Ukraine-Krieg und die Folgen für die Welternährung

Der Krieg in der Ukraine verursacht unermessliches Leid: Die dortige Zivilbevölkerung wird vertrieben oder gar getötet. Auch die kämpfenden Soldatinnen und Soldaten erleiden unter der Grausamkeit des Krieges Traumata, Folter und Tod. Jenseits dieses Horrors legt der Krieg erneut die Fehlstellungen des Welternährungssystems gnadenlos offen und verschärft weltweit die chronische Hungerkrise weiter. Besonders betroffen sind die Staaten und Menschen im Globalen Süden, die ihre Ernährungssouveränität verloren haben. Für die nun 828 Millionen Hungernden auf der Welt zeigt sich erneut, dass globale Lieferketten nicht auf ihre Versorgung ausgerichtet sind.

Es wird deutlich, wie sich der Hunger weiter verschärft, wenn nervöse Märkte Agrarrohstoffe knapp und teuer werden lassen. Einen ähnlich negativen Effekt hätte ein Umstieg der Industriestaaten von einer fossilen Wirtschaft hin zur Bioökonomie, sofern das industrielle Agrarsystem unverändert fortbesteht und unser Ressourcenverbrauch hoch bleibt. Wohlhabende Länder sowie transnationale Konzerne würden die Weltmärkte leerkaufen, um ihre “grüne” Wirtschaft am Laufen zu halten.

Im Fokus der Öffentlichkeit bemüht sich die Bundesregierung momentan vor allem darum, Deutschlands Energieversorgung abzusichern und den Ausbau von Wind- und Sonnenenergie zu beschleunigen. Parallel müsste aber auch unser Ressourcenverbrauch insgesamt, sowie die Art der landwirtschaftlichen Produktion und der verschwenderische Umgang mit biogenen Rohstoffen ähnlich konsequent auf den Prüfstand gestellt werden. Nur so werden die tieferen Gründe der chronischen Welternährungskrise angegangen.

In diesem Zusammenhang nützt es nichts, in Sonntagsreden das Recht auf Nahrung und das Prinzip von „Food First“ zu betonen und ansonsten mit “business as usual” weiterzumachen. Die zur Verfügung stehenden Flächen und Ressourcen sind begrenzt und ihre Nutzung bedarf dringend einer klaren Priorisierung zugunsten der Nahrungsmittelproduktion jenseits der Marktlogik. Die bisherige Praxis ist voll von wenig zukunftsfähigen Bioökonomie-Anwendungen wie brasilianischem Zuckerrohr für Bioplastik in Getränkekartons oder mit Gülle überdüngtem Mais für Biogas.

Die unterzeichnenden Umwelt- und Entwicklungsverbände fordern eine Bioökonomie, die sozial gerecht und ökologisch nachhaltig ist. Mit Blick auf den Ukraine-Krieg müssen folgende Punkte zwingend in den zu erarbeitenden Umsetzungsplänen der Bundesregierung zur Bioökonomie und Biomassenutzung sowie in der aktuellen Debatte um die Leitlinien der landwirtschaftlichen Produktion berücksichtigt werden:

  • Ackerflächen dürfen nicht für die Energie- und Treibstoffproduktion verwendet werden. Eine Aussetzung der Beimischungsquote für Biokraftstoffe würde in Deutschland kurzfristig 800.000 ha für andere Nutzungen bzw. die Renaturierung von Mooren freimachen.
  • Primärholz aus dem Wald darf nicht als Ersatz für fossile Energieträger verbrannt werden, sondern muss für eine höherwertige stoffliche Nutzung zur Verfügung stehen. Artenreiche Lebensräume und Kohlenstoffsenken des Waldes müssen erhalten und ausgebaut werden. Dies lässt sich nur über ein gesetzlich verankertes Kreislauf- und Kaskadenprinzip und die Abschaffung von Subventionen für die klimaschädliche Holzverbrennung ermöglichen.
  • Im Hinblick auf die weitere Entwicklung der Bioökonomie braucht es einen klaren, gesellschaftlich abgestimmten Fahrplan für die Priorisierung von Bioökonomie-Nutzungen. Das Versprechen des Koalitionsvertrags von 2021, den Ressourcenverbrauch zu begrenzen, muss eingelöst und klare absolute Reduktionsziele erarbeitet werden. Ein Ressourcenschutzgesetz sollte nationale Ressourcenschutzziele sowie die Reduktion der biotischen und abiotischen Ressourcenverbräuche verbindlich vorschreiben. So könnte sichergestellt werden, dass ausreichend Flächen für die Nahrungsmittelproduktion vorgehalten werden.
  • Der Tierbesatz in Deutschland und Europa muss drastisch reduziert werden. Um den viel zu hohen Fleischkonsum in den Industriestaaten aufrecht zu erhalten, werden große Mengen importierte Eiweißfuttermittel und Getreide für die industrielle Tiermast eingesetzt. Für die Sojaimporte Deutschlands werden über 2 Mio. ha Agrarland im Ausland in Anspruch genommen, fast 60 Prozent der deutschen Getreideernte als Tierfutter genutzt. Darüber hinaus müssen Import wie Export von Tieren und tierischen Produkten stark begrenzt werden. Statt Lebensmittel für Viehfutter zu verwenden, sollte die Bundesregierung die Voraussetzung dafür schaffen, dass Getreide zuvorderst der menschlichen Ernährung zugutekommen kann.
  • Die Landwirtschaft muss dringend ökologisiert werden. Eine industrialisierte Landwirtschaft, die nur unter massivem Einsatz fossiler Energien funktioniert, kann nicht resilient sein und ist zwangsläufig ein Auslaufmodell. Ein bis drei Prozent des weltweiten Energiebedarfs werden für die Herstellung von mineralischem Stickstoffdünger eingesetzt. Die konventionelle Landwirtschaft ist damit einer der größten Energieverbraucher.
  • Nicht zuletzt gefährdet die industrielle Landnutzung durch den Einsatz von Pestiziden und GVO die biologische Vielfalt. Bei der künftigen Gestaltung von Regeln für die Land- und Forstwirtschaft wie der gemeinsamen Agrarpolitik in der EU oder dem Bundeswaldgesetz ist sicherzustellen, dass der Biodiversitätsschutz konsequent berücksichtigt wird.

Angesichts der aktuellen Preis- und Verteilungskrise von Nahrungsmitteln auf den Weltmärkten werden nun wieder Stimmen laut, die ein Aufweichen von Natur- und Umweltschutz zugunsten einer gesteigerten Agrarproduktion fordern. Bestehende politische Zielvereinbarungen wie die Düngeverordnung, die farm-to-fork-Strategie mit dem Ziel der 50 Prozent Pestizidreduktion und das geltende Gentechnikrecht werden
deshalb angegriffen, unter dem Vorwand angeblich notwendiger Ertragssteigerungen. Dabei sind Hungerbekämpfung und Naturschutz keine Gegensätze und sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden. Denn ohne intakte Ökosysteme brechen die Lebensgrundlagen weg. Die Bioökonomie kann langfristig nur innerhalb der planetaren Grenzen funktionieren.