Mehr Wachstum heißt mehr Krise

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Wie andere Ölfirmen macht auch Shell spektakuläre Profite. Der Gewinn verdoppelte sich gegenüber dem Vorjahr auf fast 40 Milliarden US-Dollar. Auch die Autoindustrie oder die Flugbranche wachsen – und das trotz Inflation und angeblich ambitionierter Klima-Versprechen.

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Die Inflation stagniert aktuell auf einem hohen Niveau. Viele Beschäftigte im öffentlichen Dienst kämpfen nun dafür, dass ihre Löhne mindestens der Inflation angepasst werden.

Vergangenes Jahr gab es viele Warnungen aus allen politischen Lagern. Sollte die Bundesregierung nicht entschieden gegenlenken, drohe aufgrund der Abhängigkeit von russischem Gas ein kompletter Zusammenbruch der Energieversorgung, bis hin zum „Blackout". Und aufgrund explodierender Preise für Energie, Mobilität aber auch für Lebensmittel wurde befürchtet, dass die deutsche Wirtschaft in eine schwere Rezession rutscht. Nun zeigt sich: Die Energieversorgung ist über den Winter nicht zusammengebrochen. Vertreter*innen der Ampel-Regierung verkaufen relativ volle Gasspeicher, ihre sogenannten "Entlastungspakete" und ein leichtes Wirtschaftswachstum nun sogar als Erfolg, doch die Realität sieht ganz anders aus. Denn trotz der kurzfristig wirkenden „Entlastungspakete“ haben viele Menschen diesen Winter kaum genug Geld fürs Heizen und für Lebensmittel und die Schere zwischen Arm und Reich klafft noch weiter auseinander. Gleichzeitig sträubt sich die Ampelregierung - zugunsten des vielbeschworenen Wirtschaftswachstums - gegen politische Maßnahmen, die für Umverteilung und mehr soziale Gerechtigkeit sorgen könnten.

Was wir aktuell beobachten, ist eine erneute Vorführung davon, wie sehr die Stabilität des aktuellen Wirtschafts- und Finanzsystems von einem Wachstum des Brutto-Inlandsprodukts abhängig ist. Und das ist katastrophal, denn die Wirtschaft darf nicht weiter wachsen angesichts des viel größeren und umfassenderen Problems, auf das die Wachstum-Befürworter*innen keine passende Antwort haben: die Klimakrise. Weil das Wirtschaftswachstum stark damit zusammenhängt, wie viel klimaschädliche Treibhausgase emittiert werden, machen wir uns als Umweltschutzorganisation für Degrowth und Postwachstums-Perspektiven stark. Wir sind damit Teil einer Bewegung, die fordert, dass wir uns als Gesellschaft nicht länger an Wirtschaftswachstum und Profitlogik orientieren. Ob Arbeitszeitverkürzung, die Verringerung von Produktion und Konsum, regionale Wirtschaftskreisläufe oder ein Recht auf Reparatur - die zahllosen Degrowth-Ideen variieren stark, aber ihre Gemeinsamkeit liegt in dem Anspruch, den Weg zu einer gerechteren und ökologischeren Gesellschaft innerhalb planetarer Grenzen zu ebnen.

Das beste Beispiel für die Schattenseiten der Wachstumspolitik der Ampel ist die Energiepolitik der letzten Monate. Die Regierung hat Milliarden Euro in fossile Gasinfrastruktur, insbesondere in fünf neue schwimmende Flüssiggas-Terminals investiert. Begründet wurden diese fossile Investitionen zum Teil mit Berechnungen, die sich nun als fehlerhaft herausstellen. Im August 2022 wurde angenommen, dass selbst im besten Szenario die Gasspeicher Anfang Februar 2023 nur zu 30% gefüllt sein würden - nun liegt die Füllmenge bei ca. 78% (Stand 1. Februar 2023). Die Krisensituation wurde also ausgenutzt, um einen Gas Lock-In zu bewirken: Die hohen Investitionen in neue fossile Infrastrukturen legen den Kurs für die nächsten Jahre fest und erschweren den Ausstieg aus den fossilen Energien.

Die Strategie, die die Ampel-Regierung verfolgt, wird oft als „grünes Wachstum“ bezeichnet. Doch ob das Label „grün“ gerechtfertigt ist, ist angesichts des LNG-Desasters mehr als fraglich. Das Argument, dass wir die neue LNG-Infrastruktur jetzt für Gas und in naher Zukunft für Wasserstoff brauchen, um die Energieversorgung aller Menschen in Deutschland zu sichern, ist scheinheilig. Denn sowohl fossiles Erdgas als auch Wasserstoff sollen vor allem in besonders klimazerstörerischen Industrien mit sehr hohem Energiebedarf eingesetzt werden. Dazu zählen bspw. die Düngemittelproduktion und der Flugverkehr - zwei Sektoren, die ohnehin schrumpfen müssen, wenn wir nicht mit Vollgas in die Klimakrise rasen wollen.

Was wir also stattdessen brauchen, ist ein geordnetes und gerechtes Runterfahren von besonders schädlichen Industrien. Das hilft nicht nur, unseren Klimaschutzziele näher zu kommen, sondern würde auch einen wichtigen Beitrag zu mehr langfristiger Energiesicherheit leisten. Tatsächlich hat eine Umfrage im Auftrag von „Report Mainz“ ergeben, dass mittlerweile 46% der Befragten der Aussage zustimmen: „Wir müssen auf Wirtschaftswachstum verzichten, um den Klimawandel zu stoppen.“ Unsere Aufgabe ist es jetzt, noch mehr Leute von Degrowth-Ideen zu überzeugen und zu erklären, dass es dabei nicht nur um Verzicht geht, sondern wir viel gewinnen können: eine solidarische Bewältigung der aktuellen Krisen und einen lebenswerten Planeten.