Lebendige Zivilgesellschaft oder vordemokratische Friedhofsruhe?
Gemeinnützige Vereine brauchen Rechtssicherheit für politische Willensbildung
Ein Schlagwort macht die Runde: „shrinking spaces“ – schrumpfende Freiräume. Dass dies nicht nur in autoritär geführten Staaten zu beobachten ist, sondern auch in Deutschland Freiräume der Zivilgesellschaft beschnitten werden, treibt zurzeit viele um.
Eine starke Zivilgesellschaft lebt davon, dass sich Menschen – auch außerhalb von Parteien – politisch einmischen. Das bestehende Recht zieht aber Grenzen für gemeinnützige Vereine, die sich selbstlos für das Allgemeinwohl engagieren und daher steuerrechtliche Vorteile besitzen.
Kürzlich wurde deutlich, wie eng der Bundesfinanzhof diese Grenzen interpretiert. Das oberste Finanzgericht beschäftigte sich mit der Frage, ob der Trägerverein des globalisierungskritischen Netzwerks Attac gemeinnützig ist und urteilte:
„Die Verfolgung politischer Zwecke ist im Steuerrecht nicht gemeinnützig. Gemeinnützige Körperschaften haben kein allgemeinpolitisches Mandat.“
Das Urteil löste Verunsicherung in der NGO-Szene aus. Es wird dazu führen, dass Attac wohl endgültig die Gemeinnützigkeit verliert, wenn das Urteil nach dem noch ausstehenden Spruch des Hessischen Finanzgerichts rechtskräftig wird. Attac will sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Bundesfinanzhofs wehren – auch weil sie befürchten, dass es in der Folge zu einem Dominoeffekt kommen könnte, der die Zivilgesellschaft insgesamt schwächt.
Der erste Stein in diesem Domino ist bereits umgefallen. Die Organisation Campact erklärte Anfang dieser Woche, aufgrund des Urteils des Bundesfinanzhofes gehe sie davon aus, ebenfalls die Gemeinnützigkeit zu verlieren und werde daher ab sofort keine Spendenbescheinigungen mehr ausstellen.
Jetzt sind viele wachgerüttelt – und das könnte auch eine Chance sein, sich gemeinsam stark zu machen für eine Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts. Zu diesem Zweck hat sich die „Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ gegründet, in der auch ROBIN WOOD aktiv ist. Diese Woche trafen sich Vertreter*innen von rund 40 Vereinen und Stiftungen in Berlin. Sie beratschlagten, wie sie gemeinsam der Zivilgesellschaft den Rücken stärken und darauf hinwirken können, dass selbstloses politisches Engagement weiterhin als gemeinnützig anerkannt wird. Aus dem Treffen entstanden ist u.a. eine gemeinsame Petition an die Bundestagsabgeordneten. Bitte mitunterzeichnen!
Es gilt, sich jetzt nicht einschüchtern zu lassen und zusammen für eine Demokratie einzustehen, in der sich die Teilhabe von Bürger*innen nicht im Kreuzchenmachen alle paar Jahre erschöpft.