Die Mehlbeere

159-bdj-mehl-fels.png

Wichtig sind der Mehlbeere vor allem sonnige Standorte und wenig Konkurrenz. Auch an Steilhängen und auf Felsblockhalden kommt sie zurecht.
Foto ▸ Wolf Polzin

159-bdj-mehl-baum.png

Wie ist die Mehlbeere zu ihrem Namen gekommen? Vielleicht wegen des mehligen Geschmacks der Früchte oder weil die jungen Triebe und Blattunterseiten bemehlt aussehen? Zur Namensgebung könnte auch das Beimischen getrockneter Mehlbeerenfrüchte zur Streckung von Mehl in Notzeiten beigetragen haben.
Foto ▸ Wolf Polzin

159-bdj-mehl-meta.png

Dies ist mit über 150 Jahren die wohl älteste Mehlbeere Deutschlands. Sie steht auf einer Anhöhe bei Holzelfingen, südlich von Reutlingen.
Foto ▸ Jürgen Blümle

159-bdj-mehl-bluet.png

Die weißen Blüten im Frühjahr stehen in wunderschönem Kontrast zu den matt-dunkelgrünen Blattoberseiten.
Foto ▸ Rainer Maus

159-bdj-mehl-allee1.png

Ihr ansprechendes Aussehen, ihre Vorliebe für offene Standorte und ihre Fähigkeit, auch längere Trockenperioden zu ertragen, haben die Echte Mehlbeere und auch die Schwedische Mehlbeere, hier im Bild, zu gern gepflanzten Stadtbäumen werden lassen.
Foto ▸ Andreas Roloff

159-bdj-mehl-allee2.png

Die wunderschöne Allee aus Schwedischen Mehlbeeren wurde schon vor über hundert Jahren angelegt. Sie steht in Nordwesten Thüringens im Eichsfeld zwischen den Orten Heuthen und Wachstedt und ist heute als Naturdenkmal geschützt.
Foto ▸ Rolf Kehr

159-bdj-mehl-wald.png

Diese eindrucksvolle etwa 150-jährige Mehlbeere steht im im Arboretum Sprunghöhe oberhalb der Heidelberger Altstadt und hat einen Stammumfang von drei Meter.
Foto ▸ Andreas Roloff

159-bdj-mehl-birne.png

Die Bollweiler Birne, auch Hagebuttenbirne genannt, ist das berühmt gewordene Beispiel für die ungewöhnliche Liaison der Mehlbeere mit einer Kultur-Birne. Sie wird heute vor allem aus dekorativen Gründen gärtnerisch weiter kultiviert.

Die Mehlbeere ist ein Baum lichter Wälder und offener Landschaften. Sie wird aber auch als zukunftsfähiger Baum in den Städten gehandelt.

Die Echte oder auch Gewöhnliche Mehlbeere Sorbus aria gehört nicht gerade zu den mächtigsten Baumarten. Zwölf, selten auch mal fünfzehn Meter Höhe schafft sie aber durchaus. Im milden englischen Klima sollen sogar über 20 Meter möglich sein. Aber immerhin: Sie kann ein Alter von 150 bis 200 Jahren erreichen. Beeindruckend ist sie allemal. Schon im Frühjahr so ab Mitte März fällt sie auf, wenn sich ihre großen, klebrigen, braun und grün changierenden Knospen öffnen und die gänzlich vom dichten silbergrauen Haarfilz bedeckten Triebe, Blätter und Blütenknospen zutage treten. Diese Behaarung verschwindet nach und nach, bleibt aber an den Blüten und vor allem an den Blattunterseiten als Verdunstungsschutz bis in den Herbst erhalten.

Wenn im Sommer ein leichter Wind die Blätter hebt und die Blattunterseiten sichtbar werden, ist die Mehlbeere auch aus größerer Entfernung an der silbern flimmernden Baumkrone gut zu erkennen. Ab Mitte Mai, bei kühlerem Wetter auch später, beginnt die Mehlbeere zu blühen. Die weißen, leicht cremefarbigen Blüten in doldenartigen, botanisch korrekterweise schirmrispigen Blütenständen stehen in wunderschönem Kontrast zu den mittlerweile matt-dunkelgrünen Blattoberseiten.Und wunderschön sind ab Mitte September auch die sich nach und nach orange bis scharlachrot färbenden Früchte in der nun gelb bis goldbraun gefärbten Laubkrone.

