Highway in die Klimahölle: Wenig Hoffnung für die COP27?

Seit über einer Woche tagen 200 internationale Delegationen mit insgesamt bis zu 40.000 Teilnehmenden im ägyptischen Sharm El-Sheikh bei der Weltklimakonferenz COP27. Die Austragung der Klimakonferenz an diesem Ort ruft aufgrund der brutalen Militärdiktatur bei vielen Menschenrechtsgruppen massive Kritik hervor und auch viele Menschen in der Klimabewegung setzen gar keine Hoffnung mehr in dieses Format – zu Recht? Bleibt nur noch der Boykott oder bietet die internationale Bühne nicht doch eine Ausfahrt aus dem „Highway in die Klimahölle“ wie es UN-Generalsekretär António Guterres bei der Eröffnung betitelte?

Neben Regierungsvertreter*innen und Aktivist*innen sind auch hunderte Lobbyist*innen für Öl, Gas und Kohle – rund ein Viertel mehr als letztes Jahr. Besonders brisant ist allerdings die menschenrechtliche Situation im Gastgeberland Ägypten. Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind massiv eingeschränkt, Proteste bei der COP konnten letztes Wochenende nur unter großen Einschränkungen und mit wenigen Teilnehmende stattfinden. Seit Militärdiktator Abdel Fattah El Sisi 2013 durch einen Putsch an die Macht gekommen ist, sitzen mehr als 60.000 politische Gefangene in ägyptischen Gefängnissen. Doch auch wenn Kanzler Scholz letzte Woche bei seinem Besuch in Sharm El-Sheikh die Freilassung des inhaftierten ägyptischen Demokratieaktivisten Alaa Abdel Fattah forderte, täuscht das nicht darüber hinweg, dass die Bundesregierung seit Jahren ein enges Verhältnis zu El Sisi pflegt, zum Beispiel durch eine so genannte Sicherheitskooperation, welche auf die Abschottung gegen afrikanische Geflüchtete abzielt, sowie durch Wirtschaftskooperationen. Noch 2021 exportierte Deutschland Rüstungsgüter im Wert von vier Milliarden Euro an Ägypten. Die Doppelmoral solcher Reden ist daher augenfällig.

Doch nicht nur die menschenrechtliche Lage ist besorgniserregend. Bereits vor Beginn der Konferenz zeichneten mehrere UN-Berichte ein düsteres Bild: selbst wenn man alle aktuellen nationalen Klimaschutz-Ziele und Selbstverpflichtungen, die bei der COP27 vorliegen, zusammenzählt, steuern wir mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf eine 2,4 bis 2,5 Grad heißere Welt zu. Das vor 7 Jahren in Paris vereinbarte 1,5 Grad-Limit scheint damit außerhalb realistischer Reichweite gerückt zu sein. Wenn man bedenkt, dass bereits bei einer durchschnittlichen Klimaerhitzung um 1,5 Grad mit immensen Klimafolgen zu rechnen ist und Extremwetterereignisse bereits in den letzten Jahren weltweit drastisch zugenommen haben, lässt sich kaum ausmalen, wie das Leben auf einem 2,5 Grad heißeren Planeten aussehen soll.

Vor diesem Hintergrund braucht es mehr internationale Klimaschutz-Anstrengungen denn je. Doch die Verhandlungen in Ägypten geben in dieser Hinsicht nicht allzu viel Hoffnung. Denn es gibt einerseits eine Ambitionslücke – die nationalen Klimaschutz-Ziele müssen deutlich angehoben werden, um die Klimaerhitzung zumindest auf 2 Grad zu begrenzen. Andererseits wird die Umsetzungslücke immer deutlicher: alle Ziele und Zusagen nutzen nichts, wenn sie nicht auch mit Maßnahmen untermauert werden – und davon gibt es deutlich zu wenige. In einer durch Pandemie, Krieg und Energiekrise gebeutelten Welt scheinen diese Maßnahmen nun auch noch in der Wichtigkeit deutlich nach unten gerutscht zu sein. Stattdessen macht ein neuer Hunger nach Gas und neuen fossilen Investitionen bisherige Errungenschaften wie die erst letztes Jahr bei der COP26 in Glasgow beschlossene Erklärung zur Beendigung der Finanzierung von fossilen Brennstoffen sogar zunichte. Insbesondere die deutsche Bundesregierung bekleckert sich hierbei nicht mit Ruhm, indem sie zuletzt einige neue Gaslieferverträge mit autokratischen Staaten und bilaterale Abkommen z.B. zur Erschließung neuer Gasfelder im Senegal abgeschlossen hat.

Ein kleiner Lichtblick sind dagegen die Verhandlungen über internationale Klimafinanzierung. Zum ersten Mal in der 27-jährigen Geschichte der Weltklimakonferenzen steht die Finanzierung so genannter „klimawandelbedingter Schäden und Verluste“ (Loss and Damage) auf der Tagesordnung – ein später Verhandlungserfolg der Länder des Globalen Südens. Manche von ihnen fordern schon seit Jahrzehnten Klima-Reparationszahlungen. Zu ihnen gehören die pazifischen Inselstaaten, deren Existenz vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht ist. Die Klimakrise hat vor allem im Globalen Süden schon jetzt so drastische und irreversible Auswirkungen, dass eine Anpassung daran nicht mehr möglich ist. Durch Extremwettereignisse wie Dürren oder Fluten werden Häuser, Ernten und ganze Landstriche zerstört. Aber auch schleichende Klimawandelfolgen wie der Meeresspiegelanstieg führen dazu, dass Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren – oder im Extremfall ganze Inseln verschwinden. Diese Klimawandelfolgen betreffen die Länder am meisten, die historisch und aktuell am wenigsten zur Klimakrise beitragen. Nach dem Prinzip „Verursacher zahlt“ fordern sie daher zurecht, dass die Länder, die am meisten zum Klimawandel beigetragen haben, finanziell für diese Schäden und Verluste aufkommen müssen. Bisher gab es noch keine angemessene Antwort auf die Frage der Entschädigung und der internationalen Finanzierung.

