Eine andere Bahn ist möglich!
Gastbeitrag: Warum die Bahn gemeinnützig werden muss
Im Zuge der Fußball-Europameisterschaft wurde international bekannt, was bei der Bahn in Deutschland los ist. Fans verpassten ihr Spiel, Züge waren teilweise völlig überfüllt und selbst der Zug, mit dem die DB der Presse ihren Service vorstellen wollte, kam 45 Minuten zu spät. Auch die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik macht sich Sorgen darüber, dass die marode Infrastruktur und die chronische Verspätung der Deutschen Bahn die Verteidigungsfähigkeit der NATO infrage stellen, weil die Transportkapazitäten der DB im Verteidigungsfall überfordert wären.
Man könnte es als zynisch bezeichnen, dass das zivile Leiden so vieler Menschen an und mit der Bahn von der Politik 30 Jahre lang ungerührt hingenommen wurde und erst militärische Fragen die Verantwortlichen aufschrecken. Plötzlich beklagt Berthold Huber, Infrastrukturvorstand der Deutschen Bahn, den "bedauernswerten Zustand" der deutschen Eisenbahn-Infrastruktur. Huber ist als langjähriger DB-Manager maßgeblich mitverantwortlich für die Misere. Während er Krokodilstränen darüber vergießt, dass der von der DB organisierte Alltag dazu führt, dass „die Menschen das Gefühl haben, dieser Alltag funktioniert nicht mehr“, ist er selbst zum Einkommensmillionär aufgestiegen. Wie kam es zu allem? Und was könnte man ändern?
Die gewinnorientierte Bahn
Seit dreißig Jahren arbeitet die Deutsche Bahn AG (DB AG) gewinnorientiert. Das bedeutet, sie darf und soll so agieren wie die Kapitalanlage eines Milliardärs, die Zinsen abwerfen soll. Tatsächlich gehört die DB AG zu 100 Prozent dem Staat und somit uns allen. Dennoch wird das Gemeinwohl missachtet. In der Zeit seit der Gründung der DB AG wurde die Zahl der Beschäftigten so gut wie halbiert. Das hätte auch ein Milliardär so gemacht, Stichwort: Kosten senken. Aber abzüglich der steuerfinanzierten Subventionen hat die DB AG noch in keinem Jahr ihres Bestehens Gewinne abgeworfen. Gleichzeitig verfällt ihr Kapitalstock: Schienen, Bahnhöfe und Züge. Kein Milliardär würde das tolerieren. Und wir als Kunden leiden: Mit dem Verfall der Infrastruktur müssen die Bahnreisenden immer mehr Einschränkungen ertragen, die Pünktlichkeit sinkt und sinkt, Hauptstrecken werden über Monate komplett gesperrt. Nur zehn Prozent der Menschen fahren überhaupt noch Bahn, 90 Prozent nutzen Auto und Flugzeug. Was bei der der DB AG hingegen ständig wächst, sind die Schulden. Staat und Gesellschaft machen mit der gewinnorientierten Bahn fortwährend Verluste. Ein Denkspruch besagt, dass es Wahnsinn kennzeichne, wenn man immer wieder das Gleiche tut, aber stets andere Ergebnisse erwartet. Die gewinnorientierte Bahn will und will einfach keine Gemeinwohlziele erfüllen, so oft man es auch mit ihr versucht. Von Shakespeare wissen wir, dass auch Wahnsinn Methode haben kann. Im Fall der DB AG werden alljährlich Bilanzpressekonferenzen abgehalten, die die Verluste für die Allgemeinheit ausblenden. Aber nicht nur das: Dort wird auch regelmäßig verschwiegen, wer tatsächlich Gewinne macht. Verkäufe innerstädtischer Bahngrundstücke weit unter Wert haben einige Immobilienfirmen sehr reich gemacht. Und auch die Kaste der DB-Manager profitiert. Bonuszahlungen bei Verlusten? Bei der DB kein Problem. Der Bahnvorstand erhält jedes Jahr Millionengehälter. Die vielen hundert Tochtergesellschaften haben insgesamt viele tausend Manager. Schätzungen ergeben, dass für diese Armada von Verlustproduzenten jedes Jahr insgesamt zwei Milliarden Euro an Gehältern fließen. Man kann sich vorstellen, dass diese Gruppe möchte, dass alles so weitergeht wie bisher, das ist aus ihrer Sicht durchaus rational. Ein Milliardär würde so ein Management vor die Tür setzen. Die Bundesregierung lässt alles laufen – und damit geht es auch mit der Bahn weiter rapide bergab.