Ihr Name Mehlbeere lässt für den Geschmack der Früchte nichts Gutes vermuten. Und in der Tat: Die Früchte, rundlich-oval und ein bis anderthalb Zentimeter groß, schmecken mehlig und eher langweilig. Nach dem ersten Frost allerdings ist der Gehalt an Gerbstoffen verringert und es kommt eine gewisse Süße durch, sodass der Saft der Früchte zumindest als Beimischung zu Säften, Marmeladen und Gelees infrage kommt. Auch Essig oder Brannt­wein lässt sich nach Zugabe von Zucker aus den Früchten gewinnen.

Die kleinen Kerne, zwei Stück pro Frucht, sind zwar nicht giftig, aber unbekömmlich und können Brechreiz verursachen. Eine größere wirtschaftliche Bedeutung haben diese Früchte aus all diesen Gründen nie erlangt. Auch wenn es vereinzelt Berichte gibt, zum Beispiel aus Burgund und Lothringen, in denen die Mehlbeerenfrüchte als Delikatesse bezeichnet werden. Oder aus der Schweiz: Dort wurden zumindest in Notzeiten die Mehlbeeren dem Mehl beigemischt und dann zu einer Art Früchtebrot verarbeitet.

Vögel dagegen mögen diese Früchte, vor allem Drosseln, aber auch Dompfaffen und Seidenschwänze. Sie sind es, die in erster Linie zur Verbreitung dieses Baumes beitragen. Auch viele Säugetiere – von Mäusen bis Wildschweinen – können den Beeren etwas abgewinnen, müssen aber meist bis zum nächsten Jahr warten und sehen, ob die Vögel etwas übriggelassen haben. Denn die Fruchtstände sind sogenannte Wintersteher, die erst nach und nach im darauffolgenden Jahr abfallen.

Letzendlich ist der Ursprung des Namens Mehlbeere nicht eindeutig belegt. Neben dem mehligen Geschmack der Früchte sollen die bemehlt aussehenden jungen Triebe und Blattunterseiten oder auch die Beimischung getrockneter Mehlbeerenfrüchte zur Streckung von Mehl in Notzeiten zur Namensgebung beigetragen haben.

Ein Baum offener Landschaften

Die lichtliebende Mehlbeere ist nach der letzten Eiszeit über das südöstliche Europa eingewandert. Heute ist sie rund um das westliche Mittelmeer und in Teilen von West- und Mitteleuropa zu Hause. Ihre natürliche nördliche Verbreitungsgrenze verläuft über Südengland und Belgien quer durch Deutschland über die Eifel, durch Nordhessen sowie den Thüringer Wald. Im deutsch-tschechischen Vogtland erreicht sie bereits ihre Nordostgrenze. Im gesamten Norddeutschen Tiefland kommt die Mehlbeere zumindest von Natur aus nicht vor. Sie ist in Deutschland ein Baum der hügeligen und bergigen Landschaften bis in den alpinen Raum hinein, wo sie bis auf etwa 1600 Meter klettert.
Wichtig sind ihr vor allem sonnige Standorte und wenig Konkurrenz. Sie kommt zwar auch in Kiefern-, Eichen- oder Buchenwäldern vor, aber doch eher nur dort, wo diese Wälder aufgrund schwieriger Boden- und Klimaverhältnisse lichte Bereiche haben. Ansonsten ist die Mehlbeere an Wald­rändern, in Heidegebieten, auf Mager- und Trockenrasen anzutreffen. Auch an Steilhängen und auf Felsblockhalden kommt sie zurecht, entwickelt sich dort allerdings meist mehrstämmig oder nur strauchförmig. Sie liebt, auch wenn sie nicht darauf angewiesen ist, kalkreiche Böden. Was sie aber nicht liebt, sind quarzhaltige Böden. Dies ist einer der maßgeblichen Gründe, warum sie in Norddeutschland nicht vorkommt, weder in den sandigen Heidegebieten, noch auf der überwiegend aus Granit bestehenden Kuppe des Harzes.

Die Verbreitung ihrer Früchte durch Vögel und ihre Vorliebe für lichte und sonnige Standorte macht sie zu einem Pionierbaum, der in den derzeitigen unter den Folgen der Klimaerwärmung zusammenbrechenden Waldflächen Fuß gefasst hat. Allerdings wird die Mehlbeere wohl aufgrund ihres vergleichsweise langsamen Wachstums schon recht früh wieder von anderen nachwachsenden Baumarten von diesen Flächen verdrängt werden.

