"Ausgeschlafene reisen nachts"

Mitte Juni 2023 meldete die tageszeitung unter der Rubrik ‚Die gute Nachricht‘, dass immer mehr Menschen die Bahn fürs Reisen ins Ausland nutzten. Vor allem die Verbindungen in die Metropolen der Nachbarländer sind beliebt und die großen Städte gut zu erreichen. Mehr als 21 Millionen nutzten die grenzüberschreitenden Verbindungen der Bahn 2022 – so viele wie noch nie.

In den ersten drei Monaten 2023 wurden 40 Prozent mehr internationale Bahnreisen gebucht als im gleichen Zeitraum 2019. Schwierig wird es bei diesen Reisen immer dann, wenn über mehrere Landesgrenzen und weiter in die Provinz gereist werden soll. Die Allianz pro Schiene bemängelt, dass es für Verbindungen über die Metropolen hinaus Tickets für weitere Teilstrecken auf verschiedenen Plattformen gekauft werden müssten. Das Bündnis fordert ein Portal zu schaffen, über das ein Ticket für die gesamte Reisestrecke gebucht werden könne. Und die Anschlüsse müssten endlich aufeinander abgestimmt werden. Wer zum Beispiel mit der Bahn von Deutschland bis nach Portugal oder auch nach Osteuropa reisen möchte, müsse sich auf mehrere Reisetage und lange Wartezeiten auf einigen Bahnhöfen einstellen. Außerdem müsste auch die Elektrifizierung weitergehen. Nur 27 von 56 Grenzübergängen in Europa sind elektrifiziert. Das bedeutet nach wie vor unnötige Einschränkungen im Zugverkehr.

„Ausgeschlafene reisen nachts“ –  mit diesem Slogan warb die Deutsche Bahn AG bis 2016 für europaweite Nachtzüge. Zum Fahrplanwechsel 2016/17 schaffte die Deutsche Bahn ihre Nachtzugverbindungen allerdings ab. Dagegen hat ROBIN WOOD gemeinsam mit einem großen Bündnis von Umweltverbänden, Eisenbahngewerkschaft und Fahrgastverbänden protestiert. Das Bündnis legte mit dem LunaLiner sogar ein Konzept für ein durchgeplantes, machbares europaweites Nachtzug-Netz vor. Es half alles nichts, die Bahn stellte den Nachtzugverkehr ein.

Die Österreichische Bundesbahn (ÖBB) übernahm die Verbindungen mit Erfolg und stieg damit zum größten Nachtzuganbieter in Europa auf. Seit Sommer 2022 ist nun auch die Deutsche Bahn wieder dabei und bietet gemeinsam mit der ÖBB ein Nachtzugnetz mit neuen Liegewagen an. Der Plan: Bis 2026 soll die Zahl der Passagiere im Nachtzug auf drei Millionen verdoppelt werden. Aus der Marketing-Abteilung der Bahn heißt es dazu ganz richtig, dass es nicht nur wichtig sei, neue Reiseziele in das europaweite Nachtzugnetz aufzunehmen, sondern auch moderne und bequeme Nachtzüge anzubieten. Dass der Nachtzug nicht nur ein starkes Symbol für klimafreundliches Reisen, sondern auch für ein vernetztes, grenzenloses Europa sei, ist jetzt auch der Deutschen Bahn wieder aufgefallen. Ihr Plan ist es, in Zukunft mit anderen Partnerbahnen 13 europäische Metropolen auf der Schiene über Nacht zu verbinden.