Die gemeinnützige Bahn
Es wäre gut, wenn die Bahn als öffentliche Einrichtung auch juristisch im öffentlichen Recht organisiert wäre und auf diesem Wege endlich dem Gemeinwohl dienen würde. Das Bündnis Bahn für Alle fordert genau das seit vielen Jahren. Allerdings steht im Grundgesetz: „Eisenbahnen des Bundes werden als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form geführt.“ Es gibt jedoch noch einen weiteren Weg, den Nutzen für die Allgemeinheit rechtlich verbindlich zu verankern: die formelle Gemeinnützigkeit. Auch eine privat-rechtliche Aktiengesellschaft kann gemeinnützig sein, zuständig ist stets das Finanzamt. Die Satzung muss gemeinnützige Zwecke festlegen, außerdem dürfen langfristig keine Gewinne erzielt werden. Für die Bahn kommt als gemeinnütziger Zweck die Förderung des Umweltschutzes einschließlich des Klimaschutzes infrage. Gelingt es, viele Menschen weg vom Auto und Flugzeug hin zu Bahnreisen zu bewegen, würde das Treibhausgase sowie Feinstaub- und Unfalltote in Deutschland erheblich reduzieren. So könnte das gehen: Die Deutsche Bahn gAG sollte zunächst die Fahrpreise senken, das Ticketsystem radikal vereinfachen und Sozialtarife anbieten. Das 9-Euro-Ticket hat gezeigt, dass die Menschen sich von solchen Angeboten überzeugen lassen. Um zusätzliche Fahrgäste aufzunehmen, müssen die Zahl der Züge und die Netzkapazität deutlich erhöht werden, letztere am dringendsten und schnellsten durch den (Wieder-)Einbau von Weichen und Überholgleisen, mittelfristig auch durch den Bau zusätzlicher Gleise an Kapazitätsengpässen. Die gAG sollte Mittelzentren und beliebte Urlaubsziele wieder regelmäßig anfahren und die Zuggattung Interregio neu auflegen. Mit Nachtzugangeboten kann die gAG zudem Herzstück und Motor eines europaweiten Netzes für den internationalen Verkehr werden. Klimaschädliche Großprojekte wie Tunnelbauten sollten hingegen beendet werden. Stattdessen sollte der Bestand saniert werden, gefolgt von einer beschleunigten Elektrifizierung. Und natürlich sollte die gemeinnützige Bahn Strecken ausbauen und reaktivieren. Die gAG sollte Zugfahren angenehm gestalten. Hygienestandards und Barrierefreiheit sind in jedem Zug einzuhalten. Ein verbindliches Mehrzweckabteil könnte die Mitnahme von Fahrrädern, Anhängern und Großgepäck erleichtern. Mit der Anerkennung der Gemeinnützigkeit für die Bahn ist der Eigentümer nicht aus der Pflicht. Die Finanzierung muss kontinuierlich sichergestellt werden. Der Deutschlandtakt sollte wie ursprünglich geplant 2030 starten und nicht wie zuletzt angedroht erst 2070. Die 5.600 zurzeit vielfach vernachlässigten Bahnhöfe könnten Bund und gAG gemeinsam zu attraktiven Zugängen zum System Schiene umgestalten. Alles nur Träume? Auch in der Schweiz ist die Bahn eine Aktiengesellschaft und handelt doch gemeinnützig. Der entscheidende Unterschied ist der Wille, die Bahn zum wichtigsten Verkehrsmittel zu entwickeln. Aktuell bekommt die DB AG nur Bilanzziele vorgegeben, gegen das Gemeinwohl wird dementsprechend kontinuierlich verstoßen.
Was die Menschen erwarten
Bahn für Alle wollte in einer repräsentativen Umfrage wissen: „Sollte die Deutsche Bahn Ihrer Meinung nach gewinnorientiert oder gemeinnützig ausgerichtet sein?“ Die Antwort war eindeutig: 70 Prozent der Bevölkerung wünschen eine gemeinnützige Deutsche Bahn. Eine Gewinnorientierung halten hingegen nur 14,6 Prozent für richtig. Das sollte jede Regierung doch als klaren Mehrheitsauftrag verstehen. Aber die Ampel will weitere Privatisierungen. Auf den Verkauf der Auslandstochter Arriva folgt der Verkauf von DB Schenker, womöglich kommt danach sogar DB Fernverkehr dran. Dazu sollen Öffentlich-Private Partnerschaften kommen. Zum Jahresanfang fusionierten DB Netz und DB Station&Service zur DB InfraGO. GO soll für Gemeinwohlorientierung stehen. Doch per Satzung ist die InfraGO weiterhin der gewinnorientierten DB AG unterstellt. "Gemeinwohlorientierung" klingt gut, ist aber juristisch nicht zu greifen. Der bindende Rechtsbegriff lautet eben "Gemeinnützigkeit", und wie die Umfrage von Bahn für Alle zeigt, kennen die Menschen den Unterschied.