Bericht aus dem Hambacher Wald - Demo 06.10.2018

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Foto ▸ ROBIN WOOD

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Gestern war ein guter Tag im Hambacher Wald.

Bereits vorgestern im Laufe des Tages war klar: das von der Polizei ausgesprochene Demonstrationsverbot ist rechtswidrig und dem Eilantrag des BUND über die Aussetzung der Rodungen bis zum Gerichtsentscheid über den Schutzstatus des Waldes wird stattgegeben. RWE selbst ließ verlauten, das Unternehmen stelle sich nun auf einen Rodungsstopp bis Ende 2020 ein.

Über 20 000 Menschen hatten sich bereits für die Teilnahme an der Demonstration angekündigt. Nun waren es mindestens 50 000, was ein beeindruckendes und klares Zeichen ist. Denn trotz abgewendeter Rodung reisten die Menschen von überall her an, um ihrer Freude Ausdruck zu verleihen und RWE die Meinung zu geigen. Das Unternehmen hatte in den letzten Wochen die Grenze des gesellschaftlichen Willens um Längen überschritten. Jana Ballenthien berichtet von traurigen und freudvollen Erlebnissen im Hambacher Wald und an der Grube am 6.10.2018:

Während die ersten zigtausend Menschen schon auf dem großen Kundgebungsgelände zwischen der Ortschaft Buir und dem Hambacher Wald bei einem Konzert ausgelassen feiern, befinden sich weitere zigtausende noch in überfüllten Zügen oder in ellenlangen Staus auf der Autobahn. Die Polizei hat alle relevanten Autobahnabfahrten und alle Straßen in der Umgebung gesperrt. Näher als 5 km kommt kein privates Auto mehr an den Kundgebungsort heran. Ab ca. 11:00 Uhr gibt es auch keinen Zug mehr nach Buir, und die Shuttlebusse bleiben im Stau stecken. So startet die Demonstration als teils über 10 km langer Sternmarsch aus allen Richtungen der Region, über alle Feldwege und Bundesstraßen. Glücklich ist, wer mit dem Rad da ist oder wenigstens einen Bollerwagen für die Kinder dabei hat.

Viele kommen erst an, als andere schon wieder nach Hause fahren.

In den ersten Stunden bleibt es im Wald zunächst still im Vergleich dessen, was an den letzten Sonntagen dort passierte. Ab und zu weht der Wind die Geräusche des Konzerts herüber. Ganze Textzeilen sind verständlich und werden zu Ohrwürmern. „Wann werdet ihr aufstehen?“, zum Beispiel - eine überholte Frage an diesem Tag.

Grüppchen von Menschen flanieren durch den Wald und an den Orten vorbei, an denen in den letzten Wochen gebaut, geschwitzt und gegengehalten wurde während andere Orte der Rodung und Räumung ausgesetzt waren. Fassungslosigkeit ist das vordergründige Gefühl an diesen Orten der Ödnis. Baumstümpfe, staubiger, platt gewalzter Boden und Haufen von Holzhackschnitzel sind übrig geblieben von den Baumhausdörfern und Barrikaden. Hier und da ein Löffel, eine Schnur, ein Hemd. „Hier haben wir letzten Sonntag den langen Fichtenstamm mit 50 Menschen geschleppt“, sagt ein junger bewegter Mensch zu seinen beeindruckten Eltern. Gerade für die, die in letzter Zeit identitätsstiftende Erlebnisse im Wald hatten, ist der Anblick schwer zu begreifen. Das Gefühl, gemeinsam etwas sehr wichtiges für den Wald, das Klima und die Menschen vollbracht zu haben, bleibt und Lächeln überwiegt.

