Wärmebildaufnahme von einem Wohnblock

Energiewende vs. Energiearmut

Warum wir jetzt eine sozial-ökologische Energiewende brauchen

02. Februar 2022
Energie
Ronja Heise
Fachreferentin Energie
Blog

Die Energieversorgung hat es mal wieder auf die Titelseiten gebracht – allerdings ging es dabei zuletzt vor allem um ihren Preis. Vielleicht habt auch ihr in den letzten Monaten ein Schreiben eures Gas- oder Stromanbieters in der Hand gehalten, das deutliche Preissteigerungen zum Jahreswechsel ankündigte. Die Zahlen lassen schlucken: Laut einer Erhebung eines Vergleichsportals beträgt die durchschnittliche Preissteigerung bei Erdgas 24% und bei Strom immer noch 9%. Expert*innen gehen davon aus, dass die Preise für Strom und Gas den ganzen Winter über hoch bleiben werden. Und das ist besonders verheerend für diejenigen, bei denen Geld eh schon knapp ist. Schon im Herbst letzten Jahres warnte der EU Arbeitskommissar Nicolas Schmit davor, dass die Energiearmut in der Union deutlich zuzunehmen droht.

Unter Energiearmut wird verstanden, dass Haushalte sich die benötigte Energie nicht leisten können, also zum Beispiel ihre Wohnung nicht angemessen heizen, um Heizkosten zu sparen. Oder sie von Strom- oder Gasabschaltungen bedroht sind, da sie ihre Rechnungen nicht mehr zahlen können. Oder durch Energiekosten andere Grundbedürfnisse nicht mehr erfüllen können.

In Deutschland gibt es keine offizielle Definition von Energiearmut und dementsprechend auch keine umfassenden Statistiken. Klar ist jedoch, dass sie bei Weitem kein neues Phänomen ist und viele Millionen Menschen betrifft. Die EU geht davon aus, dass 2019 ca. 30 Millionen Menschen in Europa von Energiearmut betroffen waren und diese Zahl seitdem gestiegen ist. Allein in Berlin gibt es ca 20.000 Strom- und Gassperren jährlich.

Das Thema Energiearmut macht (wieder einmal) deutlich: Die Energieversorgung ist untrennbar mit Fragen sozialer Ungleichheit verbunden. Eine Studie des Ökoinstituts zu Energiearmut zeigt eindrucksvoll: Haushalte mit einem geringeren Einkommen geben prozentual deutlich mehr für Energie aus, als Haushalte mit einem hohen Monatseinkommen, auch wenn letztere signifikant mehr Energie verbrauchen. So geben Haushalte mit einem Monatseinkommen unter 900€ in Berlin im Schnitt 10% ihres Einkommens für Energie aus, Haushalte mit einem Einkommen von 2000 bis 2600€ im Schnitt 6,5% und bei einem Monatseinkommen zwischen 5000 und 18.000€ beträgt der Anteil gerade mal 2,5%. Steigende Energiepreise bekommen also vor allem die einkommensschwachen Haushalte zu spüren, auch wenn diese schon weniger Energie verbrauchen.

Die Angst davor, uns nicht (mehr) die benötigte Energie leisten zu können, ist höchst emotional. Verständlicherweise, denn Energiearmut schränkt die gesellschaftliche Teilhabe und Lebensqualität der Betroffenen ein und kann massiv die Gesundheit gefährden.

Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass steigende Energiepreise bzw. die Angst davor schon immer ein gefundenes Fressen für die Gegner*innen der Energiewende war. Auch in den letzten Monaten wurden die Stimmen wieder laut, die wahlweise den Ausbau Erneuerbarer Energien, den CO2-Preis oder den Kohle- und Atomausstieg als vermeintliche Schuldige des Preisanstiegs benannten und kritisierten.

Die Argumentation „Die Energiewende ist Schuld am Anstieg der Energiepreise“ besticht zwar durch ihre Schlichtheit, ist aber falsch. Im Gegenteil: Hätte die Politik im letzten Jahrzehnt die Energiewende konsequent gefördert, statt sie immer wieder auszubremsen, wäre der Strompreis aktuell nicht so gestiegen,  und der hohe Preis von Gas hätte deutlich weniger verheerende Konsequenzen. Es ist die fortbestehende hohe Abhängigkeit von fossilen Energien, die uns in diese Situation gebracht hat.

Ein zentraler Faktor: die Weltmarktpreise für Erdgas sind in den letzten Monaten in die Höhe geschnellt. Das liegt an einer weltweit rasant steigenden Nachfrage, insbesondere nach dem starken Rückgang der Wirtschaftsleistung zu Beginn der Coronapandemie. Nach dem letzten kalten Winter waren außerdem die Gaslager in Europa relativ leer. Aber auch geopolitische Verstrickungen wie die Auseinandersetzung um NorthStream2 werden für die gestiegenen Gaspreise mitverantwortlich gemacht.

Erdgas ist in Deutschland weiterhin die vorherrschende Energiequelle zum Heizen: Die gestiegenen Weltmarktpreise für Gas betreffen also früher oder später die Heizkosten extrem vieler Menschen – egal ob sie ans Fernwärmenetz angeschlossen sind oder mit einer Gas-Zentral- oder Etagenheizung heizen. Gas wird außerdem zur Stromproduktion genutzt, so dass die gestiegenen Gaspreise sich auch auf den Strompreis durchschlagen.

