Kautschukproduktion wichtiger als Umweltschutz?

Am Mittwoch will die EU-Kommission ihren Gesetzentwurf zu „entwaldungsfreien Lieferketten“ vorlegen. Dabei geht es darum, dass die Europäische Union Verantwortung übernimmt für ihren Anteil an weltweiten Waldverlusten. Denn wenn die EU Rohstoffe und daraus verarbeitete Produkte importiert, die von entwaldeten Flächen stammen, dann importiert sie auch Entwaldung.

Die Verordnung soll beispielsweise für Palmöl, Fleisch und Soja gelten – ursprünglich stand auch Kautschuk auf der Liste der Entwaldungstreiber. Ein Leak des Gesetzentwurfs, der uns vorliegt, legt jedoch offen, dass Kautschuk von der Liste gestrichen wurde, obwohl ein eindeutiger Zusammenhang zu Entwaldung besteht. 

Es geht der EU scheinbar nicht nur um das Ende importierter Entwaldung, sondern auch um finanzielle Aspekte. Laut einer Kosten-Nutzen-Analyse, die von der EU erstellt wurde, wäre es unverhältnismäßig „teuer“, Entwaldung für bestimmte Rohstoffe wie z. B. Kautschuk zu stoppen. Dabei hat sich die Produktion von Kautschuk in den letzten 20 Jahren verdoppelt und Prognosen zufolge soll die Nachfrage bis 2030 um weitere 33 Prozent steigen.

Der Ansatz einer Kosten-Nutzen-Analyse im Angesicht von anhaltenden Waldverlusten und drastischem Artensterben ist extrem fragwürdig: Die Analyse setzt jeweilige finanzielle Importwerte (Kosten) ins Verhältnis zu potentiell vermiedener Entwaldung (Nutzen). Die gesellschaftlichen und ökologischen Kosten von voranschreitender Entwaldung sind jedoch sehr viel höher als der bloße finanzielle Gegenwert auf dem europäischen Markt!

Darüber hinaus ist die Kosten-Nutzen-Analyse laut eines Kurzbeitrags des Forschungsnetzwerks Focali fehlerhaft:

  • Der finanzielle Importwert von Naturkautschuk UND einer breiten Palette von verarbeiteten Kautschukprodukten (aufbereitetes und synthetisches Kautschuk, Reifen, Bekleidung, pharmazeutische Artikel) wurde allein dem Entwaldungsrisiko für Naturkautschuk gegenübergestellt. Das Entwaldungsrisiko bzw. die potentiell vermiedene Entwaldung für verarbeitete Kautschukprodukte , die in die EU eingeführt werden, wurde nicht berücksichtigt. So steht jedem geschützten Hektar Wald ein vermeintlich hoher finanzieller Verlust gegenüber.
  • Das Entwaldungsrisiko der Rohstoffe, die in der Kosten-Nutzen-Analyse berücksichtigt wurden (neben Kautschuk auch Palmöl, Soja, Fleisch, Kaffee, Kakao und Mais), basiert auf Daten, die über den Zeitraum 2008-2017 gemittelt wurden. Die Werte der Importe stammen jedoch aus dem Zeitraum 2015-2019. Das sei kein „fairer Vergleich“, weil es zeitliche Trends bei Entwaldungsraten gibt, die den verschiedenen Rohstoffen zugeschrieben werden, weil die Regionen variieren, aus denen die EU ihre Importe bezieht und weil das Importvolumen nicht konstant ist.

Wenn diese Unstimmigkeiten korrigiert würden, dann ergäbe sich ein anderes Bild, so die Forscher*innen: Es gibt keinen so deutlichen Unterschied mehr zwischen den verschiedenen Rohstoffen. Insgesamt kommen sie in ihrem Beitrag zu dem Schluss, dass die Entscheidung der Europäischen Kommission, Kautschuk von der Verordnung auszunehmen, auf fehlerhaften Zahlen beruhe und derzeitige Erkenntnisse eine solche Empfehlung nicht unterstützen würden.

ROBIN WOOD leitet daraus die Forderung ab, dass Kautschuk in den Gesetzentwurf für „entwaldungsfreie Lieferketten“ aufgenommen werden muss!