Nach der Räumung der Waldbesetzung gegen Kiesabbau in Langen
Ein Erlebnisbericht
Fahl leuchtet die Nachmittagssonne und spiegelt sich in den Scheiben eines Polizeifahrzeugs, das mitten auf der Waldkreuzung parkt. Hinter den Scheiben kann ich eine Bewegung ausmachen, doch das Gesicht wendet sich wieder ab. Der Job der PolizistInnen, die hier Wachdienst schieben, ist die Überwachung und Kontrolle der Leute, die - wie ich gerade - im Langener Stadtwald im Rhein-Main-Gebiet unterwegs sind. Von der Kreuzung aus haben sie den Sicherheitszaun, der sich um die ehemalige Besetzung zieht, fest im Blick. Offenbar bin ich für sie nicht interessant. Vielleicht liegt es an meiner neongelben Mütze. So etwas würde niemand anziehen, der sich am Sehring-Zaun zu schaffen macht oder ihn gar überwinden möchte, um in das abgesperrte Waldstück zu gelangen.
Noch stehen die knapp sieben Hektar Wald, aber schon in den nächsten Tagen werden hier die von der Kiesfirma Sehring beauftragten Holzerntemaschinen anrücken, um ihm den Garaus zu machen. „Waldumwandlung“ heißt der Vorgang in der Behördensprache, wenn aus einem öffentlich zugänglichen Mischwald gemäß eines Betriebsplans eine privat genutzte Kiesabbaufläche wird. Hinter dem Absperrzaun sehe ich das Gelände, auf dem sich die vor einer Woche geräumte Waldbesetzung „Banny bleibt“ befand. Außer ein paar Schäden an den Baumrinden, die beim Schleifen der Baumhäuser entstanden sind, ist nichts Sichtbares vom Camp geblieben.
Der vor mir befindliche Zaun hatte bereits einen Vorgänger. Schon Mitte Oktober kamen als „Zaunkönige“ Arbeiter der Firma Sehring und umzäunten Camp und Waldstück. Bereits in der nächsten Nacht war der unbewachte Zaun platt und die zu seiner Stabilisierung dienenden Dreieckssegmente waren zu kunstvollen Pyramiden aufgestapelt.
Nicht unbedingt mein Fall, aber in einer vielbeachteten Ausstellung über Widerstandsarchitektur kommentierte das Frankfurter Deutsche Architekturmuseum: „Proteste müssen stören, sonst wären sie wirkungslos".
Von der Ordnungsbehörde der Stadt Langen wurde nun vor dem Betreten des Waldes und vor den Waldbesetzis gewarnt: Alle(s) viel zu gefährlich! Später kamen Arbeiter und sammelten den Zaunschrott wieder ein. Die Leute im Camp feierten das wie einen kleinen Sieg, aber es war klar, dass dies nur den Weg zur Räumung ebnen sollte. Die fand dann am Mittwoch, den 12. November, statt. Immerhin acht Leute widerstanden in den Bäumen allen Einschüchterungsversuchen der Stadt Langen, die angekündigt hat, den ihr entstandenen Aufwand den Besetzis in Rechnung stellen zu wollen. Hier wird noch viel Solidarität gefragt sein. Auch die Firma Sehring ist schon damit aufgefallen, in rechtlichen Auseinandersetzungen teilweise absurd hohe Forderungen und Streitwerte aufzurufen.
Fast anderthalb Jahre hat die unabhängige Banny-Besetzung bestanden, mit Höhen und Tiefen. Aber sie hatte klare Grundsätze zum achtungsvollen Umgang untereinander und ist nicht - wie manche Kritiker hofften - zusammengebrochen. Ohne eine regionale Anbindung kann eine Besetzung schwer existieren und Relevanz entfalten. Eine Besetzi: „Es gab tolle Unterstützung, aber wir hatten auf mehr Support aus der Umgebung gehofft. Dabei haben viele gesagt, dass sie eigentlich gegen die Rodung sind. Was mich am meisten aufgeregt hat, war nicht Ablehnung, sondern die totale Gleichgültigkeit vieler Leute. Es ist doch auch deren Wald."
Tatsächlich scheinen im Umland viele einst aktive „Bürgis“ das Vertrauen in die Sinnhaftigkeit persönlichen Engagements verloren zu haben. Dem entspricht der Eindruck, dass die Bereitschaft zu gemeinnützigem, gesellschaftlichem Engagement schleichend abnimmt. Langen entwickelt sich zu einer Schlafstadt.
In dem Polizeiauto hinter mir nehme ich aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung wahr. Wenn ich weiter den Zaun anstarre, wird sich die Besatzung genötigt fühlen, das warme Auto zu verlassen um - wieder einmal - eine Identitätsfeststellung durchzuführen. Gelbe Mütze hin oder her. Ich schwinge mich auf’s Rad und fahre weiter.