An Ballons fliegendes Protestbanner an der DDR-Grenze gegen Luftverschmutzung

„Streng vertraulich“ - Wie die Stasi ROBIN WOOD bespitzelte

29. November 2025
Robin Wood
Ute Bertrand
ROBIN WOOD-Pressesprecherin
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Erdmann Wingert, ROBIN WOOD-Aktivist der ersten Stunde, schilderte bei einer Veranstaltung des Stasi-Unterlagen-Archivs in Berlin seine Erlebnisse bei Protestaktionen im "Todesstreifen" an der innerdeutschen Grenze in den 1980er Jahren
Foto: BArch/Baumann
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Am damaligen "Tag der deutschen Einheit" 1985 hatten ROBIN WOOD-Aktivist*innen an der DDR-Grenze ein Protestbanner gegen Luftverschmutzung durch Kohlekraftwerke an Ballons aufsteigen lassen - eine ungeheure Provokation für die Grenztruppen
Foto: ROBIN WOOD
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Die Erlebnisse liegen Jahrzehnte zurück, doch die Erinnerungen sind sehr gegenwärtig - Das zeigten spannende Redebeiträge von Zeitzeug*innen im Publikum der Veranstaltung des Stasi-Unterlagen-Archivs in Berlin-Lichtenberg
Foto: BArch/Baumann
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Am Beispiel der Stasi-Akte über ROBIN WOOD ordnete der Historiker des Bundesarchivs, Martin Stief, ein, welche Rolle die Geheimpolizei der DDR bei der Beobachtung und Unterdrückung von Umweltgruppen in Ost und West gespielt hat
Foto: BArch/Baumann
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Das Stasi-Unterlagen-Archiv zeigt auch, wie Stasi-Mitarbeitende versuchten, Beweise ihres Tuns noch schnell zu vernichten, indem sie, als die DDR sich auflöste, einen Teil der Akten schredderten, zerrissen oder mit Wasser zu einem Papierbrei vermischten
Foto: ROBIN WOOD / Ute Bertrand
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Die geretteten Akten lagern heute gebündelt in tonnenschweren Regalen. Jede*r einzelne hat das Recht, Zugang zu den von der Stasi zu seiner Person gesammelten Informationen zu bekommen, um die Einflussnahme des Geheimdienstes auf sein persönliches Schicksal aufzuklären.
Foto: ROBIN WOOD / Ute Bertrand
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Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), die Geheimpolizei der DDR, hat in den 1980er Jahren die Umweltbewegung in Ost und West ausspioniert – darunter auch Umweltschützer*innen von ROBIN WOOD. Zuständig dafür war das Sekretariat des Generalleutnants Neiber in der Hauptabteilung 22 der „Stasi". Deren Aufgabe lautete: „Terrorabwehr“. Die Stasi-Mitarbeitenden berichteten über Aktivitäten der „gegnerischen Umweltschutzorganisation“ direkt an die Staatsspitze, an Stasi-Minister Erich Mielke sowie an Staats- und Parteichef Erich Honecker. Wie es dazu kam und was heute darüber bekannt ist, darum ging es bei einer Veranstaltungam 24. November 2025, zu der das Stasi-Unterlagen Archiv nach Berlin-Lichtenberg eingeladen hatte.

 

Mit auf dem Podium saß Erdmann Wingert, ROBIN WOOD-Aktivist und Zeitzeuge. Er erinnert sich noch gut an die Protestaktion, die am Tag der deutschen Einheit, am 17. Juni 1985, im Grenzgebiet bei Helmstedt stattfand. „Die Luft war damals verpestet von den Emissionen der Kohlekraftwerke, die ungefiltert in die Luft geblasen wurden und Menschen und Wäldern übel zusetzten. ‚In Ost und West stinkt’s wie die Pest‘ und ‚Mit Harbke und Buschhaus geht uns die Luft aus – Luftvergiftung kennt keine Grenzen' stand auf unseren Bannern. Eine Bodentruppe von uns hatte die Banner in den sogenannten Todesstreifen am Grenzzaun zur DDR gebracht und eines davon an Heliumballons hoch gelassen – und dann war die Hölle los. Von Ost und West dröhnten die Aufforderungen, das Gelände sofort zu verlassen. Sie schweben in Lebensgefahr, hieß es. Eine andere Gruppe von uns saß zur gleichen Zeit am Kohlekraftwerk Offleben auf dem Schornstein. Das war eine aufregende Aktion, die ziemlich viel Aufmerksamkeit erzeugt hat.“

Parallel schickten ROBIN WOOD-Vertreter*innen Regierenden in Ost und West Resolutionen. Im Schreiben an den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker forderten sie, alle Umweltbelastungen in der DDR offen zu legen, die Arbeit der in der DDR tätigen umweltpolitischen Initiativen nicht zu behindern und drastische Maßnahmen zur Reduzierung der Schadstoffemissionen – insbesondere von den Braunkohlekraftwerken auf dem Gebiet der DDR – zu ergreifen. Ihre Forderungen garnierten sie mit einem Zitat aus der „Dialektik der Natur“ von Friedrich Engels: „Schmeicheln wir uns nicht zu sehr mit unseren Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns.“ 

Die DDR-Oberen werteten den Protest als gefährliche „Grenzprovokation“. Es war nicht der erste dieser Art. 

