Stippvisite in Bure – ein Dorf am atomaren Abgrund

Wir sind mit dem Bulli unterwegs in die Bretagne. Endlich der Hitze entfliehen, ins Meer springen und die Seele baumeln lassen, das ist der Plan. Wir studieren Straßenkarten und fragen uns, wie weit eigentlich der kleine Ort Bure von unserer Route entfernt liegt, von dem wir schon so lange gelesen und gehört haben, ohne jemals dort gewesen zu sein. Jenes Bure, das der französische Staat lange als Forschungsendlager bezeichnete (ähnlich wie die Asse in den frühen 70er Jahren) und dann im Dezember letzten Jahres in einem Ad-Hoc-Verfahren zum Endlager für den gesamten, ewig strahlenden Atommüll Frankreichs erklärte. Wie Gorleben liegt auch Bure in einer dünnbesiedelten Region. Und auch hier gab es von Anfang an erhebliche Zweifel am geplanten Sicherheitskonzept. 25 Kilometer Umweg. Damit ist es entschieden. Wir fahren vorbei, verschaffen uns endlich einen eigenen Eindruck von der Situation vor Ort!

Als wir morgens ankommen, brennt die Sonne bereits vom Himmel und wir parken unseren Bus im Schatten eines Gebäudes, dessen Türschild uns Rätsel aufgibt. Später wird uns erklärt, dass es sich um eine staatliche Vermittlungseinrichtung handelt. Im günstigsten Falle ein Feigenblatt der demokratischen Debatte. Das Widerstandshaus ist schnell ausgemacht. „Bure zone libre“ (Freie Zone Bure) prangt dort in großen Lettern. Wir zögern kurz und treten dann ein. Eine Frau um die Fünfzig begrüßt uns und schwenkt schnell auf englisch um, als sie merkt, dass wir sonst wenig verstehen. Sie entschuldigt sich, dass es so unaufgeräumt ist. Im Hof stehen alte Kühlschränke und Schrott. Aber nichts, was sich nicht in wenigen Tagen mit ein paar helfenden Händen beseitigen ließe. Sie erklärt, dass es in den vergangenen Monaten nach der Räumung der nahen Waldbesetzung im Februar massive Polizeirepressionen gab. Es fanden auch nachts Hausdurchsuchungen statt, noch heute sitzen Gegner des Endlagerprojektes im Gefängnis. Damit nicht genug, wurden für mehrere Projektgegner dauerhafte Platzverweise erteilt. Sie dürfen ihren eigenen Kreis samt Wohnung und sozialem Umfeld nicht mehr betreten. Außerdem wurden Kontaktsperren verhängt, u.a. zu einem der Bewegungsanwälte, der seit Jahren viele der Aktivisten juristisch verteidigt hat.

Diese Berichte schocken uns. Auch in Deutschland hat sich die Polizeirepression gegen linke Proteste in den letzten Jahren merklich verschärft. Aber dass Menschen aus ihrem Heimatkreis verbannt werden, kennen wir noch nicht als Mittel der staatlichen Repression. Die Stimmung ist gedrückt. Nur noch wenige Aktivist*innen sind im Dorf verblieben. Viele haben das Dorf aus Angst vor polizeilichen Übergriffen verlassen, andere gönnen sich eine Sommerpause. Die verbleibenden Aktivist*innen hoffen, dass viele Menschen ihrem Apell folgen und Anfang September über neue Perspektiven beraten werden.

Das Widerstandshaus bietet dafür einen guten Anlaufpunkt. Es wurde nach dem Kauf vor vielen Jahren liebevoll saniert, mit großer Küche, Bibliothek und vielem mehr ausgestattet. Später hören wir, dass Bure zeitgleich bei der internationalen Anti-Atom-Konferenz in Narbonne ein wichtiges Thema war. Wir drücken die Daumen, dass es gelingt, das Projekt weiter öffentlich zu kritisieren und am Ende zu Fall zu bringen, wie das für das Flughafenprojekt bei Notre Dame les Landes im Januar diesen Jahres gelungen ist.

Auch wenn unsere Gedanken in dieser Woche eher im rheinländischen Buir sind, wo RWE und Polizei am 28. August das Wiesencamp verwüsteten, um den Widerstand gegen Rodungen zugunsten von weiterer Braunkohleförderung zu schwächen: Auch das französische Bure wird uns nicht wieder loslassen. So wie dort geplant, darf nicht mit den Hinterlassenschaften der Atomenergie umgegangen werden. Und solange dort noch 58 Reaktoren laufen ist der staatliche Druck unerträglich.

Abschalten sofort. Dort wie hier!

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Foto ▸ ROBIN WOOD