Auf zur Wärmewende!

Da wo vor Kurzem noch grünes Gras gewachsen ist, ist jetzt eine Schlammwüste. Eineinhalb Meter tiefe Gräben ziehen sich durch den Boden. Auf einer Fläche von ca 100 m² ist von dem Garten nicht mehr viel zu erkennen. Doch die knapp zwanzig Bewohner*innen des Raeume Hofes bei Lüneburg freuen sich – denn hier wird in Zukunft ein wichtiger Teil der Wärme für ihr neues Haus gewonnen. Das Wohnprojekt, das zum Mietshäusersyndikat gehört, ist gerade dabei, den alten Schweinestall zu einem Mehrparteienwohnhaus umzubauen. Und der neue Wohnraum für 26 Menschen soll nicht nur bezahlbar, gemeinschaftlich und selbstverwaltet sein – sondern auch so umweltschonend wie möglich!

Daher haben sich die Bauherr*innen eingehend dazu Gedanken gemacht, wie ihr Gebäude geheizt werden soll. Klar war: Das Heizen mit fossilen Energieträgern wie Öl oder Gas ist keine Option. Aber auch der nächste Vorschlag der Architekt*innen – eine Pellets- oder Hackschnitzelheizung - wurde von den Bewohner*innen schnell abgelehnt. Selbst wenn das Wohnprojekt für sich vertretbare Quellen für Abfallholz gefunden hätte (zum Beispiel aus einem regionalen Sägewerk), wäre dies eindeutig keine verallgemeinerbare Lösung. Schon jetzt übersteigt die Nachfrage nach Heizholz deutlich das verfügbare Restholz. Für Pelletsheizungen wird sogar im großen Stil Frischholz aus dem Ausland importiert. Da wollten die Bewohner*innen des Projekts nicht mitmachen!

Das neue Wohnhaus des Hofs wird in Zukunft stattdessen mit einer Kombination aus Solarthermie und Erdwärmepumpe beheizt werden. Gemeinsam mit ihren Architekten, einem Energieberater und einem herangezogenen Professor für Energietechnik hat das Wohnprojekt hier am Stadtrand tatsächlich ein kleines Leuchtturmprojekt entwickelt. Die über Solarthermie gewonnene Wärme wird in einem 25 m³ großen isolierten Wassertank gespeichert, der in einem der ehemaligen Silagesilos des Hofes unterkommt. Von Frühling bis Herbst werden Solarthermieanlage und Speicher den Warmwasser- und Heizbedarf der Hausbewohner*innen abdecken. Im Winter wird dieses System durch eine Erdwärmepumpe unterstützt. Diese besteht aus sechs bis zu 80 Meter tiefen Bohrungen im Garten hinter dem Gebäude. Eine Wärmeflüssigkeit wird durch die hier verlegte Rohre gepumpt und nimmt die im Erdreich gespeicherte Sonnenenergie auf. Die großflächige Photovoltaik Anlage auf dem Dach des Gebäudes produziert so viel Strom, wie die Wärmepumpe benötigt. Ergänzt wird dies durch eine umfassende Isolierung des Gebäudes mit umweltfreundlicher Zellulose und eine besonders energiesparenden Wandheizung. Die Bewohner*innen des Hofes sehen ihr Bauprojekt als aktiven Beitrag zum anstehenden Umbau des Energiesystems. „Wir wollen aufzeigen, dass ökologisches Bauen und Heizen kein Luxus sein muss. Schon jetzt gibt es alles, was wir brauchen. Die Wärmewende kann kommen!“, erklärt Barbara aus der Energie AG des Wohnprojekts.

Wärmewende?! Der Begriff ist erst einmal sperrig. In den meisten Fällen führt er zu raschen Nachfragen. Was ist damit denn gemeint? Dabei ist der Oberbegriff, die ‚Energiewende‘, schon längst im allgemeinen Sprachgebrauch angekommen. Nur sprechen Politiker*innen, Medien und auch klimabewegte Menschen dabei meist ausschließlich von dem Umbau der Stromversorgung. Doch Energie hat - wie wir alle wissen - verschiedene Nutzungsformen – und wenn wir die Klimakrise bekämpfen wollen, müssen wir alle davon auf regenerative Energien umstellen!