Bereits am Nikolaustag 1983 hatten Aktivist*innen von ROBIN WOOD – kurz nach der Gründung ihrer Organisation – aus Protest gegen das Waldsterben Kronen von abgestorbenen Kiefern über „die Mauer“ am Potsdamer Platz nach Ost-Berlin geworfen. Die Stasi hatte schon am Vortrag von den Plänen einer „Umweltgruppierung Robin Hood“ gewusst. 

Bei einem weiteren Protest am 26. Juni 1984 war – nach Angaben der Nachrichtenagentur dpa „für die Grenzbeamten völlig überraschend“ – eine Gruppe Umweltaktivist*innen mit Bannern und einem Riesen-Würfel zwischen den Abfertigungsgebäuden am „Grenzübergang Heinrich-Heine“ in West-Berlin aufgetaucht, um gegen die Abgase der Kraftwerke Buschhaus bei Helmstedt (BRD) und Vockerode (DDR) zu demonstrieren. Beide Anlagen verbrannten damals extrem schwefelhaltige Salzkohle. Laut Stasi-Akten hatte es dazu vorab Hinweise an den DDR-Geheimdienst aus Mitarbeiterkreisen des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) gegeben. 

Diese und weitere Aktionen an der innerdeutschen Grenze wurden von der Stasi ausführlich dokumentiert: Heimlich fertigten Stasi-Leute Berichte und Fotos der Aktionen an. Sie sammelten umfangreich und legten eigens eine „Sachakte“ an. Die Stasi versuchte, sich mit dieser Methode ein Bild zu machen, wer oder was ROBIN WOOD eigentlich war. Insbesondere die basisdemokratischen Strukturen dieser „gegnerischen Organisation", die so ganz anders waren als die der militärisch und streng hierarchisch aufgebauten Stasi, gaben ihnen dabei offenbar einige Rätsel auf.

Dass die Informationen über Aktionen bis ganz nach oben an die Staatsspitze weitergeleitet wurden, ist ein Beleg dafür, wie ernst die Proteste genommen wurden. Es sollte verhindert werden, dass Daten über Umweltschäden in Ost und West öffentlich bekannt wurden und das Ansehen der DDR im In- und Ausland beschmutzten. Oder das gar wichtige Devisen verloren gingen. 

Wahrgenommen wurden die Proteste auch von Umweltschützer*innen aus der DDR, die dort Umweltbibliotheken aufgebaut hatten. Sie wandten sich an ROBIN WOOD, um Informationen etwa über das Waldsterben zu bekommen. Das war hochriskant, denn allein die Kontaktaufnahme war strafbar. 

Im November 1988 traten dann sogar Mitglieder von ROBIN WOOD aus dem Westen gemeinsam mit einigen – den Repressionen trotzenden – Aktiven der Ost-Berliner Umweltbibliothek in Aktion. Sie demonstrierten gegen die Lieferung von mehreren Hunderttausend Tonnen Sondermüll zur Müllverbrennungsanlage Schöneiche und forderten den Stopp solcher Mülltransporte aus West- nach Ostdeutschland, an denen die DDR-Führung ein Interesse hatte, weil sie harte westdeutsche Währung einbrachten.

Das Stasi-Unterlagen-Archiv nutzt heute die Neiber-Akte über ROBIN WOOD als Beispiel, um aufzuzeigen, welche Rolle die Staatssicherheit bei der Beobachtung und Unterdrückung von Umweltgruppen in Ost und West gespielt hat. Bei der Veranstaltung im November ordnete der Historiker des Bundesarchivs, Martin Stief, die Proteste entsprechend ein. Die ROBIN WOOD-Akte wird seit 2024 zudem im Rahmen der Ausstellung „Einblick ins Geheime“ gezeigt. Diese Ausstellung ist in der ehemaligen, gigantomanisch dimensionierten Zentrale in Berlin-Lichtenberg zu besichtigen, von der aus zu DDR-Zeiten die Stasi als „Schild und Schwert der Partei“ versuchte, die Alleinherrschaft der SED zu sichern. 

Die DDR und ihr Überwachungsapparat existieren längst nicht mehr. Das bietet die historisch seltene Chance, das Innenleben eines Geheimdienstes zu studieren und detailliert nachzuvollziehen, wie er gearbeitet hat – ein enormer Erkenntnisgewinn, zumal Ausforschung und Überwachung der Umwelt- und Klimabewegung leider auch mit dem Ende der DDR nicht Geschichte sind.