Unter der Überschrift: „Bruchlandung für den Klimaschutz“ stellte Greenpeace am 20. Juli 2023 eine Studie vor, in der sie die Preise von Bahn- und Flugtickets verglich. Es zeigte sich, dass dieser Preisvergleich sich lohnen kann: Auf etwa einem Viertel der 112 von Greenpeace recherchierten europäischen Strecken sind Zugtickets günstiger als klimaschädliches Fliegen. Ein Städtetrip von Berlin nach Prag ist beispielsweise schneller und billiger mit der Bahn und verursacht 30-mal weniger Treibhausgase. Für viele europäische Reiseziele gibt es ab Deutschland – auch wegen der zentralen Lage – attraktive Bahnangebote. Doch leider sind diese eine Ausnahme. Viele Menschen, die eigentlich bewusst mit der klimafreundlichen Bahn reisen wollen, müssen dafür tiefer in die Tasche greifen. Auch mitten in der Klimakrise sind die meisten Bahnreisen in Europa noch immer teurer als Flugtickets. Vor allem wenn eine Billig-Airline die gewünschte Strecke bedient.
Die Studie zeigt, das Bahnfahrer*innen durchschnittlich rund 50 Prozent mehr zahlen müssen als Flugreisende. Wer kurzfristig verreisen will, für den ist Bahnfahren besonders teuer. Die fehlende Kerosinsteuer und weitere klimaschädliche Subventionen für die Flugindustrie verzerren die Preise, so Marissa Reiserer, Verkehrsexpertin von Greenpeace.

Auch andere Unbill erwartet Zugreisende auf dem Weg quer durch Europa, wie Sie auf den nächsten Seiten in einem gut gelaunten Erfahrungsbericht von Werner Behrendt von der ROBIN WOOD-Gruppe Bremen lesen können, der regelmäßig mit dem Zug nach Schweden fährt. Für Bahnreisende aus Deutschland ist eine Reise mit dem Nachtzug nach Schweden seit diesem Jahr allerdings denkbar einfach geworden: Bis September mit der schwedischen Staatsbahn Sveriges Värnväg oder mit dem Snälltåget ab Berlin erreicht man Stockholm ohne Umsteigen über Hamburg, Kopenhagen, Malmö, Lund und andere attraktive Städte in rund 18 Stunden. Rechtzeitig gebucht auf der Webseite des schwedischen Betreibers des „schönen/netten Zuges“ (so die Übersetzung von Snälltåget), ist das als Ausgleich für die lange Fahrtzeit immerhin sensationell günstig.

 

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Mit dem Zug nach Uppsala: Die skandinavischen Bahnhöfe sind architektonisch interessant und technisch meist auf dem neuesten Stand
Foto ▸ Pia Genz

Im Zug nach Schweden

Seit fast sieben Jahren wohnt meine  Tochter in Schweden. Im ersten Winter beschloss ich sie mit der Bahn in Uppsala zu besuchen. Es zeigte sich, dass internationale Bahnreisen immer noch Ausdauer und Idealismus erfordern.

Bei meinem ersten Besuch im Reisezentrum 2016 in Bremen hatte ich etwa nach einer Viertelstunde zwei Europa-Sparpreis-Tickets inklusive der obligatorischen Reservierungen in Dänemark und Schweden in der Hand und war erstaunt, dass das Ganze nur gut 120 Euro kostete. Mit Umstiegen in Bremen, Hamburg, Kopenhagen, Stockholm schien die etwa 1300 Kilometer lange Fahrt erstaunlich unkompliziert. Einziger Wermutstropfen war, dass ich in Kopenhagen jeweils knapp zwei Stunden Aufenthalt hatte. Ich nutzte die Zeit zum Mittagessen und um die nähere Umgebung des Bahnhofes zu erkunden. Solche Aufenthalte lernte ich bei weiteren Fahrten zu schätzen.

Damals fuhr noch der ICE – nur drei Waggons und mit Dieselantrieb –  in Travemünde auf die Fähre. Während der Dreiviertelstunde bis nach Trelleborg konnte ich meine Nase in die frische Seeluft halten und zollfrei einkaufen. Für die Abfahrt des Expresszuges in Kopenhagen nach Stockholm hatte ich keine Gleisangabe und kam bei dieser ersten Fahrt etwa eine Viertelstunde vor der Abfahrtszeit wieder in die Bahnhofshalle, wo auf großen Anzeigetafeln die nächsten ca. 20 Züge angezeigt wurden – Papierfahrpläne findet man in Skandinavien nicht mehr – meiner auf Gleis 26. Dorthin fand ich erst mal keinen Ausgang, bis ich einen Hinweis mit dem Zusatz „15 Minuten“ sah! Etwas alarmiert beeilte ich mich, kam aber schon nach etwa fünf Minuten am etwas abseits gelegenen Gleis an, wo schon der SJ-Express wartete.

