Wir werden keine Ruhe geben!
Interview mit Toni von Alle Dörfer Bleiben
Die Rechnung ist nicht aufgegangen: Mit der Kohlekommission und dem Kohlegesetz hat die Bundesregierung darauf gehofft, den erstarkenden Protest gegen die Kohleverstromung zu befrieden. Schon jetzt zeigt sich, wie wenig ihnen dies gelungen ist.
Zu offensichtlich ist, wie schädlich das letztendlich verabschiedete Gesetz ist: Mit einem viel zu späten Enddatum für die Kohle, das allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Klimakrise widerspricht. Mit massiven und unnötigen Geldgeschenken an die Kohleindustrie und mit der fortwährenden Gefährdung von Dörfern in den Braunkohlegebieten. Selbst die Umweltorganisationen, die den Vorschlag der Kohlekommission im letzten Jahr mit erarbeitet und unterstützt haben, schließen sich nun wieder dem Protest an.
Dabei sind die zum Abriss bestimmten Dörfer zum aktuell zentralen Kristallisationspunkt für die Anti-Kohle- und Klimagerechtigkeitsbewegung geworden. Am Tagebau Garzweiler im Rheinland wird seit mehreren Wochen mit Menschenketten, Ungehorsamen Aktionen, kritischen Gottesdiensten, Dorfspaziergängen und vielem mehr gegen den Abriss der L277 protestiert. Für den 30. August mobilisiert eine stattliche Zahl von Gruppen und Organisationen gemeinsam zu einer Demo an den Tagebau. Nur einen Monat später, Ende September, lädt das Aktionsbündnis Ende Gelände zu Aktionen zivilen Ungehorsams für die Dörfer und für Klimagerechtigkeit.
In dem Bündnis "Alle Dörfer Bleiben" organisieren sich seit 2018 Betroffene aus den Dörfern aller drei deutschen Braunkohlereviere gemeinsam mit Aktivist*innen der Klimagerechtigkeitsbewegung. Wir sprachen mit Toni von "Alle Dörfer Bleiben" über die Situation vor Ort, den kommenden Protest und Gründe für Hoffnung.
? Der Kohleausstieg ist beschlossen – trotzdem halten die Kohlekonzerne und die Politik daran fest, dass weiterhin Dörfer der Kohle weichen müssen. Was bedeutet das für euch, die ihr vor Ort schon so lange für den Erhalt der Dörfer kämpft?
! Der Kohleausstieg wurde mit dem neuen Gesetz auf 2038 festgesetzt, das ist viel zu spät – für unsere Dörfer und für das Klima. Das Ziel, die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu reduzieren, kann so nicht erreicht werden. Und schon heute sehen wir, welche Folgen die Klimaveränderung hat – besonders im globalen Süden, aber auch hier vor Ort durch Hitzesommer und Trockenheit. Außerdem ist klar, dass die Kohle unter den Dörfern nicht benötigt wird, weil die Energieerzeugung auch erneuerbar möglich ist. Dennoch will RWE weiter daran festhalten, unsere Dörfer, Kirchen, Felder und Grundwasservorräte zu zerstören. Natürlich trifft uns dieses Gesetz hart, gleichzeitig erleben wir immer mehr Solidarität und Unterstützung für unseren Kampf um die Dörfer. Für uns ist es wichtig, dass möglichst viele Menschen um die Bedrohung der Dörfer wissen und sich die Situation vor Ort anschauen. Denn wir hören oft, dass viele erst begreifen was hier los ist, wenn sie es mit eigenen Augen gesehen haben.
? In den letzten Wochen gab es viele Protestaktionen gegen den Abriss der L277. Wie kommt das? Was ist das besondere an dieser Straße?
! Das einzige, was den Tagebau Garzweiler noch vom nächsten bedrohten Dorf, Keyenberg, trennt, ist die Landstraße 277. Sie markiert daher eine zentrale Schutzlinie für die Dörfer. Mitte Juli wurde durch den Abriss des Asphalts auch eine wichtige Mobilitätsachse für die gesamte Region zerstört. Wir haben daher zu Protesten rund um den Abriss aufgerufen und uns über die vielen unterschiedlichen Aktionen gefreut: Sitzblockaden, Demos, Gottesdienste oder Tanzaktionen. Seitdem gibt es auch eine Dauermahnwache an der L277 bei Lützerath, dem Dorf, das als nächstes abgerissen werden soll. Noch stehen die Bäume am Rand der Straße und wir werden auch in den kommenden Wochen und Monaten keine Ruhe geben, um diese wichtige Lebenslinie zu schützen.
? Der Erhalt der Dörfer in den Kohlerevieren ist zunehmend in den Fokus der Klimagerechtigkeitsbewegung gerückt. Wie erklärst du das?
! Wenn unsere Dörfer erhalten bleiben, kann natürlich auch die Kohle darunter nicht verbrannt werden. Hier liegen noch 600 Millionen Tonne Braunkohle, die unbedingt im Boden bleiben müssen, um den Klimawandel mit all seinen globalen Folgen nicht noch weiter zu beschleunigen.
Schon jetzt trifft die Klimakrise diejenigen am härtesten, die am wenigsten dazu beigetragen haben – die ärmsten Menschen auf diesem Planeten. Deshalb geht es uns, neben den Dörfern hier in Deutschland, auch um die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen weltweit.
? Der Kohleausstieg wird massiv verzögert, die Bagger rollen weiter auf die Dörfer zu während die Klimakatastrophe auch hierzulande immer spürbarer wird. Gibt es etwas, was dir Mut macht und hilft, dich trotz allem weiter zu engagieren?
! Der Erfolg um den Hambacher Forst hat uns neue Hoffnung gegeben – auch wenn der Hambi natürlich immer noch durch Trockenheit bedroht ist. Wir haben gesehen, dass es möglich ist, RWE in die Schranken zu weisen, wenn wir als Bewegung vielfältig, bunt und entschlossen sind. Unser Ziel ist es, dass die Dörfer hier am Tagebau Garzweiler zu einem neuen Ort der Hoffnung werden. All die Menschen, die uns auf so vielfältige Weise unterstützen, an unseren Protesten teilnehmen, ihre eigenen Aktionen machen oder uns von weit her Solidaritätsnachrichten schicken, machen mir Mut. Und ich hoffe darauf, dass sich uns noch viel viel mehr Menschen anschließen werden, denn gemeinsam widerständig zu sein macht uns stark.