Grünes Licht für eine historische Volksabstimmung
Erdölförderung im Yasuní-Nationalpark
Quito, Ecuador. Nach zehn Jahren des Wartens und politischen Engagements hat das Verfassungsgericht von Ecuador am 9. Mai 2023 die Volksabstimmung zur Erdölförderung in Yasuní-Nationalpark genehmigt. Seit 2013 hatte das zivilgesellschaftliche Umweltkollektiv YASunidos den Volksentscheid gefordert und über 750.000 Stimmen gesammelt, um das Referendum einzuleiten. Seit die Entscheidung gefallen ist, bleiben 75 Tage, um die Abstimmung auszurichten. Die Ecuadorianer*innen haben nun die Möglichkeit, verbindlich gegen die Ölförderung im Yasuní-Regenwald zu votieren.
Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ist ein historisches Ereignis in Ecuador, da es sich um die erste von Bürgerinitiativen angestoßene landesweite Volksabstimmung handelt. Was den Schutz der Menschenrechte und die Rechte der Natur angeht, ist es sogar ein weltweiter Präzedenzfall, der belegt, dass eine Basisorganisation mit langem Atem Rechte verteidigen und zerstörerische Großprojekte wie Rohstoffabbau im Regenwald stoppen kann.
Zehn Jahre Protest gegen Erdölaktivitäten
Vor fünfzig Jahren begann Ecuador mit der Ölförderung im Amazonasgebiet, Heimat einer Vielzahl indigener Völker und einer unvergleichbaren Artenvielfalt. Seitdem hat das Ölgeschäft im hochsensiblen Ökosystem Regenwald transnationalen Unternehmen wie z.B. Texaco milliardenschwere Gewinne eingebracht. Gleichzeitig wurden die Kosten und Umweltbelastungen auf die lokale Bevölkerung abgewälzt; somit erwiesen sich die Versprechungen von Entwicklung und Überwindung der Armut durch die Ölrendite allenthalben als Mythos. So haben Armut und Ungleichheit in der Bevölkerung in den Ölfördergebieten der nördlichen Provinz Sucumbios sogar zugenommen.
2007 stimmte die damalige Regierung von Präsident Rafael Correa als Reaktion hierauf zunächst zu, die von zivilgesellschaftlichen Gruppen ins Leben gerufene Yasuní-ITT-Initiative zu unterstützen. Die Idee ging um die Welt: Das Erdöl im Amazonasregenwald des Yasuní, unter dem Förderblock 43, auch „ITT“ (Ishpingo, Tibutini, Tambococha) genannt, bleibt für immer im Boden, wenn die internationale Staatengemeinschaft Ecuador hierfür Ausgleichszahlungen für die entgangenen Staatseinnahmen aus dem Verkauf des Rohöls leistet. Die Initiative rückte die Kritik an unserem fossilen Entwicklungsmodell und die in der Verfassung Ecuadors garantierten Rechte der Natur in den Mittelpunkt der Debatte. Im August 2013 ordnete Correa jedoch die Beendigung der Initiative an und begann mit der Förderung im ITT-Block im Yasuní-Nationalpark.
Als Reaktion initiierten die indigenen Dachorganisationen Ecuadors sowie internationale Umweltorganisationen, darunter auch das damalige deutsche Bündnis für den Yasuní, eine Reihe von Protestaktionen und juristischen Beschwerden und forderten ein Referendum. Ziel war nicht nur, die Petroindustrie und die ecuadorianische Regierung zu einem Stopp der Erdölaktivitäten zu bewegen. Genauso ging es um die Forderung nach Gerechtigkeit: Waldgebiete, Flüsse und Felder waren durch Ölunfälle und Leckagen verschmutzt worden. Die betroffenen indigenen Gemeinschaften sollten angemessene Unterstützung erhalten, z.B. in Form von Regenerationsmaßnahmen und Enschädigungen.
Mit betrügerischen Machenschaften gegen die Volksabstimmung
Aus den Reihen der Engagierten gründete sich eine Gruppe junger Menschen, die YASunidos – ein Wortspiel aus Yasuní und „unidos“ („vereint“). Sie konzentrierten sich auf eine Unterschriftenkampagne, bei der die ecuadorianische Bevölkerung gefragt wird, ob sie damit einverstanden ist, das Erdöl im Block ITT permanent im Boden zu belassen. Dieser Mechanismus der direkten Demokratie und des Rechts auf Beteiligung ist Teil der Verfassung Ecuadors von 2008. Durch die 757.000 Unterschriften drückten die Ecuadorianer*innen ihren klaren Willen für diese erste landesweite und direkt-demokratische Initiative aus.
Trotz aller Einwände annullierte jedoch der politisch motivierte Nationale Wahlrat (CNE) willkürlich mehr als 60 Prozent der gesammelten Unterschriften. Daraufhin führte das Kollektiv YASunidos fast zehn Jahre lang einen juristischen Kampf gegen den ecuadorianischen Staat, um den Betrug aufzudecken. Juristische Klagen, Berufungen, einstweilige Verfügungen, Schutzmaßnahmen und Auskunftsersuchen waren Bestandteil dieses Engagements, dazu kam eine beeindruckende internationale Solidarität und Unterstützung, auch von der deutschen Zivilgesellschaft. Nach dem Sieg in verschiedenen Rechtsinstanzen und der offiziellen Anerkennung, dass der ecuadorianische Staat mit der Annullierung der Stimmen das Recht auf Partizipation von Tausenden von Bürger*innen verletzt hat, gab das ecuadorianische Verfassungsgericht am 10. Mai 2023 grünes Licht für die Volksbefragung zum Yasuní.
Lässt die politische Krise Raum für Umweltthemen?
Dass die Menschen in Ecuador über den Stopp der Erdölförderung im Yasuní abstimmen können, ist ein großer Sieg für die Rechte der Natur; das Urteil ist außerdem richtungsweisend für die indigenen Bevölkerungsgruppen, die in freiwilliger Isolation, ohne Kontakt zur „westlichen Welt“, im Yasuní leben. Eine Entscheidung für den Stopp des Vordringens der Ölgrenze im Yasuní könnte auch eine schrittweise und geordnete Schließung aller Ölfelder in Ecuadors Amazonasgebiet bedeuten. Die YASunidos bezeichnen dies als Meilenstein einer ökologischen Wende und historisches Ereignis für Ecuador und die Welt, weil es die erste direktdemokratische Initiative auf nationaler Ebene mit Rechtsverbindlichkeit darstellt, die vom Verfassungsgericht genehmigt wurde.
Am 20. August 2023 findet der landesweite Volksentscheid zum Yasuní statt, gemeinsam mit den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Ecuador.
Inmitten der Debatten um die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens zur Eindämmung der Erderwärmung leistet die Initiative einen konkreten Beitrag zur Stärkung basisdemokratischer Beteiligung für ein Umsteuern in der ökologischen Krise und hinterfragt das kapitalistische Modell von Wachstum und Entwicklung.
Christian Cray ist ROBIN WOOD Mitglied und lebte bis vor Kurzem in Ecuador. Er arbeitet zurzeit für ein Programm für das Amazonasgebiet bei Caritas International. Josephine Koch ist Referentin für Rohstoff- und Ressourcenpolitik beim Forum Umwelt & Entwicklung.