Es geht um mehr als einen Hügel

Barrikade im Schnee.jpg

Foto ▸ Nora Rupp

Bankenprozesse.jpg

Foto ▸ Nora Rupp

Morgensonne.jpg

Foto ▸ Nora Rupp

Schneetreiben.jpg

Foto ▸ Nora Rupp

maison(1).jpg

Foto: Nora Rupp Foto ▸ Nora Rupp

lage-zad-colline.png

Foto ▸ Openstreetmap.org

Nicht weit von Lausanne hat sich die “Zad de la Colline“, die erste Waldbesetzung der Schweiz  gegründet, die sich gegen die Zerstörung eines Hügel durch das Schweizer Baustoffproduzenten, „LafargeHolcim“ für die Produktion von Zement wehrt.

Gestern wurde ein zweite Einspruch für den Erhalt des Hügels und gegen die Erweiterung des Steinbruchs vom Bundesgericht abgewiesen. Innerhalb der nächsten 20 Tage sollen nun die Aktivist*innen den Hügel verlassen. Andernfalls werde geräumt.

Zad = franz. Abkürzung von “Zone à défendre » (zu verteidigende Zone), wird umgangssprachlich als Bezeichung für eine Besetzung genutzt. Das Unternehmen emittiert mehr als vier mal so viel CO2 wie die gesamte Schweiz und ist damit einer der Haupttreiber des Klimawandels. Es geht also, um einen ganzen Hügel, um Orchideen und um mehr als das. Ist es doch ein Ort, dessen Existenz, für globale Erwärmung steht, für ein System was es ermöglicht das Konzerne nicht nur dort sondern auch weltweit, zerstörerisch gegen unsere und ihre Lebensgrundlage vor geht.

Wenige Tage bevor der Termin der Räumung fest stand, haben wir mit zwei Aktivist*innen der ZAD ein Interview geführt.

 

Schon seit gut 25 Jahre wird auf dem Mormont-Hügel  vom Schweizer Unternehmen, LafargeHolcim“ in einem Bergwerk Zement gewonnen. Warum ist das so problematisch das ihr dort nun in Aktion getreten seid?

Bisher hatte das Zementunternehmen einen klar definierten Abbauperimeter. Seit den 1990er Jahren war das Birette-Plateau, von dem heute ein Teil von den Zadist*innen bewohnt wird, geschützt und ist immer noch im Bundeslandschaftsinventar enthalten. Hier befindet sich auch eine wichtige archäologische Stätte, an der sich Kelten aus ganz Europa versammelten, um Rituale und Opferungen durchzuführen.  Der Steinbruch, der bereits einen guten Teil des Hügels abgetragen hat, soll jedoch auf eine Fläche von 200x600m vergrößert werden, was nicht mehr als 7 Jahre Ausbeutung bedeuten würde, um am Ende dieser 7 Jahre weiter vergrößert zu werden, bis er den ganzen Hügel verschlingt.

Die gegen die Erweiterung der Mine agierenden NGOs (Verein zum Schutz des Mormont-Hügels (ASM), Pro Natura) legten gegen die Erweiterung des Steinbruchs Einspruch ein, der jedoch auf kantonaler Ebene scheiterte. Aber der Kampf ist noch nicht vorbei. Die Berufung auf Bundesebene wurde eingeleitet, aber wenn sie keinen Erfolg hat, riskieren wir, diesen Hügel mit Blick auf Eclépens und den Sarraz für immer zerstört zu sehen. Um sowohl LafargeHolcim als auch das Gericht unter Druck zu setzen, haben wir das Gelände besetzt, um das zerstörerische Projekt des Unternehmens zu stoppen und zu retten, was vom Mormont-Hügel übrig geblieben ist.

Doch wir fordern nicht nur die Unterlassung der Ausbauarbeiten auf dem Hügel: Wir wollen der Öffentlichkeit zeigen, welche Auswirkungen die Betonindustrie und ihre multinationalen Konzerne wie LafargeHolcim auf den Klimawandel, die Wasser- und Bodenverschmutzung und die Missachtung der Menschenrechte in den 80 Ländern hat, in denen das Unternehmen tätig ist. Die Verteidigung dieses Ortes ist auch die Verteidigung eines Systems, das die Lebenden unterdrückt, ohne die Ausbeutung der nicht erneuerbaren Ressourcen und das unbegrenzte Wachstum zu hinterfragen.

Bitte beschreibe und einmal den Hügel/Landschaft gegen deren Zerstörung ihr kämpft.  Wie sieht es dort gerade aus und was ist an diesem Hügel so besonders?

