Alle Dörfer Bleiben!

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2017 wurde der Ort Borschemich für den Tagebau Garzweiler 2 abgerissen: Seit 2006 dokumentiert der Fotograf Arne Müseler die Zerstörung der Ortschaften für den Braunkohletagebau. Seine Bilder sind jetzt in einer Ausstellung zu sehen.
Foto ▸ Arne Müseler

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Für die Braunkohle werden im Rhei­nischen Braunkohlerevier immer noch ganze Orte von der Landkarte ausradiert.
Foto ▸ Arne Müseler

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Im Bündnis ‚Alle Dörfer Bleiben!‘ setzen sich Bewohner*innen und Menschen aus der Klima­bewegung gemeinsam für den Erhalt der vom Braunkohlebergbau bedrohten Dörfer ein.
Foto ▸ Arne Müseler

Wer im letzten Herbst, vielleicht zum ersten mal, im Rheinischen Braunkohlerevier war, um gegen die Rodung des Hambacher Forsts zu demonstrieren, hat sie gesehen: die Dörfer, die der Braunkohle weichen sollen. Teilweise in unmittelbarer Sicht- und Hörweite der Tagebaue, teilweise bis auf einige wenige Haushalte verlassen oder schon zu großen Teilen abgerissen, versinnbildlichen diese Dörfer auf eindrucksvolle Weise, die zerstörerischen Konsequenzen des Kohleabbaus. Um den Klima­wandel zu bekämpfen und nachkommende Generationen weltweit zu schützen, hätten wir schon längst aus der Kohle aussteigen müssen! Doch werden trotzdem weiter alte Wälder und Dörfer für diese gestrige Energieform zerstört. Das zeigt wie unverfroren hier privater Profit vor das Gemeinwohl gestellt wird.

In allen drei deutschen Braunkohlerevieren sind immer noch Dörfer ganz akut von der Abbaggerung bedroht. Auch der Vorschlag der Kohlekommission hat hier keinen Schlusspunkt gesetzt. Das vorgeschlagene Szenario macht es zwar möglich, dass die Dörfer erhalten bleiben – allerdings ist dies in keinem Fall gesichert. So hat Tagebaubetreiber RWE sich  nach Ende der Kohlekommission für die Planungssicherheit bedankt, die Dörfer im rheinischen Revier nun wie geplant umsiedeln und abreißen zu können. Für die Anwohner*innen bedeutet die drohende Zerstörung ihres Zuhauses eine enorme Belastung. Aufgrund des noch aus der Nazi-Zeit stammenden Bergrechtes können Menschen für den Braunkohletagebau enteignet und gegen ihren Willen zwangsumgesiedelt werden. Das Umsiedeln zerstört Nachbarschaften, Dorfstrukturen und Jahrhunderte alte Baudenkmäler. Die Entschädigungen für die Betroffenen reichen dabei häufig nicht aus, um den Lebensstandard zu halten.

Im neuen Bündnis ‚Alle Dörfer Bleiben!‘ setzen sich Bewohner*innen und Menschen aus der Klimabewegung gemeinsam für den Erhalt der Dörfer ein. Erste große Aktion war der Sternmarsch Ende März im Rheinland beim Tagebau Garzweihler. Weitere Aktionen werden folgen – denn jetzt heißt es Druck machen, damit die Bagger stillstehen und alle Dörfer bleiben. Ronja Heise, ROBIN WOOD, sprach mit David Dresen vom Bündnis ‚Alle Dörfer Bleiben‘.

? ROBIN WOOD: Du lebst in Kuckum, einem Dorf beim Tagebau Garzweiler, das laut Rahmenbetriebsplan dem Braunkohleabbau weichen soll. Was bedeutet diese Zukunftsperspektive für das Leben in einem Dorf?

