Deutschlandticket: Fortsetzung eines Sommermärchens?
Die Nachfolge des 9-Euro-Tickets soll zum 1. Mai kommen, doch lässt noch viele Fragen offen
Das 9-Euro-Ticket glich letztes Jahr einem Sommermärchen: Zwischen Juni und August unternahmen die Menschen bundesweit eine Milliarde Fahrten im ÖPNV mit etwa 56 Millionen verkauften 9-Euro-Tickets. Im gleichen Zeitraum sparte das Ticket etwa 600.000 Tonnen CO2-Emissionen. Mehr als 10 Prozent der Nutzer*innen verzichteten dank des Tickets auf mindestens eine Autofahrt am Tag. Viele Nahverkehrsverbünde verzeichneten wieder Fahrgastzahlen wie vor der Corona-Pandemie.
Nach dem Auslaufen des 9-Euro-Tickets riss die Auslastung jedoch vielerorts wieder dramatisch ab. Neben all den Problemen im ÖPNV, die die abrupt gestiegene Nachfrage infolge des 9-Euro-Tickets schonungslos offengelegt hat, hat es gleichzeitig zu einer zuvor nie dagewesenen medialen und öffentlichen Aufmerksamkeit für den ÖPNV und für das Recht auf klimafreundliche und bezahlbare Mobilität geführt.
Aber statt das ökologische und soziale Erfolgsprojekt 9-Euro-Ticket weiterzuführen, brachten die Verkehrsminister*innen von Bund und Ländern das „Deutschlandticket“ auf den Weg. Es soll zum 1. Mai eingeführt werden, 49 Euro pro Monat kosten, im monatlich kündbaren Jahres-Abonnement und ausschließlich digital erhältlich sein. Außerdem soll das Deutschlandticket bundesweit, über sämtliche Tarifgrenzen hinweg, gültig sein und damit die vielerorts komplizierten Tarifbestimmungen deutlich vereinfachen. An diesem Anspruch werden jedoch kurz vor der Einführung erste Risse sichtbar, denn die Mitnahme von Fahrrädern wird nach wie vor je nach Verkehrsverbund unterschiedlich geregelt. Und: nicht nur Sozialverbände, auch Mobilitäts- und Umweltorganisationen kritisieren das Deutschlandticket als viel zu teuer – insbesondere für die Haushalte, die aktuell besonders stark unter den gestiegenen Kosten für Energie, aber auch den zuletzt vielerorts angehobenen Nahverkehrspreisen leiden.
Einerseits ist klar, dass uns der ÖPNV als zentraler Baustein der öffentlichen Daseinsvorsorge mehr wert sein muss als bisher. Es braucht mehr Personal, bessere und modernere Infrastruktur, mehr Investitionen in Barrierefreiheit. Denn wenn wir unsere Klimaziele insbesondere im Verkehrssektor erreichen wollen, müssen mittel- und langfristig noch viel mehr Menschen auf den ÖPNV umsteigen. Gleichzeitig führte die hohe Nachfrage dank des 9-Euro-Tickets klar vor Augen, wie schnell das bisherige System an seine Belastungsgrenzen kommt.
Damit Fahrgäste also auch in Zukunft ihre Fahrräder im Regionalzug mitnehmen, Menschen mit Rollstuhl einen Platz finden und ÖPNV-Beschäftigte unter besseren Bedingungen arbeiten können, braucht es dringend mehr Investitionen. An dieser Frage stellt sich in der öffentlichen Debatte jedoch bisher oft ein falsches „Entweder-Oder“. „Entweder“ der ÖPNV werde günstiger „oder“ er könne endlich ausgebaut werden. Laut dieser Logik sind die Einnahmen aus Ticketverkäufen zentral für den Ausbau, denn irgendwo müsse das Geld dafür ja herkommen.
Für ein solidarisches Klima müssen wir jedoch diese „Entweder-Oder“-Logik verlassen. Denn als öffentliches Gut muss der ÖPNV und dessen Ausbau viel mehr als bisher vom Bund subventioniert werden. Während Finanzminister Lindner einen wirkungslosen Tankrabatt einführte, unterstellte er den Befürworter*innen des 9-Euro-Tickets eine „Gratismentalität“.
Dabei sind es vor allem der Auto- und Flugverkehr, die seit Jahrzehnten kräftig aus der Staatskasse subventioniert werden. Ob durch den kostspieligen Bau neuer Straßeninfrastruktur, Steuerprivilegien für Diesel, Kerosin sowie die private Nutzung von Dienstwagen, oder die Mehrwertsteuerbefreiung für internationale Flüge – wenn die Regierung endlich all diese klimaschädlichen und sozial ungerechten Subventionen streichen und in den ÖPNV umleiten würde, könnten wir den Ausbau ohne Weiteres finanzieren und gleichzeitig ein sozial gerechteres Ticketsystem einführen. Auch Modelle wie in Wien oder in Frankreich wären denkbar, die Arbeitgeber*innen gesetzlich verpflichten, sich an der Finanzierung öffentlicher Mobilität zu beteiligen.
Für ein tatsächlich solidarisches und klimagerechtes Deutschlandticket wäre eine soziale Staffelung essentiell: Haushalte mit geringen Einkommen sollten weiterhin nur neun Euro für das Deutschlandticket zahlen müssen – für Haushalte mit mittleren bis hohen Einkommen wird von vielen Verbänden ein Preis von 29 Euro pro Monat vorgeschlagen. Dass ein 29-Euro-Ticket ein guter Kompromiss wäre, zeigt auch die Erfahrung aus Berlin, wo es als Brückenlösung bis zum Beginn des Deutschlandtickets eingeführt wurde. Dort konnte die BVG zuletzt dank des 29-Euro-Tickets die Marke von einer Million Abo-Kund*innen überspringen. Ob das Deutschlandticket für 49 Euro ebenso viele Käufer*innen finden wird, bleibt abzuwarten – doch Umfragen lassen bereits befürchten, dass dem nicht so sein wird.