Wir besetzen einen Teil des Birette-Plateaus, das sich unterhalb des Gipfels befindet und den ersten Teil der direkte Erweiterung der geplanten Ausbaufläche des Steinbruches ausmacht .

Der Mormont ist ein Kalksteinhügel, der zum zentralen Juramassiv gehört,  das die Gewässer des Rheins und der Rhone scheidet und zwischen dem Genferseeplateau und den drei Seen (Neuenburg, Biel und Murten) liegt. Der Hügel besteht zum Teil aus dem Birette-Plateau, dessen Land von Holcim an Biobauern verpachtet wird. Auf dieser Hochebene gibt es zahlreiche Kalksteinfelsen, die die Artenvielfalt auf den Trockenwiesen  erhalten. Während seit 1900 etwa 95 % der Trockenwiesen auf helvetischem Gebiet verschwunden sind, sind diese Standorte, zu denen auch der Mormont gehört, heute im sogenannten « Inventar von nationaler Bedeutung » enthalten, das 0,5 % der Landesfläche ausmacht.

Das gesamte Relief ist ausserdem ein wichtiger ökologischer Wildtierkorridor zwischen dem Juragebirge und den Alpen, und viele Tierarten, darunter Wildschweine und Gämsen, sind dort zu finden. Die Trockenwiesen, das Ackerland, die Wallhecken, der große Mischwald am Nordhang und die Weinberge im Süden des Hügels bilden eine Reihe von sehr unterschiedlichen Biotopen, Landschaften und Ausrichtungen, die ein für die Region einzigartiges Mikroklima begünstigen.

Eine der Besonderheiten des Ortes sind die 24 Orchideenarten, die alle national geschützt sind. Sie wachsen auf der großen, von Eichen umgebenen Lichtung, die von den Zadist*innen besetzt ist. Aktuell bekleiden die kleinen roten Fähnchen, mit denen wir eine ganze Reihe von Pflanzen markiert haben, die verschneite Landschaft.

Zwar geben die Orchideen  unserem Kollektiv seinen Namen, aber es ist der Hügel mit all seinem Reichtum an Flora und Fauna, den wir durch unseren Kampf retten wollen.

Von Zeit zu Zeit treffen wir auf Gruppen von Menschen, die auf den Gipfel des Hügels klettern, um Frauenkreise, schamanische oder andere heidnische Rituale durchzuführen. Tatsächlich ist der Mormont seit mehr als 2000 Jahren ein Ort der Anbetung, zu dem sogar keltische Menschen aus ganz Europa pilgern, um druidische Riten durchzuführen. Mehr als 400 Opfergruben (Gegenstände, Tiere) wurden hier 2006 bei archäologischen Grabungen gefunden, was diesen Hügel zu einer der größten keltischen Kulturstätten in Europa macht.

Was fordert ihr von dem involvierten Unternehmen und der Politik?

Wir fordern, dass der Kalksteinabbau der Mine nicht über den aktuellen Abbauperimeter erweitert wird und das Birette-Plateau erhalten bleibt. Aber wir wollen nicht, dass dieser Steinbruch geschlossen wird, um einen anderen auf dem nächsten Hügel zu eröffnen oder um Schutt aus Italien zu importieren. Dies macht für uns keinen Sinn. So soll  diese ZAD auch die ökologische, klimatologischen und sozialen Grenzen der aktuellen Bauwirtschaft und des konkreten Lobbyismus aufzeigen. Wir wollen alternative Konstruktionen fördern und erleichtern (Leichtbauten, Biokonzeption, Materialien aus biologischem Anbau, Wiederverwendung von Materialien) - die aktuellen Normen bringen zu viele Einschränkungen mit sich.  Das geht aber nur, wenn dieBeton-Lobby weniger stark ist und der Staat sie stark einschränkt, ebenso wie die Ingenieursbüros, die Tiefbauunternehmen und die Auftraggebenden, die öffentliche Projekte (Verkehrsinfrastrukturen, Gebäude, Energiewerke, Netze usw.) betreuen. Wir wollen auch unsere Lebensstile hinterfragen, die unsere Lebensräume, die Gebäude, in denen wir leben, und im weiteren Sinne die Metropolen und unsere Stadtraumplanung beeinflussen und beeinflusst werden.

Wie habt ihr euch als Gruppe gefunden und was für Menschen und Gruppen sind bei euch aktiv und unterstützen euch?

