Warum ist der Strommix so blau?

Mit gerade mal vier Prozent ist Wasserkraft der Energieträger mit dem geringsten Anteil am deutschen Strommix. Das Potential für weitere Wasserkraftwerke in Deutschland oder den Nachbarländern ist zudem so gut wie erschöpft, diese sind schließlich häufig nicht mit dem Naturschutz vereinbar. Es kommt nicht von ungefähr, dass eine zentrale Forderung der Klimabewegung der schnelle Ausbau von Wind und Solarenergie ist. Nur so kann die Energiewende gelingen! Trotzdem fällt bei der Suche nach einem Ökostromanbieter schnell auf: Der Anteil von Wasserkraft am Strommix der Anbieter ist meistens hoch und beträgt zum Teil sogar 100 Prozent. Wie kommt das?

Um den Verkauf von Ökostrom zu regulieren, wurde von der EU das Prinzip der Herkunftsnachweise (HKN) eingeführt. Für jede Kilowattstunde erneuerbaren Stroms entsteht prinzipiell ein HKN, der die "grüne" Herkunft des Stroms zertifiziert. Stromanbieter dürfen ihr Stromangebot nur als Ökostrom bewerben und verkaufen, wenn sie die entsprechende Menge an HKN entwerten. So weit so klar.

Die HKN und der Strom können getrennt gehandelt werden – und hier fängt es an, kompliziert zu werden. Die Möglichkeit, HKN und Strom zu trennen, führt zum einen dazu, dass Stromanbieter konventionellen Strom "grünwaschen" können. Sie können z.B. Strom über die Strombörse beziehen, der dem aktuellen Strommix in Deutschland entspricht – also auch Kohle und Atomstrom enthält. Kaufen und entwerten sie dazu die passende Menge an HKN, dürfen sie diesen Strom als Ökostrom verkaufen. Das Geld der Ökostromkund*innen würde also über dem Umweg der Strombörse auch an Kohle- oder Atomkraftwerkbetreiber fließen. In den Kriterien für unseren ROBIN WOOD-Ökostromreport schließen wir dieses Vorgehen aus und empfehlen nur Anbieter, die ausschließlich Strom von Ökostromanlagen beziehen.

Zum anderen wurde  in Deutschland das sogenannte Doppelvermarktungsverbot eingeführt. Dieses besagt, dass für Strom aus Erneuerbare-Energien-Anlagen, welche durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gefordert sind, keine HKN ausgestellt werden. Er kann also nicht als Ökostrom verkauft werden. Die Logik dahinter ist, dass die erneuerbare Eigenschaft dieses Stroms schon von allen Stromkund*innen durch die EEG-Abgabe gefördert wird – und nicht ein zweites mal durch die Ökostromkund*innen vergütet werden soll.

Betreibe ich in Deutschland also beispielsweise ein Windkraftwerk muss ich mich entscheiden, ob ich für den produzierten Strom die EEG-Vergütung bekommen oder ob ich den Strom als Ökostrom und damit etwas teurer verkaufen können will. In den vergangenen Jahren waren die EEG-Vergütung und der Preis für Ökostrom so gestaltet, dass die allermeisten Betreiber von Wind- und Solarenergieanlagen sich für die Vergütung durch das EEG entschieden haben, da es deutlich wirtschaftlicher war. Auch die Stromanbieter, die eigene Anlagen betreiben, lassen diese aus wirtschaftlichen Gründen zum größten Teil über das EGG fördern.

Für die Ökostromanbieter bedeutet dies, dass es bisher in Deutschland nur ein sehr begrenztes Angebot von "förderfreiem" – also als Ökostrom deklarierbaren – Strom aus Wind oder Solarenergie gibt. Viele Ökostromanbieter weichen daher zumindest zu einem Teil auf ausgeförderte Wasserkraftanlagen aus Deutschland oder europäischen Nachbarländern aus. Dazu kommt, dass Wasserkraft für Ökostromanbieter besser planbar ist als Wind- und Sonnenstrom, welche deutlich wetterabhängiger sind. Eine Strommenge kann damit weiter im Voraus gekauft werden und wird relativ sicher dann auch so zur Verfügung gestellt. Der Bezug von Wind- und Solarstrom bedarf deutlich mehr kurzfristiger Nachjustierung – eine Herausforderung, insbesondere wenn der Gang zur Strombörse vermieden werden soll.

Doch der Ökostrommarkt und seine politischen Rahmenbedingungen verändern sich. Zum einen fallen in diesem Jahr die ersten Anlagen aus der EEG-Förderung. Sie können damit ihren Strom inklusive HKN als Ökostrom verkaufen. Eine ganze Reihe der Ökostromanbieter haben schon begonnen, Direktlieferverträge – sogenannte Power Purchase Agreements (PPA) – mit ausgeförderten Erneuerbare-Energien-Anlagen abzuschließen. Für die Anlagenbetreiber sind PPAs eine wichtige Möglichkeit, ihre ausgeförderten Anlagen weiter am Netz zu lassen. Zum anderen sind neuere Windkraft- und Solaranlagen zunehmend auch ohne die EEG-Förderung wirtschaftlich zu betreiben, so dass Betreiber sich teilweise von vornherein entscheiden, ihren Strom über Direktlieferverträge zu vertreiben. Der Strommix der von ROBIN WOOD empfohlenen Anbieter hat sich dadurch seit unserem Anfang 2020 veröffentlichten Ökostromreport zum Teil schon verändert und beinhaltet einen wachsenden Anteil an Wind und Solarenergie. Es lohnt sich ein Blick auf die Seiten der Anbieter!

Strom aus Wasserkraftwerken war und ist also wichtig für den Ökostrommarkt, da er Ökostromanbietern unter den gegebenen politischen Rahmenbedingungen ermöglicht hat, deklarierbaren – also mit HKN ausgestatteten – Ökostrom zu verkaufen. Stromkund*innen erlaubt der Wechsel zu Ökostrom, ihr Geld von den konventionellen Stromanbietern der Kohle- und Atomindustrie abzuziehen. Und Ökostromanbieter können mit diesem Geld wiederum die Energiewende fördern - beispielsweise in dem sie einen festen Betrag pro verkaufter Kilowattstunde in Neuanlagen oder Forschung investieren.

Aber es ist auch klar, dass die Bedeutung von Wasserkraft zurückgeht und zurückgehen muss! Ehrgeizigen Ökostromanbietern muss es zunehmend darum gehen, das Energiesystem der Zukunft ganz praktisch zu fördern und auszuprobieren. Das bedeutet, in einem hohen Maß Wind- und Sonnenstrom zu integrieren, aber auch Speichertechnologien und Energieeffizienz zu fördern sowie Stromverbrauch und -produktion näher zusammenzubringen. Es brechen also wieder einmal spannende Zeiten für den Ökostrommarkt an!