Aktiv für den Urwald in Rumänien

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Spektakuläre Banneraktionen, wie hier im Juli 2019 im Domogled-Nationalpark, richten die internationale Aufmerksamkeit auf die gefährdeten rumänischen Urwälder:
Foto ▸ ROBIN WOOD/Minierva Vincza

Am 24. September 2019 veröffentlichte die Stiftung Euronatur einen 84 Seiten langen Bericht zum Zustand der Urwälder in Rumänien: PRIMOFARO (PRIMary and Old growth Forest Areas of Romania). Die Ergebnisse zeigen, dass mehr als 525.000 Hektar  Urwälder in Rumänien vorhanden sind. Diese Zahl ist weitaus höher als bisher angenommen, und doch sind die Erkenntnisse des Berichts alarmierend. Denn gleichzeitig zeigen die Untersuchungen, dass 50 Prozent der unberührten Urwälder, die in der letzten Urwald-Inventur „Pin Matra“ vor 14 Jahren erfasst wurden, nun gerodet oder degradiert worden sind. Und dies, obwohl zwei Drittel der Wälder unter Schutz stehen, teilweise sogar mehrfach als UNESCO-Waldnaturerbe, Natura-2000-Gebiet und Nationalpark. Die alten Wälder sind nicht nur Hotspots der Biodiversität, sondern auch wichtige Kohlenstoffspeicher in der Klimakrise. Bei einer Veranstaltung im Europäischen Parlament stellten die Natur­schutzorganisationen Euro­natur und Agent Green die wichtigsten Ergebnisse des Berichts vor. Die Vertreter*innen der NGO forderten die intakten und kohlenstoffreichen Waldlebensräume wirksam zu schützen und die Schutzregeln einzuhalten.

Welche anderen Möglichkeiten gibt es, die alten Wälder zu schützen, wenn der offizielle Schutzstatus bisher kaum ernst genommen wird? Was unternehmen Umweltschützer*innen vor Ort gegen die Zerstörung von Waldökosystemen? Welche Herausforderungen stehen dem „Waldschutz von unten“ entgegen? Und welche Wälder in Rumänien sind besonders umkämpft? In einem Interview erzählen drei Natur- und Umweltschützer*innen von ihren Maßnahmen zu selbstorganisiertem Waldnaturschutz.

Rebecca Abena Kennedy-Asante von ROBIN WOOD sprach mit Raluka und Alina von der Naturschutz­organisation Agent Green und mit Umweltaktivist Mihael.

? Welche Herausforderungen bringt „Waldschutz von unten“ in Rumänien mit sich?
 
! R: Wenn ich mit Leuten über unsere Arbeit als Natur- und Umweltschutzorganisation spreche, dann bekomme ich zunächst oft Zustimmung. Die Menschen mögen den Wald und wollen ihn schützen. Wenn es aber darum geht, selbst aktiv zu werden, politischen Druck aufzubauen oder das eigene Konsumverhalten zu verändern, fehlt ihnen das Wissen oder die Zeit.  
M: Die rumänische Wirtschaft ist nicht sehr stabil, und die Menschen leben teilweise von Monat zu Monat. Umwelt­aktivismus bedeutet für mich, neben der Arbeit Zeit zu haben, um sich über Umweltthemen zu bilden, an Aktionen teilzunehmen, die unter Umständen  Geldstrafen oder Verhaftungen zur Folge haben. Wenn du gar kein Geld hast, willst du diese Risiken nicht eingehen.
R: Die wirtschaftliche Lage hierzulande spielt bestimmt eine Rolle. Aber es geht nicht nur um das Einkommen und um Bildung. Auch Menschen mit höherem Einkommen und gutem Abschluss, Leute, die wie ich in Bukarest leben, sind an einen kapitalistischen, egozentrischen Lebensstil gewöhnt und haben keinen Bezug zum Waldschutz.
M: Meiner Meinung nach sind die Folgen des sozialistischen Systems immer noch zu spüren. Es hat Skepsis bei den Menschen hinterlassen. Im Sozialismus sind Menschen teilweise sehr misstrauisch geworden und es kann sein, dass manche Menschen immer noch Angst haben, sich gegen das System zu stellen.
 
? Welche selbstorganisierten Maßnahmen zum Schutz der Wälder gibt es in Rumänien?