Die SBB-Linie Yverdon-Lausanne schlängelt sich direkt vor der riesigen Holcim-Maschinerie vorbei. Anfang letzten Jahres hatte der Klimastreik einen offenen Brief an das Unternehmen geschrieben, in dem er es aufforderte, seine Aktivitäten neu auszurichten. Noch während der Prozess vor dem Bundesgericht über die Genehmigung der Steinbrucherweiterung lief, malten sich zwei Aktivisti die erste ZAD der Schweiz aus. Sie tuckerten jeden Tag an dem Steinbruch vorbei, an dem ein riesiges Schild die nachhaltige Partnerschaft zwischen Holcim und der Region lobt. Diese Besetzung ist also die Frucht einer utopischen Idee, die eine kleine, eher heterogene Gruppe von Aktivisti beschloss, in die Realität umzusetzen - Menschen mit mehr oder weniger militanter Erfahrung, die vom Klimastreik, Extinction-Rebellion und Ende Gelände kommen.

Von Anfang an ging die Besetzung in der Westschweiz breit durch die Medien. Die Zad de la Colline wurde dann zu einem zentralen Aktivisti- Knotenpunkt der Westschweiz, aber auch zu einem Ort, der für viele das erste Tor zum direkten radikalen ökologischen Kampf war. In den letzten Wochen sind immer mehr Menschen aus der Deutschschweiz, dem Tessin, aber auch Aktivisti aus anderen ZADs in Frankreich oder dem Danni [Besetzung des Dannenröder Frost, Hessen] (Danni steht für die Besetzung des Dannenröder Waldes gegen den Bau einer Autobahn. Anmrk. Der Interviewenden) in Deutschland zu uns gestoßen und haben ihre Erfahrungen und ihr Wissen geteilt.

Vor Ort werden wir direkt von der Association for the Defence of Mormont (ASM) unterstützt, die sich u.a. zum Ziel gesetzt hat, die Natur und Landschaft von Mormont zu schützen und die dafür notwendigen Mittel und Aktionen einzurichten. Die meisten Mitglieder (es werden tagtäglich mehr), die in der Region leben, unterstützen uns und kommen uns regelmäßig besuchen.

Wie hat das Unternehmen und die Politik auf eure Besetzung reagiert?

In der ersten Woche der ZAD besuchten uns die Direktor*innen des Unternehmens, nur um uns vom Betreten des Steinbruchs abzuraten und vor Unfallrisiken zu warnen. Dabei war es nie unser Ziel, den bestehenden Betrieb der Mine zu verhindern, sondern vielmehr  die Erweiterung des aktuellen Kalksteinbruchs. Seitdem herrscht bei Holcim komplette Funkstille und es ist momentan selbst für den Verein zum Erhalt des Mormonts unmöglich, weiter mit dem Unternehmen in Kontakt zu treten.  LafargeHolcim sorgt sich seit Jahrzehnten um sein Image und nutzt Greenwashing-Strategien, so dass es vermutlich deshalb nicht frontal gegen uns vorgehen will.

Die Gewerkschaft Sarraz, eine der Gemeinden, die direkt an den Hügel angrenzt, hat eine Beschwerde beim »Großen Rat « eingereicht [Der Grosse Rat ist das Kantonsparlament des Kantons Bern. Anmrk. Der Interviewenden], weil das von Holcim bewohnte Haus auf der ZAD nicht den Sicherheitsnormen entsprechen würde. Auch die Grünen haben einen Appell an den Großen Rat gerichtet, diesmal zum Schutz des Mormonts. Sie unterstützen uns damit indirekt in unseren Idealen.

Was steckt hinter dem Wort „ZAD“

Das Wort ZAD kommt aus dem Französischen und ist eine Abkürzung für Zone à défendre (zu verteidigende Zone). Die Abkürzung wird ursprünglich im Städtebaurecht für Zone d'aménagement différé (abweichende Entwicklungszone) verwendet. Sie wurde 1943 das erste Mal aktiv in den Wortschatz aufgenommen. Unter dem Vichy Regime wurde ein Grossteil des französischen Territoriums kartografiert, um insbesondere in Westfrankreich  konkrete Zone auszumachen, auf denen öffentliche Institutionen oder Unternehmen ein Vorverkaufsrecht eingeräumt wurde, um Raumordnungsmassnahmen durchzuführen. Die Kartografierung geschah allerdings unter Nicht Berücksichtigung der Flora-Fauna Gebiete und griffen massiv in die lokalen Biotope ein.

Es ist daher fast ironisch, dass eine ZAD heutzutage als Ort bekannt ist, an dem sich Militante oder Aktivisti physisch der Realisierung eines Projekts widersetzen, das als gefährlich, kostspielig, nutzlos oder schädlich für die Umwelt gilt. Das Ziel ist es, das Gebiet durch die Schaffung von Widerstandsnestern zu lähmen. Die bekannteste ZAD ist die von Notre-Dame in Frankreich, die nach mehr als 10 Jahren der Besetzung ihren Kampf gewonnen hat. Andere ZADs sind danach überall in Frankreich und Belgien entstanden.