Vor wenigen Tagen hat Entwicklungsministerin Svenja Schulze auf der COP27 daher mit einhelliger Unterstützung der G7-Staaten den „Globalen Schutzschirm gegen Klimarisiken“ auf den Weg gebracht. Der Schutzschirm wurde zusammen mit den sogenannten V20-Staaten („Vulnerable 20“) erarbeitet – also mit den durch Klimawandel verletzlichsten, armen Staaten – und soll Ländern des Globalen Südens mehr und schnellere finanzielle Hilfe bei klimawandelbedingten Schäden zusichern. Dass damit das „Verursacher zahlt“-Prinzip anerkannt wird ist gut, doch der globale Schutzschirm ist zunächst nur eine freiwillige Initiative – keine global verbindliche Finanzierungslösung und auch kein Eingeständnis der historischen und gegenwärtigen Verantwortung der reichen Länder des Globalen Nordens. Das zeigt auch allein die Summe, die Deutschland in den freiwilligen Schutzschirm zahlt: 170 Millionen Euro sind für das Ausmaß der globalen Schäden und Verluste eine verschwindend geringe Summe. Zum Vergleich: für die Soforthilfe nach der Flutkatastrophe 2021 im Ahrtal hatte die Bundesregierung 30 Milliarden Euro bereitgestellt. Für klimawandelbedingte Schäden und Verluste muss daher ein verbindlicher internationaler Finanzmechanismus innerhalb des UN-Rahmens geschaffen werden. Aktuell sieht es nicht danach aus, als würde ein solcher auf der diesjährigen COP verabschiedet werden.

Die Verhandlungen in Sharm El-Sheikh gehen noch bis Ende der Woche, und zwar zum ersten Mal ohne dass eine große kritische Zivilöffentlichkeit des Gastgeberlandes die Verhandlungen vor Ort begleiten kann. Hoffnung auf einen großen Durchbruch gibt es leider nicht. Daher kam in den letzten Monaten immer häufiger der Ruf, die Klimaverhandlungen zu boykottieren, um Scheinlösungen, falsche Klimaversprechen und Menschenrechtsverletzungen nicht zu legitimieren. Einerseits kann ein solcher Boykott die Aufmerksamkeit auf das Scheitern der Verhandlungen oder die Kritik an mächtigen fossilen Lobby-Interessen lenken. Andererseits könnte ein gänzlicher Boykott der Klimaverhandlungen auch negative Auswirkungen haben, insbesondere für Delegationen aus den V20-Staaten, die kaum andere Möglichkeiten haben, ihre Forderungen sowohl den reichen G20-Staaten als auch einer breiten Weltöffentlichkeit zu präsentieren. Damit die Klimakonferenzen aber nicht zu reinen Greenwashing-Festivals verkommen, muss dem Unterwandern durch fossile Lobbygruppen und Sponsoring-Verträgen mit Großkonzernen endlich ein Riegel vorgeschoben werden. Hier sind mächtige nationale Delegationen, aber auch zivilgesellschaftliche Organisationen und NGOs, die jedes Jahr zu den Verhandlungen reisen, in der Pflicht, eine grundlegende Veränderung einzufordern.

Umso wichtiger bleibt es gleichzeitig für die deutsche Zivilgesellschaft, den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen, damit diese ihrer historischen und gegenwärtigen Verantwortung für die Verursachung der Klimakrise wirklich nachkommt und sich für einen international verbindlichen Finanzierungsmechanismus in ausreichender Höhe einsetzt. Ebenso wichtig bleibt es, die Aufmerksamkeit auf die internationalen Verhandlungen dafür zu nutzen, die riesigen Umsetzungslücken beim Klimaschutz hierzulande anzuprangern. Denn obwohl sich Deutschland auf internationalem Parkett immer wieder gern als Klimaschutz-Vorreiter präsentiert, soll zeitgleich das Dorf Lützerath für die Förderung von 280 Millionen Tonnen Braunkohle abgebaggert werden. Das ist sechsmal mehr als zulässig wäre, um die 1,5-Grad-Grenze des Pariser Klimaabkommens einzuhalten. Und auch für die Umsetzung des deutschen Klimaschutzgesetzes muss weiterhin Druck gemacht werden, denn das Verkehrsministerium weigert sich nach wie vor, wirksame Sofortmaßnahmen vorzulegen. Last but not least sollte die aktuelle mediale und zivilgesellschaftliche Aufmerksamkeit für die Repression gegenüber ägyptischen Menschenrechts- und Klimagerechtigkeits-Aktivist*innen nicht mit dem Ende der COP27 versanden – hier muss die kritische Öffentlichkeit auch über die COP hinaus hinschauen und die Bundesregierung auffordern, ihre schmutzigen Deals mit El Sisi sofort zu beenden!