Auch wenn noch wenig über sie gesprochen wird: Die Umstellung der Wärmeversorgung müsste ziemlich weit oben in der Prioritätenliste einer klimabewussten Politik stehen. Denn die Herstellung von Wärme macht aktuell über die Hälfte des gesamten Endenergieverbrauchs in Deutschland aus. Das Heizen von Räumen trägt mit 30 Prozent des Endenergieverbrauchs den größten Teil dazu bei - aber auch die die Herstellung von Wärme für Industrielle Prozesse ist extrem energieintensiv.

Während die Stromversorgung mittlerweile zu 50,5 Prozent aus Erneuerbaren Energien stammt, wird Wärme in Deutschland immer noch zu einem überwiegenden Teil fossil hergestellt. Und daran hat sich auch in den letzten Jahren erschreckend wenig geändert. 2019 stammte gerade mal 14,7 Prozent der Wärme aus erneuerbaren Quellen. Das waren knapp 10 Prozent mehr als im Jahr 2000, und einen mickrigen halben Prozentpunkt mehr als 2012. Die in Deutschland genutzte erneuerbare Wärme stammt zum allergrößten Teil aus der Verbrennung von Holz und anderer Biomasse (zum Beispiel Klärgas). Gerade mal 14 Prozent werden wie in dem Wohnprojekt bei Hamburg durch Solarthermie und Geothermie gewonnen.

Erneuerbare Wärme spielt also immer noch eine sehr kleine Rolle in Deutschland. Ihr Anteil ist dazu regional sehr unterschiedlich - in Hamburg beträgt er beispielsweise nur 4,3 Prozent. Ganz anders hingegen Erdgas. In Privathaushalten stammt 44 Prozent der genutzten Wärme durch das Verbrennen von fossilem Gas – entweder in hauseigenen Gasthermen oder in Nah- bzw. Fernwärmenetzen. Und auch Kohle und Öl machen weiterhin einen großen Anteil der Wärmeproduktion aus. Besonders beachtlich: Fernwärme stammt immer noch zu knapp 40 Prozent aus Braun- und Steinkohlekraftwerken.

Diese miserable Bilanz schlägt sich auch in der Klimawirkung der Wärmeversorgung nieder. Alleine das Heizen und die Warmwasser-Versorgung von privaten Haushalten, Handel und Gewerbe macht fast ein Viertel der CO2-Emissionen Deutschlands aus!

Doch anstatt das zu ändern und die längst überfällige Wärmewende endlich anzugehen, spielt die Bundesregierung auf Zeit. Die für den Gebäudesektor beschlossenen Ziele sind alles andere als ehrgeizig: Gerade mal um 40 Prozent sollen die Treibhausgasemissionen des Gebäudesektors bis 2030 im Vergleich zu 2020 sinken. Mehr noch; im Zuge des Kohleausstiegs setzt die Politik aktuell sogar massiv auf falsche, klimaschädliche Lösungen. Insbesondere die Wärmeversorgung wird jetzt als Argument genommen, um das Leben der Kohlekraftwerke, welche Wärme in Fernwärmenetze einspeisen, durch ein Umbau zu Gas oder Biomasse künstlich zu verlängern.

Zugegeben, die Wärmewende ist in vielem eine noch härtere Nuss als die Umstellung der Stromversorgung. Zum einen wird hier in Deutschland im Sommer deutlich weniger Wärme verbraucht als im Winter – darunter leidet der Nutzungsgrad der Anlagen erheblich. Auch ist Wärme längst nicht so universell nutzbar und gut weiterleitbar wie Strom. Anders als beim Strom gibt es dadurch kein flächendeckendes Netz, mit dem Produktion und Bedarf ausgeglichen werden können. Außerdem steht die Umrüstung zu erneuerbarer Wärme wie gezeigt noch deutlich weiter am Anfang, als beim Strom – es werden also noch erhebliche Kosten für Technologieentwicklung und Ausbau entstehen.

Aber klar ist auch: Es gibt schon jetzt viele Möglichkeiten – und die Klimakrise lässt uns keine Zeit! Wir können und müssen auch im Wärmesektor bis spätestens 2035 aus allen fossilen Energien ausgestiegen sein. Dabei ist absehbar, dass es nicht die eine, überall und immer anwendbare Lösung zur Wärmeversorgung geben wird. Stattdessen wird es auf einen vielseitigen Technologiemix hinauslaufen.