! A: Die Wälder in Rumänien sind Europas größte grüne Lunge. Für ihren Schutz muss die Europäische Kommis­sion Druck machen. Wir haben mit einer Beschwerde bei der EU-Kommission 32 Fälle von illegalen Rodungen gemeldet. Wir bringen Leinwände und Lautsprecher vor Regierungsgebäude, projizieren Videos von illegalen Rodungen und klären Menschen darüber auf. Wir haben den Bürgersteig vor dem Regierungspalast in Bukarest angemalt und Banner ausgelegt, auf denen stand, dass die rumänischen Urwälder bewahrt werden sollen.
R: Banneraktionen sind ein gutes Mittel um Aufmerksamkeit für unsere Anliegen zu bekommen. Wir haben beispielsweise, als ein Mitglied des europäischen Parlaments mit Romsilva, der rumänischen staatlichen Forstverwaltung, einen Nationalpark besuchte, ein großes Banner am Rande einer Schlucht dort aufgehängt. Der Politiker sprach mit uns und wir konnten von der Zerstörung innerhalb des Nationalparks berichten. Was aus solchen Gesprächen entsteht, liegt nicht in unserer Hand. Wir hoffen, dass durch solche spektakulären Banneraktionen international mediale Aufmerksamkeit auf die Zerstörung der rumänischen Wälder gelenkt wird und somit Handlungsdruck entsteht.
M: Ein erfolgreiches Vorgehen für selbstorganisierten Waldschutz ist es, Sensoren in geschützten Waldgebieten anzubringen, die auf Geräusche von Motorsägen und LKW reagieren und einen Alarm an die Ranger absetzen. So können die Ranger sofort eingreifen. Es hat bereits oft funktioniert. Die Technik habe ich von der Rainforest Connection gelernt, einem Projekt, das vor allem in Zentral- und Südamerika gegen illegale Rodungen kämpft.

? Wie kann die Umweltschutz-Bewegung sich erhalten und wachsen?

! R: Bildung, besonders für Kinder! Viele Menschen haben kein tief gehendes Bewusstsein oder Kenntnisse über die Wichtigkeit der Wälder und Ökosysteme, also sehe ich Bildung als einen Schlüssel. Ökologie sollte ein Schulfach sein. Kindern muss mehr Wissen vermittelt werden: Warum können wir in diesem Moment atmen? Wenn die Wälder verschwinden, können wir nicht mehr atmen! Lasst uns für die Wälder kämpfen! Ich mache Umwelt-Bildung für Kinder. Sie bekommen dort Raum, die Natur zu spüren. Wenn wir unsere Kinder heute über die Natur informieren, dann werden sie sie morgen schützen.
M: Bei Erwachsenen funktioniert es nicht zu sagen, was richtig oder falsch ist. Sie müssen zuerst Interesse zeigen. Das habe ich bemerkt als ich für eine Tierschutzorganisation versucht habe in Innenstädten Menschen Veganismus nahezubringen. Nur schimpfen bringt da nichts, und ich glaube mit dem Waldschutz ist es ähnlich. Man muss bei den Menschen das Interesse für ein wichtiges Thema wecken und versuchen dabei wohlwollend zu bleiben.
 
? Welche Wälder in Rumänien sind besonders umkämpft?

! A: Bisher gibt es hier in Rumänien noch keine Waldbesetzungen mit Baumhäusern wie beispielsweise im Hambacher Wald in Deutschland. Doch wir haben bereits jede Menge Protest im Nationalpark Domogled-Valea Cerni und im Nationalpark Retezat organisiert, da dort eine Straße, die mitten durch das UNESO-Weltnaturerbe verläuft, ausgebaut werden soll und dafür illegal Rodungen durchgeführt werden.
R: Die beiden Nationalparke Domogled und Retezat können zu symbolischen Wäldern werden. Für mich ist der Retezat sehr wichtig, da es der erste Nationalpark Rumäniens ist. Das heißt nicht, dass dieser Wald nur Rumänien gehört, im Gegenteil. Alle sind herzlich eingeladen, diese Wälder zu besuchen und zu schützen. Wir sehen auch, dass Menschen, die nicht in Rumänien leben, Verantwortung für die Wälder übernehmen und uns beim Kampf um artenreiche, intakte Urwälder unterstützen können.

  • Kurz vor Redaktionsschluss erfuhren wir, dass innerhalb des letzten Monats zwei rumänische Waldranger, die illegale Rodungen in den rumänischen Karpaten dokumentieren wollten, misshandelt und ermordet wurden. Raducu Gorcioaia und Liviu Poind sind nicht die einzigen Opfer des korrupten Systems der rumänischen Holzmafia. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen und Freund*innen der Ermordeten. Auf unserer Website finden Sie dazu einen Blogbeitrag.