! Dresen: Schon meine Eltern sind mit dem Gedanken groß geworden, dass unser Dorf und auch die Nachbardörfer irgendwann dem Braunkohletagebau weichen müssen. Und so ging es auch mir seit Kindheitstagen. Die Menschen aus den bedrohten Dörfern haben jahrelang versucht die Zerstörung ihrer Heimat auf demokratischem Wege zu verhindern, doch der Macht der Kohlelobby waren sie nicht gewachsen. Irgendwann haben die Menschen dann begonnen sich ihrem Schicksal zu fügen. Für fast alle ist dies jedoch ein sehr belastender Prozess, denn schließlich geht es um den unwiederbringlichen Verlust ihrer Heimat. Nun versuchen sie aus ihrer Sicht das Beste aus der Situation zu machen. Je nach Mentalität heißt das dann, früh mit RWE zu verhandeln, um vor weiteren Schikanen zu flüchten, oder so lange wie möglich am Ort verharren und hoffen, die Zwangsumsiedlung noch abwenden zu können.
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes in Münster zum Hambacher Wald vom Oktober 2018 hat in der jüngsten Zeit noch einmal Hoffnung für die Betroffenen gebracht, denn die Begründung für den Rodungsstopp war die Tatsache, dass RWE nicht beweisen kann, dass die Rodung des Hambacher Waldes für die Energieversorgung notwendig ist. Darauf stützen sich nun die Hoffnungen der Betroffenen, die in ihrer Heimat bleiben wollen.

Das massive Faktenschaffen durch RWE ist aktuell unsere größte Sorge. Der Konzern gräbt sich im Höchsttempo auf Keyenberg zu. In Wohngebieten werden plötzlich riesige Grundwasserpumpen gebaut. Schneisen werden durch den Keyenberger Wald geschlagen, um eine Umgehungsstraße zu bauen, die frühestens 2027 benötigt würde. Ziel dieser Aktionen scheint es, das Leben in den Orten so unerträglich wie möglich zu gestalten, damit die Betroffenen zeitnah einem „freiwilligen“ Verkaufsvertrag mit RWE zustimmen.

? Der Betreiber des Tagebaus Garzweiler RWE betont immer wieder, wie sehr sie auf ‚sozialverträgliche Umsiedlung‘ Wert legen. Was sagst du dazu? Wie hast du den Umsiedlungsprozess erlebt?

! Sozialverträgliche Zwangsumsiedlungen hat es nie gegeben und kann es auch nicht geben. Menschen gegen ihren eigenen Willen aus ihrer Heimat zu vertreiben, alte Erinnerungsorte zu vernichten und die eigene Vergangenheit auszulöschen ist absolut unmenschlich. Kulturgüter, die unter Denkmalschutz stehen, werden zerstört, Jahrhunderte alte Kirchen und Friedhöfe devastiert. Gerade für ältere Menschen ist es einfach unerträglich. Das als sozialverträglich zu deklarieren, grenzt an Zynismus.

Wir verhandeln bereits seit einigen Jahren mit RWE. Wir haben ein 14.000 Quadratmeter großes Grundstück mit Pferdekoppeln, Scheune und Hühnerstall. Das für uns bestimmte Grundstück am neuen Ort ist jedoch 85 Prozent kleiner. Man legt uns nahe, unsere jetzige Lebensweise aufzugeben und auf die Tierhaltung zu verzichten, denn sie sei ja nur ein Hobby. Jede*r müsse Abstriche machen. RWE betitelt uns als Sonderfall, doch das stimmt nicht. So wie uns geht es hier Vielen, denn Landwirtschaft und Tierhaltung sind seit jeher das strukturprägende Element des Dorflebens. Es geht nicht um ein paar Wiesen, die wir aufgeben sollen, sondern darum, dass wir gezwungen werden unsere naturverbundene Lebensweise aufzugeben.

Auf die Hilfe von Bundes-, Landes- und Kommunalregierung warten wir leider vergeblich. Die Verstrickungen zwischen der Braunkohlelobby und der Politik sind so stark, dass die Hilferufe der Betroffenen einfach ignoriert und negiert werden. In einer Demokratie ist das ein absolutes Armutszeugnis – Mitbestimmung für das eigene Leben gibt es hier nicht.

?  Gemeinsam mit anderen An­wohner*innen setzt du dich für den Erhalt von Kuckum und der anderen bedrohten Dörfer ein. Was unternehmt ihr? Wie sieht die Auseinandersetzung mit einem so mächtigen Akteur wie der RWE aus?