Es ist anzunehmen, dass die Mehlbeere früher häufiger auch innerhalb der Waldgebiete anzutreffen war, als diese noch durch Waldweide, Köhlerei und kurzumtriebige Nieder- und Mittelwaldwirtschaft stärker aufgelichtet waren. Heute wird die Pflanzung von Mehlbeeren vor allem bei der Anlage von Lawinenschutzwäldern in den alpinen Bergregionen gefördert. Auch für die seit einigen Jahren zunehmenden Wildobstpflanzungen zur Förderung des Naturschutzes wird die Mehlbeere ausdrücklich empfohlen.

Karriere in der Stadt

Ihr ansprechendes Aussehen, ihre Vorliebe für offene Standorte und ihre Fähigkeit längere Trockenperioden zu ertragen, haben die Mehlbeere zu einem gern gepflanzten Stadtbaum werden lassen – sehr zur Freude auch der zunehmenden Gemeinde der Stadtimker. Man trifft die Mehlbeere in Grün- und Parkanlagen, auf Plätzen und am häufigsten entlang von Straßen und Wegen. Allerdings sollte in diesen Alleen auf jeden Fall auf den Einsatz von Streusalz verzichtet werden, denn darauf reagiert die Mehlbeere empfindlich. Auch außerhalb der Städte wird sie vorrangig an Nebenstrecken gern als Alleebaum gepflanzt.

Es ist zu erwarten, dass die Mehlbeere auch mit der in den kommenden Jahren sicherlich höheren Sonneneinstrahlung und den zunehmenden Trockenperioden gut zurechtkommen wird. Die bundesweite Gartenamtsleiterkonferenz (GALK) hat die Mehlbeere daher in die Liste der Zukunftsbäume für die Stadt aufgenommen.

Eine weitere Mehlbeeren-Art, die Schwedische Mehlbeere, gilt als ein den zunehmenden Temperaturen und Trockenperioden trotzender Zukunftsbaum für die Stadt. Ihre eigentliche Heimat hat sie vor allem in Südschweden gefunden. In Småland prägt sie sogar Wälder. Aber sie wächst auch auf Bornholm und den Åland-Inseln sowie an den Küsten Südfinnlands, der baltischen Staaten und Polens. Ob sie auch in Deutschland auf Hiddensee und Rügen heimisch war, ist umstritten.

Auf jeden Fall ist sie in Deutschland schon seit über hundert Jahren gerne als schmucker Alleebaum in Städten und an Landstraßen sowie als Park- und Hausbaum gepflanzt worden. Allerdings verwildert sie hier zunehmend und breitet sich besonders in den offenen Mittelgebirgslandschaften aus.

Neue Arten im Wechsel von sexueller Freiheit und sexuellem Verzicht

Die Mehlbeere und einige verwandte Arten neigen dazu zu bastardieren. Sie kreuzen und vermehren sich also nicht nur innerhalb der eigenen Art, sondern gelegentlich auch mit nah verwandten Arten. Die Mehlbeere gilt dabei als außerordentlich bastardierfreudig. So gibt es zahlreiche Bastarde mit nah verwandten Arten wie der Eberesche, der Elsbeere oder der Zwerg-Mehlbeere. Aber sie bastardiert auch mit nicht so nah verwandten Arten wie der Apfelbeere (Aronia) oder der Kultur-Birne (siehe Kasten Bollweiler Birne Seite 21).

Diese Mehlbeeren-Bastarde sind im Allgemeinen steril. Wegen der zu unterschiedlichen Strukturen der elterlichen Chromosomen wird die Entwicklung zu einer befruchtungsfähigen Eizelle blockiert. Aber die Mehlbeeren-Bastarde haben dafür einen Ausweg gefunden, um doch für eigene Nachkommen zu sorgen: Eine normale Zelle des Gewebes nahe der blockierten Eizelle kann umgestimmt und zur Bildung von keimfähigen Samen angeregt werden. Eine Bestäubung der Blüte, ohne nachfolgende Befruchtung, kann diese Umstimmung befördern.

Von außen und mit bloßem Auge ist nichts Ungewöhnliches zu erkennen: Der Mehlbeeren-Bastard blüht, die Blüte wird bestäubt und in den Früchten werden keimfähige Samen gebildet. Aber: Diese Nachkommen sind, da keine Befruchtung stattgefunden hat, auf natürliche Weise geklonte Pflanzen, völlig identisch mit ihrer Mutterpflanze. Und diese und alle weiteren Nachkommen können sich dann auf die gleiche ungeschlechtliche Art immer weiter vermehren. Diese sogenannten konstanten Hybriden werden inzwischen als eigenständige Arten angesehen. Über dreißig solcher konstanten Mehlbeer-Hybriden sind mittlerweile allein in Süddeutschland und Thüringen identifiziert worden.
Viele dieser Hybriden, vermutlich solche, die erst in neuerer Zeit entstanden sind, haben innerhalb der vorhandenen Vegetation lediglich kleinräumige, schwer zu besiedelnde Standorte für sich gefunden – auf Felskuppen oder Steilhängen zum Beispiel. Nicht wenige dieser neuen Arten sind sogenannte Kleinarten, deren gesamte Population aus weniger als 200 Individuen besteht.

