Rechtsausschuss redet über Vorwürfe der #Lausitz23
Es ist kein alltäglicher Vorgang, dass sich ein Parlamentsausschuss mit einer Protestaktion beschäftigt. Heute Nachmittag ging es im Rechtsausschuss des Brandenburger Landtags in Potsdam um die Besetzung von Kohlebaggern im Lausitzer Braunkohlerevier im Rahmen der "Ende Gelände"-Aktionswoche. Doch im Mittelpunkt stand nicht die von den den Klimaaktivist*innen gesehene Notwendigkeit, gegen die Gefahren des Klimawandels selbst aktiv zu werden, sondern die erschreckende Behandlung, die sie daraufhin durch den Staat erfuhren.
Seit vielen Jahren geht die Umwelt- und Klimabewegung mit ungehorsamen Aktionen gegen Missstände vor, die unser aller Lebensgrundlagen bedrohen. Konflikte mit Polizei und Justiz bleiben da nicht aus. Je nach Region sieht das ganz unterschiedlich aus. So auch hier: Am 4. Februar 2019 wurden Braunkohlebagger im Lausitzer und Leipziger Braunkohlerevier besetzt. Allen Beteiligten wurde der Vorwurf des Hausfriedensbruchs gemacht, eines der geringfügigsten Bagatelldelikte, die das Strafgesetzbuch kennt. Alle verweigerten zunächst die Angabe ihrer Personalien. Die Aktiven in Leipzig wurden auf die Polizeiwache mitgenommen und, als auch dort ihre Identität nicht festgestellt werden konnte, nach einigen Stunden entlassen.
Die 23 Aktivist*innen in der Lausitz verbrachten die Nacht im Polizeigewahrsam, um am nächsten Tag der Haftrichterin vorgeführt zu werden. Gegen 18 von ihnen wurde Untersuchungshaft verhängt. Drei von ihnen saßen bis zu ihrem Prozess diesen Montag in der JVA Cottbus. Drei Wochen Haft für ein Delikt, das meist mit ein paar hundert Euro Geldstrafe geahndet wird.
In ihrem Prozess berichteten die Angeklagten von entwürdigender und brutaler Behandlung durch die Polizei. Sie schilderten, wie sie bei Minusgraden stundenlang angeschnallt und mit gefesselten Händen in einem ungeheizten Polizeifahrzeug saßen. Wie sie, während sie immer wieder über die starken Schmerzen in ihren Händen klagten, von Polizisten verhöhnt wurden, die ihnen außerdem den Toilettengang verwehrten. Ein später anwesender Arzt verweigerte die Behandlung, bei mindestens einer Person wurde nach diesem Polizeigewahrsam eine Lungenentzündung diagnostiziert. Der Bericht der Angeklagten schilderte eine Vielzahl weiterer entwürdigender Behandlungen nach dieser hier beispielhaft herausgegriffenen Episode.
Manches davon erinnert stark an die Behandlung von Robin Wood-Aktiven, die im Herbst 2007 versucht hatten, die Lacomaer Teiche vor der Abbaggerung zu schützen und die damals ebenfalls im Cottbuser Polizeigewahrsam gelandet waren. 2013 hatte das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) festgestellt, dass ihre dortige Behandlung rechtswidrig gewesen war.
Bei der heutigen Sitzung des Rechtsausschusses ging es hingegen um die Haftrichtervorführung und die anschließende Haft. Den Ausschussmitgliedern war ein umfangreiches Papier von "Ende Gelände" zugegangen, dass auch in diesem Bereich zahlreiche schikanöse Maßnahmen gegen die Aktivist*innen beschrieb. Nicht allen dort gemachten Vorwürfen wurde in der Sitzung nachgegangen. Die Ausschussmitglieder fragten nach der verweigerten Kontaktaufnahmen zu Anwält*innen, wiederholten Durchsuchungen bis auf den Genitalbereich, der teils mangelhaften Versorgung mit Essen und Kleidung, langen Wartezeiten bei der ärztlichen Versorgung und der erheblich verzögerten Freilassung von Inhaftierten, die ihre Personalien angaben.
Die Antworten, die Justizminister Stefan Ludwig (Linkspartei) und seine Abteilungsleiter*innen darauf gaben, brachten kaum neue Erkenntnisse. Zwar war man hier mit der Aktion und den Maßnahmen von Polizei und Justiz mindestens in Grundzügen vertraut, konkreten Vorwürfen war jedoch kaum nachgegangen worden. Wenn zu ihnen Stellung genommen wurde, dann meist ausweichend. So hieß es zu der Frage, ob die Stellung der Haftanträge durch die Staatsanwaltschaft verhältnismäßig gewesen sei nur, hierfür habe es eine gesetzliche Grundlage gegeben. Der eigenartige Tenor, der sich aus den Antworten des Ministeriums herauskristallisierte, lautete ungefähr: Die Justiz habe nichts falsch gemacht, es gebe keinen Grund zum Eingreifen, alle anders lautenden Vorwürfe seien ernstzunehmen, nennenswerte Nachprüfungen werde es aber trotzdem nur geben, wenn die Betroffenen Anzeige stellten. Eine befremdliche Aussage, denn die Staatsanwaltschaft hat die gesetzliche Pflicht, bei Straftaten, deren Verfolgung im öffentlichen Interesse liegt, auch ohne Anzeige der Betroffenen zu ermitteln. Und der Justizminister kann als ihr Vorgesetzter solche Ermittlungen per Anweisung veranlassen - vorausgesetzt es besteht hier das Interesse, solchen gravierenden Vorwürfen nachzugehen.
Erstarkende autoritäre Tendenzen drohen, die Möglichkeiten politischen Handelns zu beschränken und stellen für immer mehr Menschen eine unmittelbare Bedrohung ihrer Freiheit und körperlichen Unversehrtheit dar. Die Vorfälle in Cottbus sind ein krasses Beispiel, aber kein Einzelfall. Weder beim Justizminister noch beim Rechtsausschuss in seiner Gesamtheit war der Wille erkennbar, solchen Verhältnissen einen Riegel vorzuschieben. Es bleibt Aufgabe der Zivilgesellschaft, für einen raschen Kohleausstieg und gegen ein zunehmend repressives gesellschaftliches Klima einzutreten.