Ein weiterer Grund für den gestiegenen Strompreis ist tatsächlich der im letzten Jahr eingeführte CO2-Preis. Mit 30€ pro Tonne CO2 liegt dieser immer noch weit unter den 201€, die das Umweltbundesamt als Einpreisung der vollen Klimakosten von CO2 annimmt. Dennoch trägt er zu gestiegenen Kosten für Kohle- und Gasstrom bei. Dazu kommt, dass in den letzten Monaten die Leistung von Wind- und Solaranlagen witterungsbedingt unterdurchschnittlich war. Hier gilt erneut: Hätten wir die Ausstieg aus den Fossilen schon vollzogen oder ein deutlich höheres Angebot an erneuerbarem Strom, könnte den Verbraucher*innen der Preis für Kohle- und Gasstrom egal sein.

Eine im Oktober 2021 veröffentlichte Studie von Energy Brainpool zeigt auf, dass 50 Terrawattstunden zusätzlicher Erneuerbarer Strom bis 2030 fossile Kohle- und Gaskraftwerke weiter aus dem Markt drängen und die Stromkosten bis zu 30% senken würden. Andere Studien zeigen, dass schon jetzt durch Erneuerbare Energien massiv Geld eingespart wird verglichen mit den Kosten, die sonst zusätzlich für Fossile Energieträger ausgegeben werden müssen.

Denn: Entgegen eines verbreiteten Vorurteils sind Wind- , Solar- und Wasserstrom mittlerweile unschlagbar günstig. Insbesondere wenn die externalisierten, also von der Gesellschaft getragenen Kosten mit berücksichtigt werden, können Kohle, Gas und Atom preislich nicht mithalten. So beziffert das Forum Ökologische Marktwirtschaft beispielsweise die vollständigen Stromgestehungskosten für Solarstrom auf im Mittel 7,07 ct/kWh und für Steinkohlestrom auf 25,5 ct/Kwh und Atomstrom 22,7 bis 34,3 ct/kWh. Weiter auf Kohle, Gas und Atom zu setzen, ist also auch rein volkswirtschaftlich keine Option – von den Klima- und Umweltfolgen ganz zu schweigen.

Doch denjenigen, die aktuell vor die Wahl zwischen einer kalten Wohnung oder dem Wocheneinkauf stehen, hilft diese Erkenntnis herzlich wenig. Daher braucht es jetzt kurz- und mittelfristige Maßnahmen, um die von Energiearmut betroffenen Haushalte zu unterstützen. Ideen gibt es dafür einige – von der Erhöhung von Sozialhilfe und Mindestlohn über Klimaboni bis zu reduzierten Strompreisen für einkommensschwache Haushalte. Doch an der Umsetzung hapert es. So hat es zum Beispiel die von FDP und Grünen im Wahlprogramm beschriebenen Idee einer Rückzahlung der CO2 Abgabe an Haushalte in Form eines ‚Energiegeldes‘ oder einer ‚Klimadividende‘ doch nicht in den Koalitionsvertrag der Ampelregierung geschafft. Stattdessen wird die Senkung und zukünftige Abschaffung der EEG-Umlage als Maßnahme gegen die steigenden Energiepreise beworben. Dabei ist die dadurch erzielte Ersparnis von 3,72 ct recht gering, zum anderen ist absolut unklar, ob die Stromversorger diese auch an die Verbraucher*innen weiter geben. Und selbst wenn dies der Fall wäre, dann würde dies vor allem denjenigen zugute kommen, die einen hohen Stromverbrauch haben.

Darüber hinaus muss es darum gehen, die Energiewende deutlich zu beschleunigen und sie als große Chance zu begreifen, die Energieversorgung sozial gerechter zu gestalten. Als Klimabewegung können und sollten wir diese Perspektive noch stärker voranbringen und den Schulterschluss mit anderen Sozialen Bewegungen wie Recht-auf-Stadt, Mieter*innen Selbstorganisation, Arbeitslosenkämpfe, Refugees-Struggles suchen.

Wie wäre es mit der Vision einer Zukunft, in der niemand von Existenzängsten bedroht ist, weil die Weltmarktpreise für fossile Energieträger explodieren? In der jede*r auch finanziell von den Vorteilen lokaler Stromproduktion profitieren kann – egal ob Mieter*in oder Hausbesitzer*in. In der niemand in der Nähe von gesundheitsschädlichen Kraftwerken wohnen muss. In der kalte, schlecht isolierte Wohnungen für alle der Vergangenheit angehören – und es keine Frage des Geldbeutels ist, in einem gesunden Wohnklima zu leben. In der niemand Energiebedarf mit anderen Grundbedürfnissen abwägen muss.

Das bedeutet auch: Es muss sich deutlich mehr ändern als die Zahl der Windräder oder die Art der Wärmequellen. Mit einem ‚Weiter so – bloß erneuerbar‘ ist es bei der Energiewende nicht getan. Stattdessen müssen sich die Logiken der Energieproduktion und -verteilung grundlegend ändern. Denn solange diese weiterhin massiv von den wirtschaftlichen Interessen großer Konzerne beeinflusst werden, werden wir diese Zukunft nicht erreichen. Eine große Chance dafür bieten die verschiedenen aktuellen Initiativen für Vergesellschaftungen, ob von Strom- und Wärmenetzen oder großen Energiekonzernen. Aber auch die Vergesellschaftung großer Wohnkonzerne, wie aktuell die Berliner Inititative ‚Deutsche Wohnen Enteignen‘ vorantreibt, bietet ein enormes Potential für eine sozialgerechte urbane Wärmewende.

Gemeinsam können wir die Energiewende als soziales Projekt verstehen und vorantreiben – und damit auch denjenigen den Wind aus den Segeln nehmen, die versuchen, mit steigenden Energiepreisen Stimmung gegen den anstehenden Wandel zu machen.