Die große Zeit der Mehlbeer-Hybriden war aber sicherlich das Ende der letzten Eiszeit, als die Gletscher sich zurückzogen und weite vegetationsfreie oder zumindest tundrenartige Landschaften hinterließen. Bei der Besiedlung dieser Gebiete waren Pflanzen wie die Mehlbeer-Hybriden im Vorteil, da sie zu ihrer Vermehrung nicht darauf angewiesen waren durch Insekten bestäubt zu werden, die zunächst ja noch sehr rar in diesen Gebieten waren. Und so finden sich in Nordeuropa, in den skandinavischen Ländern und auf den schottischen und norwegischen Atlantikinseln, heute noch eine ganze Reihe großer und weit verbreiteter Populationen konstanter Mehlbeer-Hybriden.

Eine dieser skandinavischen Hybriden ist die oben bereits beschriebene Schwedische Mehlbeere, die zudem eine weitere ungewöhnliche Besonderheit aufweist. Sie ist nämlich ein sogenannter Tripel-Bastard, entstanden aus den drei Arten Mehlbeere, Elsbeere und Eberesche. Als Erklärung für eine solche ungewöhnliche Dreierkombination wird angenommen, dass Mehlbeer-Bastarde sich gelegentlich doch wieder sexuell vermehren und dann erneut mit einer weiteren Art bastardieren können.

 

Die Früchte der Mehlbeere werden gewöhnlich Beeren genannt. Klein wie Beeren sind sie ja. Und auch einige nah verwandte Baumarten führen die ‚Beere‘  in ihrem Namen: Elsbeere, Vogelbeere oder Oxelbeere (anderer Name für die Schwedische Mehlbeere). Doch botanisch korrekt wäre es, die Früchte als Apfelfrüchte zu bezeichnen. Denn wie beim Apfel, der ebenfalls zur näheren Verwandtschaft der Mehlbeere gehört, ist die eigentliche Frucht lediglich das sogenannte Kerngehäuse. Das mehr oder weniger saftige Drumherum ist der Blütenboden, in den die Fruchtanlage eingebettet ist, und der sich im Verlauf der Reife verdickt und die Frucht umschließt. Der vertrocknete Rest der Blüte ist wie beim Apfel auch bei der Mehlbeere am oberen Ende der Frucht noch gut zu erkennen.

Das Holz der Mehlbeere gehört zu den härtesten europäischen Hölzern. Es ist ein helles Holz, das sich, wenn es gedämpft wird, hellbraun bis rosa tönt und damit dem für die Herstellung edler Möbel und Wandtäfelungen sehr gesuchten Birnbaumholz ähnelt. Tatsächlich wird das Mehlbeerholz, wie auch das Holz der nah verwandten Elsbeere und der Eberesche, unter dem Handelsnamen Schweizer Birnbaum vermarktet. Im Stammholz älterer Mehlbeerbäume bildet sich gelegentlich ein unregelmäßiger rotbrauner Kernbereich aus. Wegen seiner außerordentlichen Härte wurde das Holz der Mehlbeere früher zur Herstellung von Zahnrädern, Messinstrumenten, Fassdauben und Werkzeugstielen verwendet. Auch Kegelfiguren und die dazugehörigen Kugeln, Tabakpfeifen, Schalen und Löffel wurden aus ihrem Holz gefertigt.

Die Bollweiler Birne, auch Hagebuttenbirne genannt, ist das berühmt gewordene Beispiel für die ungewöhnliche Liaison der Mehlbeere mit einer Kultur-Birne. Ein aus dieser Verbindung hervorgegangener Bastard wurde erstmals im 16. Jahrhundert im Schlossgarten von Bollweil im Elsass entdeckt. Ihre kleinen etwa drei Zentimeter langen, gelben, rotbackigen Früchte fallen nicht immer birnenförmig, sondern auch hagebutten- oder apfelförmig aus. Sie werden bis heute vor allem aus dekorativen Gründen gärtnerisch weiter kultiviert – meist durch Pfropfung. Keimfähige Samen bildet die Bollweiler Birne nur ganz selten.