Holzqualitäten als Sand-Birken bringen können. Da die gerade begonnene Forcierung der Moorrenaturierungen auch zu nasseren Standorten in unmittelbar angrenzenden Wäldern führen wird, bietet sich eine gute Chance für die Integration der Moor-Birke in eine auch ökonomisch interessante, naturnahe Bewirtschaftung feuchter Waldstandorte – beispielsweise in Mischung mit anderen, an Feuchtstandorte adaptierten Laubbaumarten wie Erlen oder Flatter-Ulmen.