Ihr habt ja sicher mitbekommen, das  Waldbesetzungen in Deutschland eine immer größer Rolle für die Umweltbewegung bekommen. Was haben solche Art von Besetzungen in der  Schweiz für eine Geschichte?

Die ZAD de la cColline ist ein Novum in der Schweiz. Noch nie zuvor wurde ein Wald auf diese Weise besetzt. Die Bewegung ist also noch sehr jung und wir befinden uns in einem ständigen Lernprozess, der rechtlichen Fragen (die bei weitem nicht so klar sind wie in Frankreich oder Deutschland), Herausforderungen in Bezug auf das Zusammenleben und die Selbstverwaltung des Ortes, Gemeinschaftsbaustellen oder den Umgang mit Repression und die Vorbereitung auf die Räumung betrifft. Wir freuen uns daher sehr über Menschen anderer ZADs und Besetzungskontexten, die ihr Wissen in Bezug auf den Erhalt des Ortes, den Bau von Baumhäusern, Aktionsklettertrainig und sehr viel schöne Gemeinschaft mit uns teilen wollen.

Wie stehen lokal betroffen Menschen und Anwohner*innen zu der Erweiterung des Bergwerks und erfahrt ihr von diesen Unterstützung?

Schon vor der ZAD wurde für den Schutz des Hügels gekämpft. Der Verein für den Erhalt des Mormont (ASM), der uns in vollem Umfang unterstützt, hat fast 400 Mitglieder (meist lokal) und hat diese aufgerufen, uns zu unterstützen. Ihre Unterstützung erfolgt finanziell (Spenden), materiell (Lebensmittel, Baumaterial, Holz) oder medial (Teilen in sozialen Netzwerken). Aber es ist nicht nur der ASM, der uns hilft. Mit dem immensen Netzwerk von Vereinen und Umwelt-Aktivisti in der Westschweiz haben wir jeden Tag Menschen, die zum ersten Mal zur ZAD kommen. Viele Vereine unterstützen uns öffentlich und wollen uns bei einer Räumung helfen.

Leider, und wie nicht anders zu erwarten, genießt die ZAD nicht die einhellige Unterstützung der lokalen Bevölkerung. Vor allem in Eclépens gibt es viele Arbeiter*innen, deren Familien schon seit drei Generationen für Holcim tätig sind. Holcim gilt als ein Unternehmen, das die Region belebt und Vereine wie den lokalen Fußballclub finanziert hat. Während also die Hälfte der Bevölkerung uns zu unterstützen scheint, bleibt die andere Hälfte blind für die Grenzen des Wachstums, für den unendlichen Abbau unserer Ressourcen und für globale ökologische Fragen.

Bei Besetzungen wie aktuell im „Dannenröder Wald“,  sind die Zusammenstöße zwischen Polizei und Besetzenden in der Vergangenheit immer wieder mit massiver Polizeigewalt durchgeführt worden.  Wie sind hier bisher eure Erfahrungen mit Repression?

Wir haben das Glück, noch nicht mit polizeilicher Repression in Berührung gekommen zu sein. Die Institutionen scheinen mit dieser Besetzung überfordert zu sein und haben nicht die Mittel, um den Ort  zu räumen. Wir waren sogar sehr überrascht, dass einige Polizist*innen aus der Gemeinde uns am Anfang häufig besuchten, um zu schauen, ob uns nicht kalt sei, oder um uns zu fragen, ob wir Toiletten bräuchten.

Was für eine Art von Unterstützung wünscht ihr euch von außerhalb, z.B. auch von Menschen die derzeit aufgrund der Pandemie nicht zu euch reisen können oder wollen?

Wir freuen uns über jede mediale Unterstützung, das Teilen von Artikeln zu unserer Besetzung, usw. auf euren Kanälen, Netzwerken und über Kollektive und Organisationen. Ihr könnt auch sehr gerne unsere Petition zur Unterstützung der ZAD unterzeichnen und teilen, den ihr auf unserer Webseite findet : orchidees.noblogs.org

Zum Redaktionsschluss bahnte sich eine Räumung der ZAD de la Collines innerhalb der nächsten Wochen an. ROBIN WOOD unterstützt die Forderungen der lokalen Organisationen und der Besetzung nach einem sofortigem Stoppen der Pläne für eine Erweiterung des Steinbruchs!

Das Interview wurde übersetzt aus dem Französichen.