Dieser könnte (unter anderem) bestehen aus:

  • Solarthermie auf Gebäuden, aber auch im großen Stil in Solarthermiefeldern. Solarthermie kann zur Warmwasserbereitung und Heizung genutzt werden, aber auch für Prozesswärme (insb. für Niedrig- und Mitteltemperatur Bereiche)
  • Wärmepumpen, welche Sonnenwärme aus der Umgebungsluft oder dem Erdreich nutzen. Wärmepumpen sind äußerst effizient, müssen aber mit Strom betrieben werden. Daher braucht es auch hierfür ausreichend erneuerbaren Strom!
  • Tiefe Geothermie: Hier wird die Wärme aus dem Erdinneren genutzt. In Deutschland gibt es ein regional unterschiedliches, aber zum Teil sehr großes Wärmepotential.
  • Power-to-heat: zum Beispiel Infrarotheizungen, die direkt mit erneuerbarem Strom betrieben werden, sind eine relativ preisgünstige und leicht zu installierende Lösung für Gebäudewärme, die aber auch nur funktionieren kann, wenn ausreichend erneuerbarer Strom vorhanden ist.
  • Nutzung von industrieller Abwärme (beispielsweise von Rechenzentren)

Die existierenden Fernwärmenetze müssen auf Erneuerbare Energien umgestellt werden – und da, wo es Sinn macht ausgebaut werden (also in verdichteten Siedlungsgebieten oder in ländlichen Bereichen mit guten Wärmequellen). Eine zentrale Rolle spielen außerdem energetische Sanierungen, die den Heizbedarf und damit den Energieverbrauch deutlich verringern können.

Mit entsprechenden ordnungspolitischen Maßnahmen und einer schlauen Förderpolitik könnte vieles davon zügig erreicht werden. Um nur eine kleine Auswahl zu nennen: Es braucht ein Verbot für den Einbau von Öl- und Gasthermen ab jetzt. Auch für den Energiestandart von Neubau und für Sanierungen braucht es deutlich strengere Vorgaben. Fernwärmenetze müssen flächendeckend vergesellschaftet und schnellstmöglich decarbonisiert werden. Auf kommunaler Ebene müssen alle Quellen von Abwärme strukturell erfasst und eingebunden werden und eine langfristige, verbindliche Wärmeplanung geschaffen werden. Die Entwicklung von erneuerbarer Wärmetechnologie muss gefördert werden – genau so wie die Ausbildung von Fachkräften für Gebäudesanierung und Installation von erneuerbarer Wärme.

Was bei all den Diskussionen über Technologiemix und Ordnungspolitik nicht aus dem Blick geraten darf: Die Wärmewende muss sozialgerecht sein! Es darf nicht sein, dass diejenigen, die eh schon prekäre Wohnsituationen haben, unter dem anstehenden großen Umbau leiden. Im Gegenteil: Die Wärmewende sollte auch das Ende überhöhter Heizkosten und ungesunder Wohnklima bedeuten. Studien schätzen, dass bis zu 26 Prozent der Bevölkerung in Deutschland von Energiearmut betroffen ist. Das heißt, dass sie durch die Energiekosten unter die Armutsgrenze rutschen und/oder es sich nicht leisten können, ihre Wohnung ausreichend zu heizen. Als sozialpolitisches Instrument genutzt, könnte insbesondere die Förderung von energetischer Sanierung zu der Bekämpfung von Energiearmut beitragen.

Die Wärmewende ist also ein Thema, in dem sich Klima- und soziale Fragen reffen. Und das ist gut so - denn wir werden viele sein müssen! Weder werden die fossilen Energieanbieter und die Immobilienwirtschaft freiwillig auf ihre Profite verzichten, noch wird der Gesetzgeber auf absehbare Zeit aufhören, diese Profitinteressen zu unterstützen und über das Gemeinwohlinteresse an Klimaschutz und Wohnraum zu stellen.

Ob engagiert in der Klimabewegung, in Initiativen zur Rekommunalisierung von Wärmenetzen oder Enteignung von Immobilienriesen, ob mit Herzblut beim ökologischen Bauen oder der Entwicklung von erneuerbaren Wärmequellen – lasst uns gemeinsam Druck auf bauen, damit die Wärmewende endlich in Gang kommt!