An dem Ort, an dem das Baumhausdorf “Oakland“ war, kommt es zu einer surrealen Szene. Menschen betrachten den Baumstumpf des seit 1618 gewachsenen Baumes, andere sitzen am Rand der neuen Lichtung und rasten. Da kommt ein Trupp von fünf schwarz uniformierten Polizist*innen auf den Platz geschlendert. Sie lachen ausgelassen und eine Frau von ihnen zeigt auf eine mit Neonfarbe besprühte kleine Eiche, an der ein Schmuckband aus Naturmaterialien hängt. Ratlose Blicke werfen sich die anderen Anwesenden zu, was die Polizei wohl an diesem Ort will. Sie sind es, die den Willen von Politik und Konzern durchsetzten. Sie sind es, die diesen Ort verwüsteten und abrissen, die die Menschen fesselten und abführten. Da steht eine Frau auf, geht zügig auf die Polizist*innen zu und ruft mit gebrochener Stimme, „Warum habt ihr das getan?“ Ein männlicher Polizist ruft ihr sinngemäß entgegen: „Ich warne Sie, Sie kriegen hier ganz schnell eine Anzeige!“ Seine Kolleg*innen gehen dazwischen. Er zieht sich zurück, nur um sie danach erneut aggressiv anzugehen. Einen Moment denken alle, er wird sie sich schnappen und zu Boden bringen. Doch da nimmt die Frau schon Abstand, bzw. sie wird abgedrängt von einer weiteren Waldbesucherin. Sie raunt ihr zu: „Hier ist nicht der richtige Ort.“ Sie schreit: „Nicht der richtige Ort?! Wo soll denn bitte der richtige Ort sein?!“ Ja, wo? Wo wenn nicht hier? All die Verzweiflung der letzten Zeit, all die Trauer um den Wald und um den Menschen, der hier starb, ist nicht vorbei und darf nicht vergessen werden. Auch wenn die Rodung nun abgewendet wurde durch eine leichte Atemübung der Gerichte. All das kristallisiert sich hier. Und die Polizei schlendert hier durch und macht Sightseeing.

Wie im Laufe der letzten Wochen, machen letztlich heute die 50 000 Demonstrationsteilnehmer*innen klar: Nein, es waren nicht nur die Gerichte, die die Zerstörung des Jahrtausende alten Waldes stoppten, der gerodet werden sollte für die klimaschädlichste Energiegewinnungsart der Menschheit. Es war der gesellschaftliche Druck, den wir aufbauten, indem wir viele waren, indem wir vielfältig waren, indem wir laut waren und indem wir uns nicht spalten ließen.

Zu Tausenden strömen die Demonstrant*innen nun in den Wald. Es verbreitet sich eine ausgelassene Stimmung. Baumstämme werden auf die Strassen gezerrt. Die gleiche Tätigkeit – letzte Woche verzweifelt und hektisch, heute fröhlich und voller Tatendrang. Wir lassen uns den Wald nicht nehmen!

Plötzlich rauscht ein stürmischer Wind durch die Bäume, alle horchen auf, ein Blätterregen erfüllt die Luft und die Eichen torpedieren uns mit Eicheln. Verzückt werden Scherze gerissen. Das sei der Startschuss des Herbstes gewesen und die Eichen schlügen nun zurück.

Ende Gelände hat rote Hängematten mitgebracht und es wird sich gemütlich eingerichtet am Waldrand in Richtung Grube nach dem Motto “Chillen gegen Kohleförderung“. Wir signalisieren: Bis hier hin und nicht weiter! Der Wald ist unser Zuhause und unsere Zukunft.

Zeitgleich wagen die ersten Menschen Schritte zur Abbruchkante der Grube. Es werden mehr und mehr und die Kette des Widerstandes reicht bald bis zum Horizont. Menschen, die die Grube zum ersten Mal sehen, sind geschockt vom Anblick dieser Narbe, verstehen schlagartig noch einmal besser ihren eigenen Protest, während sie aus dem lebenden Wald zur toten Grube schreiten. Noch ist kein Mensch in der Grube und dennoch steht der erste Bagger still. Er ist umzingelt. Ein einzelner Mensch packt eine Schaufel aus und schippt die Erde am Rand der Grube wieder in sie hinein. Hunderte jubeln bei diesem Anblick. Später bilden Menschen “HAMBI BLEIBT“ mit ihren Körpern in der Grube, von oben weithin sichtbar.

Im Wald werden inzwischen erste Orte gefunden, an denen zukünftige Baumhausdörfer entstehen sollen. Ein Werkeln und Schuften bis weit in die Dunkelheit hinein. Denn allen ist nach dem Freudentaumel durch die Gerichtsentscheidung bewusst, die Rodung ist bisher aufgeschoben. Aufgehoben ist sie nicht. Noch nicht. Deshalb bleiben wir aufmerksam und beobachten von den Wipfeln der Bäume den zähflüssigen Kohleausstieg. Und wir bleiben viele! Und wir bleiben laut!