!  Anfang 2018 haben wir das deutschlandweite Bündnis ‚Alle Dörfer Bleiben!‘ gegründet, das sich für den Erhalt aller vom Braunkohlebergbau bedrohten Dörfer einsetzt. Über Mahnwachen, Dorfspaziergänge und Demonstrationen vor Ort versuchen wir, überregional die Öffentlichkeit auf unsere Probleme aufmerksam zu machen. Am 23. März 2019 gab es einen großen Sternmarsch, für den wir deutschlandweit mobilisiert haben. Darüber hinaus informieren wir die Öffentlichkeit über Fernsehbeiträge, Printmedien und alle gängigen Social-Media-Portale.

Neben dieser breiten Öffentlichkeitsarbeit zielt unsere Arbeit auch auf die direkte politische Einflussnahme ab. Den meisten politischen Akteur*innen dürfte die Notwendigkeit, aus der Braunkohle auszusteigen, mittlerweile klar sein. Hier setzen wir uns auf allen politischen Ebenen ein, um unseren Interessen bei den jetzt anstehenden Entscheidungen Gewicht zu verleihen. Um RWE die Stirn zu bieten und den Kampf gegen die Zerstörung zu gewinnen, ist die Mobilisierung der Öffentlichkeit und die Sensibilisierung der Entscheidungsträger*innen für den Erhalt der Dörfer unverzichtbar.

?  Seit 10 Jahren lädt das Klimacamp im Rheinland Klimaaktivist*innen im Sommer in das Rheinische Braunkohle Revier. Wie ist die Zusammenarbeit zwischen den Bewohner*innen und der Klimabewegung?

!  Es gibt eine sehr gute und konstruktive Kooperation zwischen der Klimabewegung und den Bewohner*innen vor Ort. Viele Bewohner*innen sind sehr dankbar, dass sie von den Klimaaktivist*innen unterstützt werden, denn für die meisten Menschen hier vor Ort ist die politische Arbeit absolutes Neuland. Die Klimaaktivist*innen sorgen für eine Infrastruktur, die die Menschen vor Ort für ihre eigenen Aktionen nutzen. Die Zusammenarbeit wird von beiden Seiten als absolut positiv erlebt.

?  Im Januar hat die Kohlekommission ihren Abschlussbericht veröffentlicht. Wie bewertest du ihren Vorschlag? Was bedeutet er für die bedrohten Dörfer?

!  Noch kurz vor Ende der Verhandlungen stand in dem Bericht, dass die Kohlekommission den Erhalt der Dörfer im Rheinland empfehlen würde. Dieser Satz wurde im letzten Moment gestrichen und stattdessen vorgeschlagen, dass der Ministerpräsident mit den Betroffenen in einen Dialog treten solle. Das hat mich zunächst geschockt. Aber dann wurde schnell klar, dass die Reduktion um 3,1 Gigawatt Braunkohle bedeutet, dass alle Dörfer stehenbleiben können.
Nun fordern wir von der Landesregierung die schnelle Zusage, dass sofort alle Zwangsumsiedlungen gestoppt werden und dass RWE sofort weitere Zerstörungen in den Dörfern einstellen muss.

?  Was können Menschen tun, um den Kampf für den Erhalt von Kuckum, Keyenberg, Pödelwitz und Co. zu unterstützen?

!  Sie können die Menschen vor Ort am besten dadurch unterstützen, indem sie an unseren Demonstrationen teilnehmen. Informationen über diese und weitere Aktionen finden sich auf unserer Website https://www.alle-doerfer-bleiben.de und auf Twitter unter dem #AlleDörferBleiben.
Wichtig ist aber auch, dass der politische Druck für mehr Klimagerechtigkeit weiter steigt und die Menschen allerorts auf die Straße gehen. Daher begrüßen wir auch ausdrücklich die Schüler*innen-Bewegung „Fridays for Future“. Außerdem sollten die Menschen jetzt umgehend ihre Abgeordneten auffordern, sich für einen raschen Kohleausstieg und für den Erhalt der Dörfer einzusetzen.