Ich richtete mich auf die mit gut fünf Stunden längste Etappe im Zug ein, las entspannt am Computer, bis der Zug nach etwa der halben Fahrtzeit mitten in der Prärie eine Vollbremsung machte. Wie sich bei meinen Bahnreisen nach Schweden zeigte, hat Chaos und Desorganisation die Deutsche Bahn nicht alleine für sich gepachtet. Bei diesem außerordentlichen Stopp lief das Zugpersonal zunehmend hektischer hin und her und nach etwa einer Viertelstunde ging das Licht bis auf die Notbeleuchtung aus. Wann eine klärende Durchsage auf Englisch kam, weiß ich nicht mehr. Wir saßen aber mindestens eine Stunde fest, bis der Zug wieder losfahren konnte und das Licht wieder anging. Ich kam dann kurz vor Mitternacht an und suchte auf den Anzeigetafeln vergeblich nach dem allerletzten Zug nach Uppsala, der kurz nach Mitternacht abfahren sollte. Ein anderer Reisender meinte, wir müssten ein Stück zu einer anderen Haltestelle laufen. Ich war schon auf dem Weg, als endlich eine Handyverbindung mit meiner Tochter klappte und ich erfuhr, dass ich ganz nach unten in den Keller fahren und nach dem „Pandeltåget“ suchen müsse, der von einer anderen Gesellschaft betrieben wurde und daher nicht angezeigt wird. Dort angekommen stand ich dann vor Drehkreuzen mit Scannern, aber glücklicherweise gab es noch einen Schalter, an dem ich mit meiner Papierfahrkarte durchgelassen wurde.

Eine Treppe weiter unten stand ich dann in einer voll verglasten Halle, wo ich erst nach einigen bangen Sekunden die Gleise hinter dem Glas entdeckte: Der Zug fuhr einige Minuten später passgenau mit den Türen an die Glas-Schiebetüren, durch die man dann direkt ohne Kontakt mit der kalten Winterluft einsteigen konnte.

Generell finde ich die skandinavischen Bahnhöfe und Bahnen recht gut ausgestattet: In den Fernverkehrszügen gibt es immer Steckdosen für jeden Platz und die elektronischen Anzeigen, die größtenteils auch eher aus den 90er-Jahren zu stammen scheinen, funktionieren fast immer.  

Die Buchung der Fahrkarten ist in den vergangenen sieben Jahren eher komplizierter als einfacher geworden. Die Kapazität der Bahn in Schweden ist sehr begrenzt und in den Expresszügen herrscht Reservierungspflicht. Anfangs gab es die Europa-Fahrkarten noch gar nicht im Internet, aber 2020 hatte ich tatsächlich das Glück, eine Fahrt vollständig und zum günstigsten Pauschalpreis online buchen zu können. Das war allerdings das erste und einzige Mal, dass mir das gelang. Meistens kann die DB den Sparpreis nur bis Stockholm buchen, für die letzte Etappe nur separat.

Verbindungen werden online gut angezeigt. Online kaufen geht gar nicht mehr, was angeblich an den Schwedischen Bahnen läge, die ihre Fahrkarten lieber selbst verkaufen möchten. Aktuell bekommt man bei der DB die Anzeige „Preisauskunft nicht möglich“. Der zugehörige Link klärt einen auf: „Es tut uns leid, wir können die von Ihnen gewählte Verbindung online nicht verkaufen. Für Buchungsanfragen zu Ihrer Verbindung wenden Sie sich bitte an die Servicenummer der DB unter Tel. 030 2970.“ Das ist eine typische Hotline, für die man viel Zeit oder Glück braucht.
Der schwedische Teil meiner Strecke wurde bei der DB knapp drei Monate vor meiner Abfahrt bereits als „ausverkauft“ angezeigt. Ein Blick auf die Webseite der schwedischen Staatsbahn „SJ“ ergab, dass die Fahrkarten noch gar nicht verfügbar waren, nur maximal etwa zwei Monate im Voraus. Als ich dann zu gegebener Zeit wieder ins Reisezentrum ging, wollte mir der Servicemitarbeiter ernsthaft erklären, dass er den Europa-Sparpreis nicht nach Dänemark oder Schweden buchen könne. Erst nach hartnäckigem Nachfragen fand er heraus, dass es bis Kopenhagen ginge und dann auch bis Stockholm – so bringt man die Leute jedenfalls nicht dazu, vom Flugzeug auf die Bahn umzusteigen!
Wichtig ist bei der Deutschen Bahn, dass man eine „geschlossene Reisekette“ bucht, denn sonst gibt es keine Rückerstattung im Falle verpasster Anschlüsse. Konkret heißt das, dass man die Fahrgastrechte nur für die Strecke bekommt, die auf einer Fahrkarte steht, die in Deutschland beginnt: Eine Fahrkarte bekam ich nicht erstattet, weil ich damals eine separate Fahrkarte von Kopenhagen nach Stockholm gekauft hatte. Die Buchung innerhalb des Europa-Sparpreises war nicht möglich gewesen. Mein Argument, dass ich doch einen durchgehenden Fahrplan und alles zusammen gebucht hätte, wurde per Brief vom Tisch gewischt und ein nach viel Geduld erfolgreicher Telefonkontakt vom Bahnmitarbeiter barsch abgebrochen.

Aktuell sitze ich wieder aus dem selben Grund mit zwei getrennten Fahrkarten im Zug und habe auf halber Strecke eine Verspätung von 11 Minuten bei 34 Minuten Umsteigezeit in Kopenhagen.
Das nächste Mal werde ich die separate Fahrkarte vermutlich selbst buchen, denn direkt bei der SJ sind die Tickets deutlich billiger. Für die Hinfahrt habe ich für den Europa-Sparpreis jetzt fast einhundert Euro bezahlt, ein ziemlicher Sprung gegenüber den etwa 64 Euro die Jahre vorher. Angesichts der Strecke finde ich das aber akzeptabel, sofern die Fahrgastrechte gelten und man überhaupt ein Ticket zur gewünschten Zeit und möglichst über die ganze Strecke bekommt.

Mittlerweile gibt es aber auch Nachtzüge: Im März 2022 konnte die Deutsche Bahn noch gar nichts anbieten. Weil ich auch keine Tagesverbindung bekam, musste ich mir damals Tickets von meiner Tochter bei einer schwedischen Bahngesellschaft buchen lassen, die zusammen 2340 Kronen, rund 200 Euro, kosteten und die Strecke von Hamburg bis Stockholm umfassten. Dazu kamen nur noch die Tickets nach und von Uppsala, da ich damals mit der Monatskarte nach Hamburg fahren konnte. Sehr bequem waren die Nachtzüge nicht, dafür entfällt das Risiko beim Umsteigen seine Anschlüsse zu verpassen. Mit etwas Reserve bin ich so von Bremen nach Uppsala auf eine Reisezeit von 20 Stunden gekommen, mit einem Tagesticket wären es fünf Stunden weniger gewesen. Seit dem Spätsommer 2022 verkauft auch die Deutsche Bahn wieder Nachtzug­tickets.

Fazit: Es ist durchaus möglich zu Zielen wie Uppsala mit der Bahn zu fahren, setzt aber viel Idealismus und Durchhaltevermögen voraus und ist noch weit davon entfernt entspannend und komfortabel zu sein!

Werner Behrendt, ROBIN WOOD-Gruppe Bremen